Weltwirtschaftsforum Aufrüsten in New York
New York - "Absolutely Ready" seien seine Männer, tönt der New Yorker Polizeichef Raymond Kelly in diesen Tagen kämpferisch. Am vergangenen Donnerstag ließ er einige Hundertschaften der NYPD (New York Police Department) im Shea Stadium aufmarschieren. Dort, wo normalerweise die Mets Baseball spielen, demonstrierten die gefürchteten "New Yorks Finest", wie sie rebellische Globalisierungskritiker außer Gefecht setzen wollen.
Blau-weiße Hubschrauber landeten am Rand einer gestellten Demonstration, berittene Polizeiregimenter versperrten Protestierern den Weg, und Fußtruppen rückten im Gleichschritt vor. Jeden Schritt begleitete die Phalanx mit einem monotonen "move, move". Die Protestierer, allesamt Polizeischüler, saßen zusammengekettet auf dem Boden und riefen "no Justice, no Peace", als sie abgeführt wurden. Die Vorführung der "Operation Decorum" für die Medien war der Abschluss eines zweiwöchigen Trainings.
Knapp eine Woche vor Beginn des fünftägigen Weltwirtschaftsforums ist die Botschaft der New Yorker Polizei klar: "Don't mess with the NYPD" ("Leg dich nicht mit der NYPD an"). Kelly setzt auf Abschreckung, damit sich Szenen wie in Seattle und anderen Wirtschaftsgipfel-Orten nicht wiederholen.
"Wir sind die beste Polizeitruppe der Welt"
In den letzten Monaten hat Kelly seine Beamten zum Nachhilfeunterricht in fünf Städte geschickt, die bereits Erfahrungen mit militanten Globalisierungsgegnern haben: Seattle, Genua, Quebec, Washington und Philadelphia. In Seattle hatten sich Polizisten 1999 bei einem Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) Straßenschlachten mit Hunderten von Demonstranten geliefert. Die Kämpfe dauerten vier Tage. "In Seattle hatten sie 1100 Polizisten, sie waren einfach in der Unterzahl. Wir aber haben 40.000 Beamte", brüstet sich Kelly. "Wir sind die beste Polizeitruppe der Welt, um Großereignisse unter Kontrolle zu halten."
Zum Weltwirtschaftsforum, das am nächsten Donnerstag im Nobelhotel Waldorf Astoria beginnt, werden rund 2000 Staats- und Unternehmenschefs aus aller Welt erwartet. Die Anwesenden diskutieren in einer Reihe von Workshops über wirtschaftliche und politische Themen, die ihnen wichtig erscheinen. Zum ersten Mal in seiner 32-jährigen Geschichte findet das Forum nicht im schweizerischen Davos statt. Die Veranstalter hatten die Entscheidung für New York im November mit dem Terroranschlag vom 11. September begründet. Der Umzug sei ein Zeichen der Solidarität.
Happenings in der Nähe des Waldorf Astoria
Zeitgleich finden etliche Gegenveranstaltungen von Globalisierungskritikern in New York statt. Die Gruppe "Public Eye on Davos", einer der traditionellen Gegenpole zum Weltwirtschaftsforum, hat von der Uno Räume erhalten, um ihre eigene Diskussion über die Folgen der Globalisierung abzuhalten. Die "Students for Global Justice" veranstalten eine Serie von Workshops an der Columbia University. Eine New Yorker Gruppe mit dem Namen Anotherworldispossible.com plant eine Demonstration und Happenings in der Nähe des Waldorf Astoria.
"Das Forum ist nichts als eine Cocktailparty der Reichen und Mächtigen", sagt Eric Laursen, einer der Gründer von Anotherworldispossible.com. Seine Gruppe plane, mit "kreativen Aktionen" eine "Gegenöffentlichkeit" herzustellen. So werde man zum Beispiel eine Cocktailparty auf der Straße veranstalten - mit Öl statt mit Drinks. Auf großen Leinwänden werde man ein Bild von einer besseren Welt malen. "Wir wollen zeigen, was man mit dem Geld, das für dieses überflüssige Ereignis ausgegeben wird, noch alles machen kann", sagt der 41-jährige Journalist. Alle Aktionen seien ausdrücklich gewaltlos, man verhandele derzeit mit der Polizei noch um eine Genehmigung.
