Greenpeace Angst vorm Landen
Einmal klappte alles noch wie früher: Ein Weltkonzern erzitterte, als die Regenbogenkrieger seine Deutschland-Zentrale besetzten und im Foyer fässerweise stinkenden Ölschlamm ausschütteten. Die Protestierer blockierten auch die größte Produktionsanlage des Unternehmens. Obendrein wurde die Website mit E-Mails bombardiert, der Firmen-Server brach zusammen. An Arbeit war nicht mehr zu denken.
Am nächsten Morgen ließ die Anspannung nicht nach: Die Besetzer hatten in den Aufzügen des Verwaltungsgebäudes genächtigt und hielten die Angestellten, wie einer sagt, durch "rotziges, flegelhaftes Verhalten" von ihren Pflichten ab, etwa vom Wertschöpfen und Umsatzsteigern.
Die schwarze Schmiere, die tagelang die edlen Materialien des Berliner Foyers von Total Fina Elf verklebte, stammte angeblich von den Ölfeldern der russischen Taiga. Die Aktion im Oktober 2000 richtete sich gegen die Verschmutzung der dortigen Fördergebiete.
Es gelingt Greenpeace nicht mehr oft, ein Unternehmen das Fürchten zu lehren. Die Öko-Aktivisten, berühmt wie berüchtigt für ihre originellen Aktionen, sind passiv geworden. Statt ins Schlauchboot steigen sie allenfalls noch auf Podien, wenn die Vereinten Nationen, das Weltwirtschaftsforum oder andere Institutionen einen Redner suchen, der die Rolle des Bedenkenträgers übernimmt.
Die ehedem straffe Organisation ist zerrüttet von überstürzten Führungswechseln und Strategieschwenks, ermattet durch Missmanagement und eine unsichere Finanzlage. Junge, attraktive und bissstarke Non Governmental Organizations (NGO) wie Attac haben mit ihren plakativen Auftritten den alten Kämpen von Greenpeace das Geschäft verdorben (siehe: Globalisierungsgegner).
Der ehemalige Angstgegner aller Industriekonzerne steckt in einer tiefen Krise. Wird er sie nutzen für eine Runderneuerung - oder droht Greenpeace in der Vergessenheit zu versinken?
"Keine Spur", sagt Brigitte Behrens (50) und lacht ihr helles Lachen, von dem sich ihre Mitarbeiter so gern anstecken lassen. Die frauenbewegte Soziologin mit der Nana-Mouskouri-Brille ist seit 1999 alleinige Geschäftsführerin der deutschen Greenpeace-Zentrale in Hamburg.
Der unrühmliche Abgang
Behrens meint, Schwächephasen von Greenpeace würden immer wieder herbeigeredet. Tatsache sei, dass die Anzahl der Förderer - nach zwischenzeitlichem Rückgang - und die öffentliche Akzeptanz der Kampagnen wieder stiegen oder konstant blieben.
Selbst die optimistische Greenpeace-Chefin kann jedoch nicht verhehlen, dass Personalquerelen das Ansehen ihrer Truppe beschädigt haben. Zum Beispiel der unrühmliche Abgang von Burkhard Gnärig (49).
Nicht einmal sechs Monate hatte es der erfahrene NGO-Manager an der Spitze von Greenpeace Deutschland ausgehalten. Per Rundschreiben ließ er seine Mitarbeiter im Dezember 1996 wissen, er habe die "Menge und Vielzahl der Aufgaben" unterschätzt, die ein Hauptgeschäftsführer zu erledigen hat.
Auch Gnärigs Nachfolger, der Landesrabbiner Walter Homolka (37), gab nur ein kurzes Gastspiel. Er musste nach knapp einjähriger Amtszeit gehen, weil er profilierte und qualifizierte Führungskräfte wie seine Stellvertreterin Birgit Radow und den für Greenpeace wichtigen Public-Relations-Leiter Norbert Schnorbach vergrault hatte.
Noch schwerer wog, dass sich Homolka geweigert hatte, den ökologisch korrekten Stallgeruch anzunehmen. Statt mit der umweltfreundlichen Bahn zu fahren, stieg er ins Flugzeug. Zu oft zog er ein bequemes Taxi der U-Bahn vor.
