Citigroup "Wir haben mehr Kraft"
mm:
Mister Weill, 2001 war für die Finanzbranche ein lausiges Jahr. Fast alle Banken mussten einen kräftigen Einbruch beim Gewinn ausweisen. Die Citigroup dagegen hat ihr bisher bestes Ergebnis erzielt. Sind die anderen so viel schlechter als Sie?
Weill: Wir fühlen uns sehr gut in Form. Wir sollten uns aber davor hüten, überheblich zu werden. Das vergangene Jahr begann mit einer Rezession, dann kam die Terrorattacke vom 11. September, die das Geschäft zeitweise zum Erliegen brachte. Es folgte der Fall Enron, die größte Pleite in der US-Geschichte, bei der wir es geschafft haben, zu einem gewissen Grad involviert zu sein ...
mm: ... was Sie im vierten Quartal vor Steuern mit 228 Millionen Dollar belastet hat ...
Weill: ... dann kam schließlich noch der Schlamassel in Argentinien. Trotz allem haben wir das Jahr mit einem Rekordgewinn abgeschlossen. Darauf sind wir sehr stolz.
mm: Wie haben Sie es geschafft, sich vom Branchentrend abzukoppeln?
Weill: Wir haben vor allem von der Diversifizierung unseres Geschäfts profitiert, also von unserer weltweiten Präsenz und unserer breiten Produktpalette. Uns hilft natürlich unsere starke Eigenkapitalbasis von 88 Milliarden Dollar. Damit können wir auch in schlechten Zeiten gute Geschäfte machen - schlicht und einfach, weil wir mehr Kraft haben als die meisten Wettbewerber.
mm: Es gibt auch andere Global Player mit viel Kapital. Aber keiner von denen hat auch nur annähernd so gut abgeschnitten wie die Citigroup.
Weill: Unser Geschäftsmodell funktioniert wirklich sehr gut. Die Verbindung von klassischem Bankgeschäft und Investmentbanking beispielsweise ist ein Riesenerfolg. Wir haben allerdings auch dafür gesorgt, dass alle Mitarbeiter mitziehen. Unsere Führungskräfte bekommen einen sehr großen Anteil ihres Gehalts in Citigroup-Aktien. Alle Mitarbeiter erhalten Optionen, egal ob sie in der Poststelle arbeiten oder eine Landesgesellschaft führen. Wir geben ihnen damit einen Anreiz, wie Eigentümer zu denken und zu handeln.
Die Vorteile des CEO-Modells
mm: Die Citigroup gilt als Paradebeispiel eines globalen Finanzkonglomerats. Wie führen Sie ein so komplexes Gebilde?
Weill: Wir legen Wert auf einen permanenten Lernprozess. Die Menschen sollen wissen, wofür sie verantwortlich sind. Unsere Mitarbeiter dürfen ihre Vorgesetzten kritisieren. Wir sagen ihnen: Es ist okay, wenn ihr einen Fehler macht. Hauptsache, ihr versucht nicht, ihn zu vertuschen, und ihr lernt daraus.
mm: Wie viele Fehler tolerieren Sie bei Ihren Managern, bevor Sie jemanden feuern?
Weill: Das hängt von der Art der Fehler ab. Sie müssen einfach tolerieren, dass Menschen Fehler machen. Wenn das jemandem permanent passiert, sollte er aber besser für einen Wettbewerber arbeiten.
mm: Welchen Anteil am Erfolg der Citigroup hat denn der Chairman und CEO Mister Sanford Weill?
Weill: Ich weiß, dass man mir die Schuld geben wird, wenn es einmal schlecht laufen sollte. Anders herum bin ich mir da nicht so sicher. Aber im Ernst: Ich glaube, wir haben ein fantastisches Führungsteam.
mm: In Deutschland wird heftig darüber diskutiert, ob das praktizierte Konsensmodell im Vorstand in Richtung eines angelsächsischen CEO-Modells geändert werden sollte.
Weill: Das ist eine sehr gute Idee. Ich persönlich glaube, dass ein Unternehmensführer nur dann für eine Entwicklung verantwortlich gemacht werden kann, wenn er auch wirklich die Verantwortung trägt.
mm: Die Suche nach einem Konsens in der Führungsmannschaft ist also kontraproduktiv?
Weill: Konsens können Sie auch durch Führung entwickeln. Es ist vielleicht sogar der bessere Weg. Wenn andauernd diskutiert wird und am Ende kaum etwas geschieht, wird das Unternehmen in einem Geschäft, das schwierige Entscheidungen verlangt, nicht erfolgreich sein. Die Mitarbeiter haben auf Dauer keine Lust, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem nichts passiert.
mm: Was bedeutet Führung für Sie?
