Flughäfen Unsichere Wetten
Hamburg - Mike Levine lehrt an der Harvard-Universität, aber akademische Leisetreterei ist seine Sache nicht. Der Mann kommt aus der Wirtschaft, war Manager bei Fluglinien wie Continental und Northwest und schätzt das drastische Wort. Wenn Levine mit seinen bestimmt 120 Kilo ein Podium erklimmt und über Billig-Airlines spricht, ist Unzeitgemäßes zu hören.
Klar, sagt er, viele Flughäfen in Europa trauen No-frills-Airlines wie Go und easyJet derzeit magische Kräfte zu. Wenn Ryanair ein neues Drehkreuz auch nur erwägt, stolpern die Anwärter übereinander und unterbieten sich mit Billigkonditionen. Schließlich kann irgendein No-Name-Flughafen in der Pampa seinen Passagierverkehr glatt verfünfzigfachen, sobald die Boeings von Ryanair-Chef Michael O'Leary auf dem Rollfeld an- und abfliegen.
Plötzliche leere Terminals
In den USA, rückt Levine die Perspektiven zurecht, war das in den achtziger Jahren auch so. Als der Flugverkehr dereguliert wurde und das faktische Monopol der "Big Four" - American, United, Trans World, Eastern - zerbrach, da witterten viele Flughäfen eine gigantische Chance. Von einem Jahr aufs nächste stellten sie manch einer Low-Budget-Airline monströse Terminals hin, erweiterten ihre Flugfelder. Alles auf Kosten und Risiko des Flughafen-Betreibers, versteht sich.
Und hoppla, kurz drauf fusionierte die Billig-Airline mit einer zweiten; Computer und Flieger zogen um in die nächste Stadt. In den neuen Terminals wehte nur noch der Geist verklungener Hoffnungen. "Für einen Flughafen ist es ziemlich schwer, Wetten auf einen Fluglinien-Namen abzuschließen", mahnte Levine kürzlich bei einem Luftfahrtkongress in Hamburg. Wer wisse schon, ob Ryanair, easyJet, Go & Co. in fünf Jahren noch unter uns sind.
Prestige-Flughäfen am Abgrund
Dass Europas Airports sich nach einem Heilsbringer sehnen, ist verständlich. Mega-Hubs wie Frankfurt, Paris und London erholen sich zwar Monat für Monat vom September-Schock. Auch die Aktien von Betreiberfirmen wie Fraport und BAA (Heathrow, Gatwick, Stansted) sind fast wieder auf der Flughöhe der Vor-September-Zeit angekommen. Doch in Zeiten der Terror-Angst klettern die Versicherungsprämien, Investitionen in die Sicherheit drücken die Bilanzen. Kleinere Flughäfen wie Düsseldorf, Hamburg oder München leiden überproportional unter Passagierrückgängen.
Ganze Flughafen-Gesellschaften könnten in Zukunft über die Klippe springen - oder zumindest ihr quasi staatliches Monopol verlieren. Denn viele National-Airlines fliegen auf die Pleite zu, Sabena und SwissAir waren nicht die letzten Versager. Ihre Heimatflughäfen stehen dann am Abgrund. Brüssel, Zürich, Mailand, Lissabon und Kopenhagen müssten beweisen, dass sie wirklich noch als Großflughäfen gebraucht werden, warnt US-Professor Levine. Es sei fast sicher, dass diese Airports in die Regionalliga absteigen.
Sogar der Amsterdamer Flughafen Schiphol, ein Musterknabe der Zunft, verliert nach Angaben von Finanzvorstand Piet Verboom im Kerngeschäft Geld: "Wir subventionieren das Fluggeschäft" - mit "sonstigen" Einnahmen wie Parkgebühren und Ladenmieten. Eigentlich müsste man, wie jüngst Fraport, Lande-, Passagier- und Abstellentgelte für die Airlines nach oben schrauben. Das aber kann die Fluglinien aufstacheln, künftig anderswo zu landen.
Wer in solch einer Lage Go oder easyJet anlockt, knackt den Jackpot, so scheint es. Der Ryanair-Effekt hat deutsche Flughafen-Statistiken schon mächtig durcheinander gepustet. Frankfurt hat 2001 1,6 Prozent seiner Passagiere verloren, Düsseldorf vier, Schönefeld 13,3 Prozent. Lübeck aber, Ryanair-Ziel im Norden, prunkt mit einem Plus von 25,2 Prozent. Hahn im Hunsrück, das neueste Drehkreuz der Iren, verdankte O'Leary schon 2001 einen Passagiergewinn von 15,3 Prozent. Die Fluggastzahl soll von 30.000 vor vier Jahren auf bis zu 1,5 Millionen 2002 explodieren.