Für moderate Globalisierungskritiker wie Laursen sind die NYPD-Vorbereitungen, die von den New Yorker Boulevardblättern "New York Post" und "Daily News" genau verfolgt werden, der erste Schritt der Eskalation. "Das soll Aktivisten einschüchtern und sie abhalten, hierher zu kommen", sagt er. Doch die Abschreckung funktioniere nicht. Für die zentrale Demonstration am 1. Februar rechnet er mit bis zu 30.000 Teilnehmern. Ob der Protestmarsch in Gewalt umschlage, hänge vor allem von der Polizei ab, sagt Laursen. "Die Kampfrhetorik dient keinem."
Gewaltlos? - Lesen Sie im zweiten Teil, was sich die Globalisierungskritiker ausgedacht haben, um die "Cocktailparty der Reichen und Mächtigen" zu stören.
Doch selbst wenn die Aktivisten zivilen Widerstand ohne Gewalt versprechen - für New York bedeutet das Gipfeltreffen erneut den Ausnahmezustand. "Einige würden sagen, New York braucht das Forum so dringend wie eine weitere Flugzeugattacke", schreibt "New York Times"-Kolumnist Clyde Haberman. Er befürchtet, dass das Ereignis zum "Boomerang" werden kann. Die Geschichte bestätigt seine Sorgen: Alle Wirtschaftsgipfel seit Seattle haben Gewalt mit sich gebracht. Zwar ist die überwältigende Mehrheit der Demonstranten friedlich. Doch ein Kern von wenigen hundert Randalemachern reist zu jedem Wirtschaftsgipfel an, sagen die Sicherheitskräfte.
In New York rufen Plakate der "Anti-Capitalist Convergence" vage zum Widerstand auf. Während des Forums soll New York "dicht gemacht" werden. Hinter dem Namen verbirgt sich ein loses Netzwerk, einen Gründer oder offiziellen Ansprechpartner gibt es nicht. Jeden Samstag finden im East Village "All Anarchists Meetings" zur Vorbereitung statt. Mitglieder des Netzwerks waren bereits in den College-Städten des Nordostens auf einer "Roadshow", "um die Region zu mobilisieren".
An diesem Wochenende gibt es einen Kurs zum richtigen Verhalten im Fall eines Gewaltausbruchs. Inhalt: Verteidigung gegen Tränengas und Pfefferspray, erste Hilfe auf der Straße, und Regeln für den Umgang mit der Polizei. "Wir empfehlen den Leuten, sich in Affinity Groups zusammenzutun", sagt John, einer der Organisatoren des Trainings. "Die Gruppenmitglieder passen gegenseitig auf sich auf", erklärt er. Bereits im Spanisch-Amerikanischen Krieg angewandt, sei diese Taktik seit Seattle auch in Demonstrantenkreisen populärer geworden.
Kampfflugzeuge für den Ernstfall
US-Präsident George W. Bush hat das Weltwirtschaftsforum zum nationalen Sicherheitsfall erklärt. Dieses Recht hat der Präsident seit 1998. Damit wird die Regie für ein Ereignis in die Hände des Secret Service gelegt. Die Agenten koordinieren den Einsatz von Scharfschützen, FBI-Agenten und Polizisten. Auch F-16-Kampfflugzeuge stehen auf Abruf in der Nähe bereit. Wie viele Sicherheitskräfte nächste Woche in den Straßenschluchten rund um das Waldorf Astoria verteilt werden, ist geheim. Auch wie weit die Straßen abgesperrt werden, will Secret-Service-Sprecher Brian Marr nicht sagen. Laut der Zeitung "Village Voice" werden fünf Blocks gesperrt. Marr will nur so viel sagen: "Das Waldorf Astoria wird so abgesichert sein, dass der US-Präsident jederzeit zu Besuch kommen könnte." Also allerhöchste Sicherheitsstufe. Auch Journalisten haben zum ersten Mal keinen direkten Zugang zum Forum. Sie müssen mit einem Medienzentrum im Hotel Interkontinental vorlieb nehmen.
Die NYPD setzt auf ihre Erfahrung. Großereignisse mit entsprechendem Polizeiaufgebot sind häufig in New York, schon die Uno-Generalversammlung sorgt jedes Jahr für eine Art Ausnahmezustand. Doch Anti-Globalisierungsproteste sind inzwischen so aufgeladen, dass auf beiden Seiten viel Vorsicht gefordert ist. So plädiert Laursen dafür, dass die Polizei zur Deeskalation beiträgt, indem sie diesmal nicht Tränengas und Pfefferspray zur Schau trägt. Doch das scheint unwahrscheinlich. Also bleibt nur Habermans Bitte: "Bitte benehmt euch." Das gilt nicht nur für die Demonstranten.