Berlin Merkels Malaise
Berlin - Trost findet die Physikerin Angela Merkel in der Wissenschaft. Aus den "Erhaltungssätzen" der Physik hat Merkel, wie sie jüngst verriet, die Gewissheit geschöpft, dass "die Summe der Erfolge und Misserfolge sich über längere Zeit die Waage hält".
Nach dem Votum im Berliner Landesverband für den bundesweit unbekannten Frank Steffel und gegen den ehemaligen CDU-Chef Wolfgang Schäuble könnte Merkel nun wieder auf ein Erfolgserlebnis hoffen.
Denn dass die heikle Personalentscheidung in der Hauptstadt optimal gelaufen ist, davon war in der Parteizentrale, aber auch in der Bundestagsfraktion kaum einer überzeugt. "Kleingarten Wedding hat gesiegt", lautete ein Kommentar. "Eine Tragik für Wolfgang Schäuble", ein anderer. Und wie immer, wenn in der CDU etwas schief gelaufen ist, wurde die Frage nach der Verantwortung von Angela Merkel gestellt.
Merkel verliert Überblick
Merkel erschien an diesem unübersichtlichen Samstag und lange auch am Sonntag in Berlin als klare Befürworterin von Schäuble. Grund war vor allem die überraschende Veröffentlichung einer Äußerung am Samstagnachmittag: "Wenn der Berliner Landesverband sich für Wolfgang Schäuble entscheidet, dann hat er meine volle Unterstützung."
Wobei sie dann - vorsichtig wie immer - aber auch den Nachsatz hinzu fügte: "Der CDU-Landesverband Berlin muss die Kür seines Spitzenkandidaten selbst schaffen." Zu diesem Zeitpunkt war aber die Stimmung in dem Landesverband bereits am Kippen.
Das Problem an dem Fall Schäuble/Steffel war wohl, dass die Berliner Parteifreunde über Tage selbst nicht richtig wussten, was sie wollten. Zunächst war der Eindruck aufgekommen, dass die Führungscrew um Landeschef Eberhard Diepgen keinen von außen holen wollte. "Wir rufen niemanden", hatte Steffel mit breiter Brust am Montag vor einer Woche verkündet.
Vorbehalte gegen Schäuble wegen Spendenaffäre
Doch dann begann Diepgen bei Schäuble zu sondieren, ob er denn bereit sei. Es wurden einige Gespräche mit Schäuble geführt. Auch Steffel war dem Vernehmen nach dann für den Vater des Einigungsvertrags.
Nur Diepgen und Co. hatten wohl die Stimmung in ihrem eigenen Landesverband nicht richtig eingeschätzt. Schäuble erschien vielen eben nicht als das richtige Symbol für einen Neuanfang. Und sicher, so der Berliner CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt am Montag, kam dann auch die "Sorge" auf, Schäuble habe noch weitere Nachwirkungen aus der Spendenaffäre zu befürchten. Den stets zögerlichen Diepgen verließ wohl der Mut, Schäuble intern durchzusetzen, wurde am Tag nach der Entscheidung für Steffel analysiert.
"Unter aller Sau"
Was blieb, war ein Gespräch am Sonntag, in dem Schäuble, der sich immer einen breiten Rückhalt in der Berliner Landespartei gewünscht hatte, schließlich abwinkte. Der Weg für Steffel war frei. Nur Stunden danach wurde im Konrad-Adenauer-Haus das neue Plakat aufgehängt: "Frank Steffel - Die neue Kraft."
Schäuble erhielt nur noch Worte des Dankes für seine Bereitschaft, vielleicht anzutreten. Ein Außenstehender, der frühere FDP-Fraktionschef im Bundestag, Hermann Otto Solms, kommentierte das Geschehen am drastischsten. Das alles sei "unter aller Sau" gewesen. Das Umgang mit Schäuble sei aus "menschlichen, stilistischen und politischen" Gründen inakzeptabel.
Hat Kohl wieder seine Hände im Spiel?
Unter Helmut Kohl wäre so etwas nicht passiert, sagen nun viele. Die andere Seite fragt: Was hätte Merkel am Sonntag noch tun sollen? Auf den Tisch schlagen? Das wäre auch keine Lösung gewesen, heißt es. Ein Landesverband müsse schon hinter dem Kandidaten stehen. Und das könne man nicht erzwingen.
Apropos Kohl: Natürlich sah es am Ende wieder so aus, Kohl habe sich auch hier intern erneut durchgesetzt. Am Donnerstag war in der "Bild"-Zeitung von einem Essen Kohls mit Steffel berichtet worden. Dabei, so heiß es, soll Kohl gesagt haben: "Frank, Sie müssen es machen!" Zu dem Zeitpunkt lief noch alles auf Schäuble zu.
Der Altkanzler kündigte am Sonntagnachmittag an, sich in den Wahlkampf in der Hauptstadt einzuschalten. Er warf der SPD vor, sich bei den Verantwortlichen für den Mauerbau anzubiedern, um in der Hauptstadt an die Macht zu kommen.