Selbst wenn Passagiere kommen, können aber Gewinne ausbleiben. Ein Regional-Rollfeld lässt sich nicht gratis zur Konkurrenz für Hamburg oder Frankfurt aufbauen. Lübecks Flughafen-Chef will allein 2002 fünf Millionen Euro investieren, schwarze Zahlen sind nicht in Sicht. Wenn sich O'Leary und Kollegen verzocken, wenn sich Ryanair mit seiner Bestellung von 100 neuen Boeings übernommen hat - dann sähe es düster aus für Hahn und Lübeck. Möglich auch, dass die servicelosen Flieger jenen Flughäfen den Rücken kehren, auf denen sie groß wurden. easyJet jedenfalls engagiert sich immer stärker auf Großflughäfen wie Amsterdam oder Gatwick.
Für die Airports können die Billig-Airlines ein zickiger Partner sein. Die chronischen Geizhälse stellen jeden einzelnen Kostenpunkt auf den Prüfstand. Der kanadische Billigheimer WestJet verzichtet auf die Landebrücke, die ans Flugzeug angedockt wird - selbst wenn der Service nur 40 Dollar pro Flug kostet. Da müssen die Fluggäste eben laufen und Treppe steigen. Auch Ryanair ist es egal, wenn die Kunden beim Marsch übers Rollfeld nass regnen.
Subventionen für den Ultra-Liberalen?
Die Lufthansas und Alitalias der Branche zahlten den Flughäfen Pauschalen: eine Überweisung für alle Kosten. Die Billigflieger wollen jede Dienstleistung einzeln beziffert haben - und kaufen nur, was sie brauchen. "Unbundling" nennt das der Jargon. Der eine Discounter verzichtet aufs Lautsprechersystem. Eine andere Airline in den USA teilte einem Flughafen mit: "Eure Heizung könnt ihr ausschalten. Wir brauchen sie nicht."
Wer sich mit den Billigfliegern einlässt, kann sogar Stammkunden vergraulen. Der Flughafen Belfast etwa führte zwei Tarifsysteme ein: eins für Discount-Flieger, eins für die Carrier alter Schule. Die teurere British Midland schäumte wegen der Ungleichbehandlung - und wanderte ab. Nicht einmal Ärger mit Behörden ist ausgeschlossen: Die EU-Wettbewerbshüter vermuten, dass Ryanair im belgischen Charleroi fast keine Landegebühren bezahlt. Die Iren, angeblich Speerspitze des Wettbewerbs, werden von den staatlichen Airport-Betreibern indirekt subventioniert, so der Verdacht.
Schnaps statt Starbucks
Natürlich gibt es auch gute Nachrichten. Der typische Discounter-Passagier ist kein so hässliches Wesen, wie manch Airport-Boss fürchtet. Michael Tretheway von InterVistas Consulting hat für sein Heimatland Kanada ausgerechnet: Der typische No-frills-Kunde fliegt 7,6-mal im Jahr - nur einmal weniger als der Kunde der teuren Air Canada. Im Schnitt verdient der geizige Kunde sogar mehr als der mit dem teureren Ticket. Billig-Passagiere verbringen fast genauso viel Zeit auf dem Flughafen wie andere Kunden. Und sie kaufen mitnichten seltener auf Flughäfen ein als andere Fluggäste - im Gegenteil. Allerdings geben sie pro Einkauf weniger aus.
Die Flughäfen müssen sich auf diese neue Spezies einstellen, wenn ihnen ihre Einnahmen lieb sind. Mike Toms, Planungsdirektor beim Airport-Betreiber BAA, fordert deshalb: Die Flughäfen müssten ihre Shopping-Korridore der neuen Epoche anpassen. Mehr Discount, weniger Glamour. Mehr Sportartikel, weniger goldene Uhren. Mehr Hochprozentiges, weniger Starbucks. Eine Kulturrevolution. "Das Flughafen-Geschäft wird schwieriger, aber es wird auch spannender", stimmt Schiphol-Vorstand Verboom zu.
Spannend, in der Tat. Und kaum einer bringt so viel Farbe ins Geschäft wie Michael O'Leary selbst. Er verhandelt Kosten herunter wie kein Zweiter, stöhnen Flughafen-Manager. Ryanair sei keine "Low-cost airline", witzelt Mike Toms von BAA - eher eine "No-cost airline". "Die trennen sich von keinem Penny". Vor Jahren, als Ryanair nach Stansted kam - da habe man gehofft, dass die Iren nach dem ersten Lock-Angebot die vollen Gebühren zahlen. Toms macht eine Pause, dann lacht er: "Das hoffen wir bis heute."