Da war es nur konsequent, dass der Ex-Bertelsmann-Manager nach der Trennung von Greenpeace auf Gehaltsfortzahlung bis zum Ende seiner vertraglich festgeschriebenen Dienst- zeit bestand. Eine industrieübliche Gepflogenheit - für Greenpeace-Fans aber ein schwerer moralischer Fehltritt, zumal die Spenden längst nicht mehr so üppig flossen wie früher.
Nach den peinlichen Personalpannen erwies sich die unauffällige Veteranin Behrens als einzige Kandidatin, die genug Rückhalt in der Organisation besaß, um offene Panik unter den Mitarbeitern zu verhindern.
Behrens leitete eine Politikwende ein. Unter ihrer Führung initiierte Greenpeace deutlich weniger spektakuläre Aktionen. Die öffentlichkeitsscheue Geschäftsführerin meidet Konflikte und bevorzugt beschauliche Einsätze wie eine Schiffsverkehrszählung: Als im Frühjahr 2001 ein Tanker in der Kadetrinne havarierte, schickte sie die "MS Godenwind" an die Ostsee-Meeresenge. Die Besatzung dokumentierte vier Wochen lang Gefahrensituationen.
Seit den legendären "Brent Spar"-Protesten im Frühjahr 1995 kann Greenpeace nicht mehr so recht punkten. So hat das "Einkaufsnetz", eine Verbraucherkampagne gegen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, den Zenit von angeblich 200.000 Teilnehmern überschritten, ohne dass ein nennenswertes Ergebnis auf dem Lebensmittelmarkt zu sehen ist.
Die verunglückte Smile-Aktion
Krasses Missmanagement zeigte sich schließlich beim Experimentalauto Smile: Ein radikal abgespeckter Renault Twingo mit einem im Auftrag von Greenpeace neu konzipierten Antrieb sollte beweisen, dass Drei-Liter-Autos in Großserie gebaut werden können.
Der Versuch scheiterte kläglich. Kein Konzern interessierte sich für die teure, aber wenig zukunftsgewandte Entwicklung: Der winzige Zwei-Zylinder-Motor - ohne variable Ventilsteuerung, ohne Benzin Direkteinspritzung - versprach keinen Markterfolg.
Dennoch tingelten Greenpeaceler jahrelang mit dem Smile über Automobilmessen und andere Präsentationen, vergeudeten Fördergelder und Energien der Mitarbeiter.
"Der Smile hat etwas demonstriert, was ohnehin alle Welt weiß: dass der Benzinverbrauch unserer Autos ohne Komfortverlust halbiert werden kann", sagt ein Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland.
Die verunglückte Smile-Aktion verdeutlicht, in welchem Dilemma Greenpeace steckt: Die Strategie, mit positiven Beispielen die Bevölkerung zum Umdenken zu bewegen, greift nicht. Ein Drei-Liter-Auto emotionalisiert die Menschen nicht. Es gibt weder Anlass zur Freude noch zum Verdruss. Demzufolge finden solche Projekte auch kaum Niederschlag in den Medien.
Doch Greenpeace bleibt keine Alternative. Es macht immer seltener Sinn, dass junge Männer und Frauen Fabrikschlote erstürmen oder in Schlauchbooten ihr Leben riskieren. In den westlichen Industrieländern finden sich nur noch wenige Anlässe für spektakuläre Aktionen.
Der Grund: Umweltskandale sind in Westeuropa selten geworden. Viele Unternehmen wissen, dass der behutsame Umgang mit natürlichen Ressourcen meist Geld spart und das Image fördert.
Eine paradoxe Situation: Je näher Greenpeace dem selbst gesteckten Ziel kommt, das ökologische Denken und Handeln in möglichst vielen Bereichen zu etablieren, desto mehr schrumpft der eigene Aktionsradius.
Dieser Spielraum droht sich nun auch noch in finanzieller Hinsicht zu verengen. Ende der 90er Jahre haben die kanadischen Behörden dem Greenpeace-Landesbüro die Gemeinnützigkeit aberkannt. Der schmerzliche Schnitt war eine Reaktion auf die Proteste gegen das Abholzen pazifischer Urwälder. Auftritte, die bei der Papierindustrie und ihren Arbeitern gehörig Missmut auslösten.
Gleiches droht in Deutschland. Wegen der Beteiligung von Greenpeace an den Blockaden von Castor-Transporten versuchen die Länderinnenminister in einer selten breiten Allianz von SPD/CDU/CSU und Schill-Partei, den gemeinnützigen Status der Organisation aufzuheben. Haben sie Erfolg, darf Greenpeace keine steuermindernden Spendenbescheinigungen mehr ausstellen. Dann wäre der Lebensnerv der deutschen Niederlassung getroffen - immerhin die größte Geberorganisation von Greenpeace International.