Weill: Jeder, der ein Geschäft richtig betreiben will, muss eine Führungspersönlichkeit sein. Führung ist die Fähigkeit, Teams aufzubauen, Menschen zu motivieren, für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten zu wollen. Führung besteht aber auch darin, im Unternehmen einen fruchtbaren Dialog über Strategien, Märkte und Investitionen in Gang zu halten. Und schließlich geht es darum, den wichtigsten Test zu bestehen: Kunden, Mitarbeitern und Aktionären Ergebnisse zu liefern.
Die Europa-Strategie
mm: Mister Weill, die Citigroup hat in der Vergangenheit aggressiv Firmen zugekauft. Kürzlich haben Sie erstmals ein größeres Desinvestment angekündigt, den Verkauf ihres Sachversicherers Travelers Property Casualty. Wollen Sie eine Wachstumspause einlegen?
Weill: Keineswegs. Spin-offs gab es bei uns auch früher schon. Wir haben eine Menge Geschäfte aufgegeben, deren Wachstumsraten nicht akzeptabel waren. Es war aber immer auch eine unserer Stärken, Unternehmen zu kaufen und sie an unsere eigene Struktur anzupassen. Ich vermute, wir werden damit fortfahren.
mm: Die Citigroup ist doch schon fast überall vertreten. Wo wollen Sie sich noch verstärken?
Weill: Wir haben uns vorgenommen, das Investmentbanking in Kontinentaleuropa auszubauen, ganz besonders in Deutschland. Wir spielen dort noch nicht die Rolle, die wir gern spielen würden. Wir waren bisher nicht in der Lage, den deutschen Markt von unseren Vorteilen zu überzeugen. Aber wir arbeiten daran.
mm: Wie kommt es, dass Sie in Deutschland und im Rest von Kontinentaleuropa noch relativ schwach sind?
Weill: Die Citigroup ist so, wie sie heute aufgestellt ist, noch ein junges Unternehmen. Gleichzeitig gibt es in Europa und speziell in Deutschland bereits eine Menge sehr guter Banken. Wir steigen nicht in einen Markt ein, nur um sagen zu können: Wir sind auch da. Wir wollen dort auch gute Geschäfte machen.
mm: In den vergangenen Jahren haben Sie massiv in Schwellenländern investiert. Wollen Sie sich dort jetzt zurückhalten?
Weill: Wir halten ständig Ausschau nach Ländern, in denen wir unsere Position ausbauen können. Dazu gehört zum Beispiel China, das in Zukunft einer unserer wichtigsten Märkte werden dürfte. Brasilien ist sehr interessant.
mm: Zeigt das Beispiel Argentinien nicht, wie riskant Ihre Strategie ist, in Wachstumsmärkte zu expandieren?
Weill: Natürlich sind die Risiken in den Emerging Markets höher als in den hoch entwickelten Volkswirtschaften. Dafür sind aber auch die Chancen größer. Was Krisen angeht, haben wir eine interessante Erfahrung gemacht: In den meisten Fällen war unsere Position nachher besser als vorher. Wenn eine Vertrauenskrise ausbricht, wenden sich die Menschen dem Unternehmen zu, von dem sie glauben, dass es überleben wird. Und das sind meistens wir.
mm: Zurück nach Europa. Wie wollen Sie dort vorankommen?
Weill: Wir setzen vor allem auf organisches Wachstum - definiert als die Fähigkeit, hervorragende Leute dazu zu bewegen, in unser Team zu kommen. Das gilt für Deutschland, Frankreich und einige andere Länder.
mm: Sie wollen also lieber Mitarbeiter akquirieren als Institute?
Weill: Vermutlich ja.
Die Fehler der Deutschen
mm: Warum so schüchtern? Bei Ihrem Aktienkurs könnten Sie doch locker eine große europäische Bank kaufen.
Weill: Glauben Sie mir, ich bin überhaupt nicht schüchtern. Aber schauen Sie sich doch die Eigenkapitalrenditen vieler europäischer Finanzinstitute an. Die liegen vielleicht bei 8 oder 10 Prozent. Das ist kein Niveau, das unsere Aktionäre erfreuen würde.
mm: Sie schließen also Akquisitionen in Europa völlig aus?
Weill: Wenn wir etwas finden würden, das zu unserer Kultur passt und profitabel genug ist, dann wären wir sehr interessiert. Davon gibt es aber leider nicht allzu viel.
mm: Rolf-E. Breuer, der Chef der Deutschen Bank, hat sich als großer Bewunderer der Citigroup geoutet. Ist das nicht fast eine Einladung zu Fusionsgesprächen?
