Andersen Die Schmach des Prüfers
New York - Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Andersen will als Folge von Verfehlungen bei der Prüfung des mittlerweile insolventen US-Energiekonzerns Enron den leitenden Wirtschaftsprüfer David Duncan und drei weitere Partner entlassen. Dies teilte das Unternehmen in Chicago mit.
"Wir versprechen, dass wir offen mit dem Problem umgehen und dort durchgreifen, wo es notwendig wird", sagte der Andersen-Chef Joseph F. Berardino. Der Nachrichtensender CNN hatte wenige Stunden zuvor Auszüge aus einer E-Mail eines leitenden Enron-Mitarbeiters gesendet, die eine Anweisung an die Wirtschaftsprüfer zur Vernichtung sämtlicher heikler Unterlagen enthielt.
Die vier Andersen-Partner hatten laut Berardino daraufhin Versuche unternommen, Teile der Prüfungsunterlagen und E-Mails verschwinden zu lassen, kurz bevor die US-Börsenaufsicht SEC Unterlagen über die Prüfung bei dem mittlerweile insolventen Energiehandelskonzern anforderte. Bei den vier Verantwortlichen handelt es sich laut Andersen neben Duncan um Thomas H. Bauer, Debra A. Cash und Roger D. Willard.
Mitarbeiter schrieben früh Warnbriefe an Enron-Chef
Die prekäre Lage von Enron war der Führungsspitze seit fünf Monaten bekannt. Sherron Watkins, eine Vizepräsidentin für Unternehmensentwicklung, schrieb bereits im August an ihren CEO, Kenneth Lay: "Ich habe Angst, dass wir in einer Welle von Bilanzskandalen implodieren."
Die Managerin wies ihren Chef darauf hin, dass Enrons Buchhaltungspraktiken viele Fragen aufwerfen. Besonders die vom damaligen Finanzvorstand Andrew Fastow ins Leben gerufenen "Partnerschaften", mittels derer Enron einen Teil seiner Schulden kaschierte, machten Watkins Sorgen.
"Wir sind ein betrügerisches Unternehmen"
Zudem kritisierte sie, dass zahlreiche Enron-Mitarbeiter dem Management und dem bis zum Sommer 2001 amtierenden CEO Jeff Skilling wiederholt Fragen über die Rechnungslegung des Energiekonzerns gestellt hätten - ohne zufrieden stellende Antworten zu erhalten.
Watkins soll nach Angaben der "New York Times" in dem Schreiben einen Manager aus Enrons Investment-Sparte zitieren, der sagt: "Ich weiss, dass es für uns alle entsetzlich wäre, aber ich hoffe dennoch, dass man uns erwischt. Wir sind solch ein betrügerisches Unternehmen".
Die Rettung der letzten Unterlagen
Der Hauptverantwortliche bei Andersen für die Prüfung der Bücher von Enron war der Partner David Duncan. Duncan hatte bereits im vergangenen Herbst die Zerstörung zahlreicher Dokumente angeordnet, die sich auf die Buchführung von Enron bezogen.
Zu dem Zeitpunkt liefen auch bereits mehrere Untersuchungen über die Geschäfte von Enron. Das Unternehmen hatte riesige Schuldenberge in dubiosen Partnerschaften versteckt.
"Stoppen Sie das Schreddern!"
Die Vernichtung von Unterlagen, wenige Stunden vor Bekanntwerden des Enron-Skandals, sei erst gestoppt worden, nachdem ein Mitarbeiter der Partner andere Mitarbeiter aufgefordert hatte: "Stoppen das Schreddern!" Nach Darstellung von Andersen sei dies am 9. November geschehen, einen Tag nach der Anforderung von Unterlagen durch die SEC.
Gefeuerter Andersen-Partner muss sofort aussagen
Duncan soll im Laufe des Mittwoch vor einem Untersuchungsausschuss des US-Kongresses aussagen. Der Ausschuss ermittelt neben der SEC und dem Justizministerium in Sachen Andersen. "Offen gesagt, jetzt, wo Duncan gefeuert ist, wird er vielleicht ein bisschen kooperativer sein", sagte Ausschuss-Sprecher Ken Johnson.
Bereits in der vergangenen Woche hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gemeldet, sie habe elektronisch gespeicherte Dokumente wieder herstellen können.
Enron-Aktien nur noch außerbörslich gehandelt
Unterdessen sind die Aktien des bankrotten Energieriesen vom Kurszettel gestrichen. "Die Börse hat entschieden, dass die Wertpapiere sich nicht mehr für den Handel an der New York Stock Exchange eignen", teilte ein Sprecher der New York Stock Exchange (NYSE) mit und verwies auf die voraussichtlich langwierigen Verhandlungen, um die Firma abzuwickeln.
Die Börse kann Aktien, die 30 Tage für weniger als einen Dollar gehandelt werden, aus dem Geschäft nehmen. Aktionäre können ihre Stücke ab sofort nur noch außerbörslich handeln.