Vom "Direktoren-Kultur" zum Zentralismus
Probleme über Probleme. Ein ungemütliches Umfeld für Gerd Leipold (51), der 2001 die Leitung der internationalen Greenpeace-Zentrale in Amsterdam übernommen hat.
Leipold, einer der Gründer von Greenpeace Deutschland, erkennt die Notwendigkeit genereller Veränderungen in den Methoden und in der Struktur des Umweltverbandes.
Reformbedarf sieht Leipold unter anderem bei den eigenständigen Landesorganisationen, die ihr Vorgehen nicht genug abstimmen. Bislang hat das Amsterdamer Hauptquartier nicht einmal Einfluss auf die Besetzung der Führungspositionen in den einzelnen Ländern.
Leipold will weg von dieser "Direktoren-Kultur", hin zu mehr Zentralismus. Was auch heißen könnte, dass einige nationale Büros geschlossen werden.
Zudem plädiert der Geschäftsführer für klarere Managementmethoden: Er will etwa Konferenzen effizienter organisieren, das Rechnungswesen transparenter machen, vor allem in den Landesorganisationen.
Noch steckt Leipold voller Zuversicht. Er ist sich sicher, dass die Zahl und die Intensität der Greenpeace-Aktionen wieder zunehmen werden - etwa auf der Basis von Cyber-Aktivisten. Schon heute verfolgen und betreiben 180.000 Menschen aus 180 Nationen die Kampagnen im Internet, etwa über ein eigens gegründetes, weltweit sendendes Web-Radio.
Der Physiker schwärmt von diesen "neuen Technologien des Protests". Und von "Meta-Strategien", vom Vermarkten von Campaigning-Wissen: "Niemand kann einen Gegner so gut identifizieren, isolieren und in einen konfrontativen Konflikt ziehen wie Greenpeace", sagt Leipold.
Überhaupt will er wieder vermehrt Unternehmen aufs Korn nehmen: "Firmen sind die idealen Gegner, weil sie, mehr als Staaten oder politische Körperschaften, die Freiheit haben, ihr Verhalten zu ändern." Als nächsten großen Gegner sieht Leipold den Ölkonzern Exxon. "Der macht aus Sicht des Umweltschutzes derzeit am meisten falsch."
Werden also die Greenpeace-Aktionen fortan wieder für leuchtende Augen und glühende Herzen sorgen bei allen, die es gut meinen mit unserem Planeten?
Oder wird sich Leipold als Fehlbesetzung erweisen? Nach der nur noch einer kommen kann: der das Licht ausmacht über der gesamten Umweltbewegung.
Peter Zollinger sorgt sich nicht um Greenpeace. Die Umwelt, sagt der Spezialist für Nachhaltigkeit beim Londoner Beratungsunternehmen Sustainability, erfordere nach wie vor eine hohe Aufmerksamkeit, gepaart mit technischer Kompetenz und ethischer Glaubwürdigkeit. Niemand erfülle dieses Anforderungsprofil so gut wie Greenpeace.
Gefordert, so Zollinger, sei nun Authentizität: "Die Aktivisten müssen sich selbst treu bleiben. Dann können sie sich auch weiter gegenüber den Unternehmen profilieren - und Erfolge erzielen."
Beständig und authentisch ist Leipold. Schließlich zählt er zu den Erfindern der Schlotbesteigung und des Robbenrettens. Innerhalb seiner Organisation ist er passabel aufgestellt.
Ob dieser Rückhalt reicht, um all die organisatorischen Probleme zu lösen, bleibt offen. Gleichermaßen ungewiss ist der Ausgang des Verfahrens um die Gemeinnützigkeit.
Am meisten Sorgen aber bereitet Leipold und seinen Mitstreitern in den Landesorganisationen die Trägheit so manches Umweltfreundes, der glaubt, die ökologischen Probleme seien gelöst, weil in Westeuropa allmählich genügend Gesetze und Verordnungen griffen.
Denen entgegnet Leipold: "Greenpeace muss weiterhin die Welt Stück für Stück verändern." Das, räumt er ein, sei keine Kleinigkeit.
Greenpeace: Eine Chronik im Zeichen des Regenbogens