Weill: Er hat mich vor einigen Wochen tatsächlich angerufen. Da ging es allerdings nur um ein konkretes Geschäft. Er fragte, ob seine Bank in das Emissionskonsortium für den Börsengang von Travelers Property Casualty aufgenommen werden könnte.
mm: Hatte Breuer Erfolg?
Weill: Wir haben das Konsortium noch nicht zusammengestellt.
mm: Was halten Sie davon, wenn ein Vorstandschef im operativen Geschäft mitmischt?
Weill: Ich habe Hochachtung davor, dass Breuer dies gemacht hat. Wenn ein Topmanager sich die Zeit für so etwas nimmt, zeigt er seinen Leuten, wie wichtig das Geschäft für die Bank ist. Ich tue das auch. Es macht Spaß, Teil des Prozesses zu sein und Geschäfte an Land zu ziehen. Es ist wie bei Ihnen, wenn Sie eine sehr gute Story schreiben.
mm: Haben Sie je daran gedacht, die Deutsche Bank zu kaufen?
Weill: Nein.
mm: Warum nicht? Damit würden Sie Ihre Probleme in Europa auf einen Schlag lösen.
Weill: Wir sprechen nicht darüber, ob und warum wir jemanden eventuell kaufen würden oder nicht.
mm: Sie könnten aber über Ihre Akquisitionsträume sprechen.
Weill: Wir können über das Träumen an sich sprechen, aber nicht über ganz bestimmte Träume.
mm: Mitte der 90er Jahre waren deutsche Banken mit führend in der Welt, heute sind sie es nicht mehr. Was haben sie falsch gemacht?
Weill: Ich glaube, Sie müssen die Antwort in Frankfurt suchen, nicht in New York. Ich kann Ihnen sagen, was wir tun, um unser eigenes Geschäft voranzubringen. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, warum die anderen da stehen, wo sie stehen.
Das Endspiel in der Finanzbranche
mm: Heutzutage prophezeien viele Banker eine fortschreitende Konsolidierung ...
Weill: ... das tue ich auch ...
mm: ... und sprechen von einem Endspiel um die Vorherrschaft in der internationalen Finanzszene.
Weill: Ich bin jetzt seit 40 Jahren in diesem Geschäft, und die Leute sagen das schon lange. Immer heißt es, bald steigt das Endspiel. Aber natürlich wird die Konsolidierung weitergehen, und zwar auf einer globalen Basis. Allein schon wegen der großen Summen, die wir fortlaufend in Technologie und neue Produkte investieren müssen.
mm: Nehmen wir an, das Endspiel kommt tatsächlich. Wie viele große Spieler werden weltweit übrig bleiben?
Weill: Ich vermute, es wird zehn oder zwölf richtig Große geben, dazu etliche mittelgroße und noch mehr lokale Spieler. Außerdem viele Neue, die heute noch gar nicht dabei sind.
mm: Wahrscheinlich aber keiner, der Ihnen gefährlich werden kann.
Weill: Wir betrachten viele als harte Konkurrenten. Die HSBC ist in vielen Emerging Markets ein wichtiger Wettbewerber. Die Deutsche Bank ist schon seit langer Zeit sehr stark. Sie hat einen der größten Heimatmärkte, den man sich vorstellen kann. Einige amerikanische Investmentbanken sind sehr gut. Und die Schweizer, Credit Suisse und UBS, werden auch immer besser.
mm: Der Börsenwert der Citigroup ist mehr als doppelt so hoch wie der des Zweitplatzierten, der HSBC. Wer soll Sie noch einholen können?
Weill: Wir haben immer Angst, dass irgendeiner es schaffen könnte. Deshalb setzen wir alles daran, noch größer und noch profitabler zu werden. Unser Ziel ist es, unseren Marktwert in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln.
mm: Und was werden Sie selbst in fünf Jahren tun?
Weill: Ich weiß es nicht.
mm: Sie sind jetzt fast 69 Jahre alt. Wie lange wollen Sie Ihren Job noch machen?
Weill: Wir werden zur rechten Zeit bekannt geben, wer mein Nachfolger wird. Ich habe aber keine Vorstellung, wann das sein wird. Ich bin sehr glücklich in meinem Job. Ich glaube, dass ich immer noch einen Beitrag für dieses Unternehmen leisten kann. Erst wenn jemand aufhört, nützlich zu sein, sollte er gehen.
Citigroup-Profil: Gigant und Geldmaschine