Entrepreneure des Jahres (2) - Rentschler Biopharma Gesunde Einstellung

Doktoren-Duo: Vorstandchef Frank Mathias (links) und Eigentümer Nikolaus Rentschler ergänzen sich nahezu ideal
Foto: Fritz Beck für manager magazinSeit 23 Jahren wird von der Beratungsgesellschaft EY (früher Ernst & Young) der Wettbewerb "Entrepreneur des Jahres" veranstaltet. manager magazin ist Partner des Wettbewerbs, bei dem wachstumsstarke und innovative Unternehmen in folgenden fünf Kategorien gekürt werden: Industrie, Konsumgüter/Handel, Dienstleistung, Digitale Transformation und Junge Unternehmen.
Die fünf Sieger werden von einer renommierten Jury (darunter Unternehmer Patrick Adenauer und Bertelsmann-Gesellschafterin Brigitte Mohn) ausgewählt. Außerdem bestimmt die Jury zwei Ehrenpreisträger. Zum einen wird ein erfolgreiches Familienunternehmen geehrt, zum anderen ein Unternehmen für außergewöhnliches soziales Engagement. Die Preise wurden bei einer Gala im Deutschen Historischen Museum in Berlin überreicht. Aus den fünf Kategoriesiegern wird ein Primus inter pares ausgewählt, der Deutschland bei der Wahl zum "World Entrepreneur of the Year" vertritt. Dieses Event, bei dem sich über 50 Landessieger präsentieren, findet im Frühjahr in Monte Carlo statt. Mehr Infos zum Wettbewerb finden Sie hier.
Nikolaus Rentschler (56) tat im Jahr 2016 etwas, was Managern und erst recht Unternehmern gemeinhin schwerfällt. Bis dato war er Chef des Familienunternehmens Rentschler Biopharma SE im oberschwäbischen Laupheim, südlich von Ulm gelegen. "Wir waren damals strategisch gut aufgestellt", sagt er heute. Das Unternehmen hatte und hat in der Pharmabranche einen sehr guten Ruf, ist nahezu weltweit als "The Biopharma Manufacturer" bekannt. "Doch es hat uns an Dynamik gefehlt", sagt Rentschler selbstkritisch. "Man muss seine Schwächen und Stärken kennen."
Seine Schwäche war: Er konnte seinem Unternehmen, seiner Belegschaft keine Impulse mehr geben. Seine Stärke: Er sah das ein und machte im besten Manageralter Platz für einen anderen, einen familienfremden Chef.
Lange suchen musste er nicht, denn er fand ihn in seinem Aufsichtsrat: Frank Mathias (57). Ein erfahrener Pharmamanager, der bei Hoechst angefangen hatte und zuletzt Vorstandschef der Biotechfirma Medigene AG in Martinsried war. Gut verdrahtet in der Branche ist der Mann auch, etwa als Vorstand des Verbandes vfa bio.
Rentschler Biopharma, Laupheim
Der promovierte Biologe Nikolaus Rentschler (56) war bis 2016 CEO des elterlichen Unternehmens. Dann zog er sich in den Aufsichtsrat zurück und übergab an Frank Mathias (57), der in Paris aufwuchs und dort Pharmazie studierte. Mathias war zuvor schon Aufsichtsrat bei Rentschler und Vorstandschef der Medigene AG in Martinsried.
Die Rentschler Biopharma entstand aus einer 1872 gegründeten Apotheke in Laupheim. Heute wird das Unternehmen in fünfter Generation geführt. Mitte der 90er Jahre hat es sich als Auftragsfertiger von Biopharmaprodukten spezialisiert. Heute erzielt Rentschler mit rund 850 Beschäftigten einen Umsatz von knapp 160 Millionen Euro.
Mathias und Rentschler - der Pharmazeut und der Biologe, der Manager mit französischen Wurzeln und der Oberschwabe, der Eloquente und der Bedächtige, der Konzern - erfahrene und der Familienunternehmer: ein in vielerlei Hinsicht ungleiches Paar, aber vielleicht deswegen gut harmonierend.
Mathias sagt: "Ich habe in Herrn Rentschler einen Sparringspartner." Er sei unheimlich stark in der Analyse.
Der Gelobte sitzt daneben und nickt still vor sich hin. Mathias fährt fort: "Wir stimmen uns dauernd ab. Uns interessiert vor allem das, was nicht funktioniert." Und Rentsch ler nickt weiter. Das wirkt vertraut und vertrauenswürdig, selbst wenn man das Showelement ein berechnet, das bei solchen Vorführungen vor Journalisten nicht selten eine Rolle spielt.
