Tui Buchungsplus als Beruhigungspille
Hannover - Tui-Chef Michael Frenzel wusste um seine Aufgabe auf der Hauptversammlung des Reisekonzerns am Mittwoch. Nachdem die Aktie von Europas größtem Tourismuskonzern zuletzt massiv an Wert verlor, würde er es mit übel gelaunten Anteilseignern zu tun bekommen. Für Frenzel ging es um die Rückgewinnung des Anlegervertrauens.
"Ich teile die Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung, bitte Sie aber: Machen Sie sich ein faires Bild von der Tui AG", bat der Vorstandsvorsitzende dann auch in seiner Rede. Gut für Frenzel: Pünktlich zum Aktionärstreffen konnte der Konzernlenker den erbosten Investoren zumindest einen Aufwärtstrend bei den Buchungen präsentieren.
Seit dem Ende des Irak-Krieges konnte der Konzern demnach seinen dramatischen Buchungsrückstand zum Vorjahr verkürzen. Statt 15,2 seien es aktuell noch 10,7 Prozent weniger als 2002, hieß es. Dennoch rechnen die Verantwortlichen mit einem Umsatzminus bei der wichtigen Tourismussparte im einstelligen Bereich. Tourismus trägt 80 Prozent des Konzernumsatzes.
Keine Prognose für das Gesamtjahr
Durch milliardenschwere Firmenverkäufe will Frenzel trotz tiefroter Buchungszahlen im ersten Quartal 2003 das Spartenergebnis im Gesamtkonzern von rund 600 Millionen Euro des Vorjahres "deutlich" übertreffen. Zudem arbeite die Containerschifffahrt der Tochter Hapag-Lloyd sehr profitabel, ähnliches gelte für den Logistik-Bereich.
Nach Ablauf der ersten sechs Monate will die Tui dennoch keine präzisen Vorhersagen für das Geschäftsjahr machen. "Wir können derzeit noch keine belastbare Prognose geben", sagte Unternehmenssprecher Kay Baden. "Wir müssen den weiteren Verlauf der Sommersaison abwarten."
Frenzel bekräftigte erneut den Sparkurs, der 2003 rund 260 Millionen Euro einbringen soll und den Abbau von 2000 Stellen bei insgesamt 70.000 Angestellten bis 2004 umfasst, nachdem 2002 schon 1000 Stellen wegfielen.
Vor den Aktionären verteidigte der Tui-Chef auch den Umbau des ehemaligen Industrie-Mischkonzerns zum größten Tourismusunternehmen der Welt und den Einstieg in Billigangebote. Der Marktführer könne nicht zulassen, "von den Rändern her angreifbar" zu werden. Klar sei aber auch, dass der Konzern "selbstverständlich nicht die Absicht hat, sein künftiges Wachstum schwerpunktmäßig aus dem Niedrigpreissegment zu realisieren".
Betrugsvorwürfe gegen Frenzel
Corporate-Governance-Kodex vollständig umgesetzt
Frenzel sagte weiter, dass die Tui nunmehr die Empfehlungen der Cromme-Kommission zur Erstellung des deutschen Corporate Governance Kodex vollständig umgesetzt habe. Inwieweit die jüngsten Vorschläge der Kommission aufgenommen werden, die unter anderem die individuelle Offenlegung der Vorstandsgehälter betreffen, würde demnächst entschieden.
Wachstum durch neue Produkte stehe in den kommenden Monaten im Vordergrund, sagte der Tui-Vormann. So solle in einigen Wochen im Internet ein eigenes Hotelportal zur Vermarktung eigener und fremder Betten an den Start gehen.
"Traumreise oder ein Survival-Trip?"
Frenzels Ausführungen fruchteten nicht bei allen Aktionären. Zwar räumten einige Anteilseigner ein, dass die Tui transparenter geworden sei. Kritik rief hingegen die strategische Ausrichtung des Konzerns hervor - vor allem der Einstieg in den Billigflugmarkt.
Vor dem Hintergrund des Schuldenberges von derzeit unter vier Milliarden Euro könne sich Tui die Millionen-Anlaufkosten für ihre Billigflugtochter Hapag-Lloyd Express nicht leisten, hieß es. "Die Nachrichten der vergangenen Zeit drängen das Unternehmen zu sehr in die Billigecke", sagte Michael Gierse von Union Investment. Ein Aktionärsschützer fasste seine Bedenken zur künftigen Ausrichtung des Konzerns so zusammen: "Wird es eine Traumreise oder ein Survival-Trip?"
Betrugsvorwürfe gegen Frenzel
Schwere Geschütze fuhr Hans-Joachim Selenz auf. Selenz, der bis 1998 Vorstandsmitglied der Tui-Vorläuferin Preussag war, erhob auf der Hauptversammlung schwere Anschuldigungen gegen das Topmanagement.
"Das ist der größte Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte", wetterte Selenz, der von Frenzel entlassen wurde. Er warf dem Tui-Vorstand um Frenzel vor, ein Preussag-Vermögen von zwölf Milliarden Mark in Schulden von rund acht Milliarden Euro verwandelt zu haben. Frenzel habe die Milliarden versenkt.
Hintergrund seiner Anschuldigungen ist der Umbau des Mischkonzerns Preussag zum Reiseanbieter in den vergangenen acht Jahren, den Frenzel in Zusammenarbeit mit dem Großaktionär West LB vorantreibt. Selenz legte einen Katalog von über 50 Fragen vor, in denen es um Details aus dem Umbauprozess geht. In den Fragen thematisierte er unter anderem Geschäfte mit den Preussag-Töchtern Babcock Borsig oder HDW, aber auch teure Familienreisen von Wirtschaftsprüfern angeblich auf Preussag-Kosten.
Dokumentation: Die HV-Rede von Tui-Chef Frenzel