Telekom Das Blutbad fiel aus
Köln - Schon vor der mit Spannung erwarteten und 15 Millionen Mark teuren Versammlung in Köln hatte sich Sommer gelassen gegeben. "Ich glaube nicht, dass die Emotionen hochkochen", hatte er in einem SPIEGEL-Interview gesagt. Dass die Aktionärsschützer ihn unter Beschuss nehmen und auch Investmentfonds-Manager ihn angreifen, war zu erwarten.
Die Anträge auf Nicht-Entlastung des Vorstandes und des ebenfalls heftig kritisierten Aufsichtsrats kamen nicht überraschend. Ungewöhnlich jedoch, dass Union Investment als Fondsgesellschaft die Führungscrew nicht entlasten wollte. Doch das große "Blutbad", das manche Telekom-Insider befürchtet hatten, fiel aus.
"Sie haben das Vertrauen der Anleger in die Aktie als Anlageform erschüttert, Herr Sommer", sagte Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Sein Kollege Lars Labryga von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) meinte zuvor, die Anleger seien unzufrieden mit Kurs und Management der Telekom. Die vielen Negativmeldungen hätten zu einer nachhaltigen Verunsicherung der Aktionäre geführt.
Stereotype Antworten auf brennende Fragen
Die Hauptkritikpunkte waren bekannt, die Antworten und die Reaktion von Sommer ebenso. Die Aktionärsschützer kritisierten den Kauf des US-Mobilfunkers Voicestream, der am Freitag abgeschlossen wird, als zu teuer. Eine konkrete Perspektive fehle. "Der Voicestream-Deal ist auf breitester Front nicht verstanden worden", sagte Labryga. Er kritisierte, dass die neue US-Tochter bisher nur fünf Millionen Kunden zähle und das Voicestream-Netz nicht flächendeckend sei.
Dagegen setzte Sommer seine Vision eines Milliarden-Marktes, der die Deutsche Telekom in die Liga der Global Player hieve. Er schwärmte den 9500 Aktionären von einem Kundenpotenzial von 150 Millionen US-Bürgern vor. Er räumte ein, dass der Netzaufbau in den USA jährlich rund zwei Milliarden Dollar koste, den Preis pro Neukunde bezifferte er auf 335 US-Dollar. "Das ist deutlich geringer als der Preis pro Kunde, den AT&T Wireless derzeit zahlt."
In der Frage der Fehlbewertung von Telekom-Immobilien um vier Milliarden Mark beantragte DSW-Vertreter Tüngler eine Sonderprüfung. "Wir wollen endlich Klarheit, wir wollen Tabula rasa", sagte er. Beide Aktionärsorganisationen forderten, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. "Wir sind alle stocksauer und werden Sie nicht entlasten", sagte auch Anneliese Hieke, Chefin des Vereins Aktionärinnen. Hieke sah den Bund als Großaktionär in der Verantwortung.
Sommer wies erneut alle Vorwürfe zurück. Zu jedem Zeitpunkt habe der Vorstand rechtlich korrekt gehandelt. Die Ermittlung der Staatsanwaltschaft Bonn werde am Schluss keine Hinweise auf ein Fehlverhalten ergeben, sagte er.
Harsche Kritik am Aktienoptionsplan
Als reinen "Selbstbedienungsladen" bezeichnete Marc Tüngler den Plan des Vorstandes, sich mit Aktienoptionen (Wertpapier-Kaufrechte) selbst zu belohnen.
In dieselbe Kerbe schlug Kleinaktionärsschützer Labryga. Er rechnete vor, dass nach der jetzigen Planung für eine Ausübung der Optionen genügen würde, wenn der Kurs der T-Aktie in den nächsten zehn Jahren nur um ein einziges Prozent jährlich ansteigen würde. Im günstigsten Fall rechnet Labryga, dass jeder Vorstand dadurch 15 bis 20 Millionen Euro kassiert. Sollte der Kurs laut Labryga auf den Ausgabekurs der dritten Tranche von 63,5 Euro steigen, kassiert der Vorstand 607 Millionen Euro.
Sommer verteidigte dagegen das Vorhaben. Es diene zur Motivation der Führungskräfte und der begehrten IT-Experten. Labrygas Rechnung seien reine Zahlenspielereien, die in der Realität nicht eintreten könnten.
Auch die Kritik an dem hohen Preis für die UMTS-Lizenzen ließ der Telekom-Lenker nicht gelten. Er sehe zwar selbst die Kosten als zu hoch an. Er selbst habe bei der EU in Brüssel interveniert, europaweit eine einheitliche und kostengünstige Lösung zu finden - erfolglos. Eine klare Absage erteilte Sommer abermals den UMTS-Mitbewerbern, sich die Investitionen für den Netzaufbau zu teilen.
Sommers Verständnis für die Anleger
Mitgefühl äußerte Sommer mit den Aktionären. Immer wieder betonte er, dass er den Kursverfall der T-Aktie bedauere: "Die derzeitige Bewertung unserer Aktie spiegelt die erstklassige Positionierung und den geschäftlichen Erfolg in keiner Weise wider."
DSW-Aktionärsschützer Tüngler brachte den Unmut der Anleger über Sommer auf den Punkt: "Sie stellen eine konkrete Gefahr für die Aktienkultur in Deutschland dar." Seit Frühjahr 2000 seien 200 Milliarden Euro vernichtet worden. Seit ihrem Höchststand von rund 104 Euro hat die Aktie bis heute mehr als 75 Prozent an Wert eingebüßt.
Dass die Veranstaltung unter besonderen Umständen stattfand, zeigte sich an der ungewöhnlichen Länge von rund elf Stunden und der Zahl der Wortmeldungen vieler Kleinaktionäre, die sich getäuscht fühlten.
Für das Wohl der Vorstände und Aufsichtsräte war nach der Marathonsitzung schon gesorgt: Seit Mittag standen hinter der Bühne mehrere Flaschen Moët & Chandon bereit.
Claas Hennig