Nikolaus Rentschler vertritt die fünfte Generation einer Familie, die stets im Gesundheitssektor unterwegs war. Angefangen hat es 1872, als sein Ururgroßvater in Laupheim eine Apotheke gründete, die es dort heute noch unter dem Namen 7-Schwaben-Apotheke gibt, auch wenn die Familie sie 2012 verkaufte.
Aus den Apothekern wurden in der Silvesternacht 1923/24 Entre - preneure. Denn damals entdeckte Erwin Rentschler, Großvater von Nikolaus, die Rezeptur für das Schmerzmittel Melabon. Weitere Medikamente folgten. Zunächst nur nicht verschreibungspflichtige, nach dem Zweiten Weltkrieg auch rezeptpflichtige.
Jahrzehnte behauptete sich die kleine Pharmafirma auf dem Markt. Doch Mitte der 90er Jahre stand man vor der existenziellen Frage, ob man im Schatten der immer größer werdenden Pharmakonzerne weiter blühen kann.
Radikaler Kurswechsel
Nikolaus Rentschler, der 1992 ins elterliche Unternehmen kam und die ersten Jahre unter seinem Vater Friedrich Erwin arbeitete, sagt heute: "Wir waren damals zu klein, konnten keine Economies of Scale erzielen." Außerdem wurden die Summen für die Entwicklung neuer Arzneimittel immer gigantischer. "Solche Investitionen konnten wir nicht stemmen."
Also verkaufen? Dagegen sprach der schwäbische Unternehmerstolz. Was Neues wagen? Dafür sprach der schwäbische Tüftlergeist.
Die Rentschlers entschieden sich für einen ziemlich radikalen Kurswechsel. Sie stiegen ins CDMOBusiness ein. Das Kürzel steht für Contract Development and Manufacturing Organization. Dahinter steht ein simpler Vorgang: Man entwickelt und produziert Arzneimittel für andere.
Rentschler vergleicht die Entwicklung in der Pharma- mit der in der Autoindustrie, die schon viel früher das Outsourcing betrieb und inzwischen perfektioniert hat. Die großen Pharmahersteller wollen ihre Komplexität senken. Das nutzt Unternehmen wie Rentschler. "Wir produzieren inzwischen alles - vom Gen bis zum Vial", sagt Rentschler. Vial ist eine Ampulle oder auf gut Schwäbisch ein Fläschle.
"Wir waren Pioniere"
Das Unternehmen hatte freilich auch einen technologischen Vorteil. Die Rentschler-Forscher konzentrierten sich früh - Mitte der 70er Jahre - auf Biopharmazeutika, also auf Arzneimittel, die mithilfe lebender Zellen hergestellt werden. "Wir waren Pioniere", sagt Nikolaus Rentschler.
Allerdings sind Biopharmazeutika auch die komplexesten Arzneimittel. Ein solches Medikament ist zum Beispiel 10.000-fach komplexer als ein simples Aspirin. Diese Komplexität wurde zum Wettbewerbsvorteil für Rentschler. Mathias: "Nur wenige Biopharmafirmen beherrschen die Komplexität des Herstellungsprozesses." Deshalb kooperien viele Pharmaunternehmen mit Rentschler.
Praktisch funktioniert die Zusammenarbeit so: Der Kunde kommt mit einer Idee, wie der Antikörper, wie die Zelle, die er für sein Medi kament braucht, aussehen soll. Gemischte Teams treffen sich alle vier bis sechs Wochen. Die Zusammenarbeit kann sich bis zu neun Monate hinziehen, ehe Rentschler den gewünschten Antikörper liefern kann.
Ausgewählte Finalisten
Um seinen technologischen Vorsprung zu halten, hat das Unter - nehmen in den vergangenen Jahren massiv in Personal - rund die Hälfte der 850 Mitarbeiter sind Forscher - und in Maschinen investiert. Es sollen 50 bis 60 Millionen Euro gewesen sein, die zum größten Teil aus dem Cashflow finanziert werden konnten.
Um für die Zukunft gerüstet zu sein, bat Nikolaus Rentschler seinen Nachfolger Mathias, kaum war dieser im Amt, um eine langfristige Strategie. Die Ausgangsfragen waren: Wie wird die Gesellschaft, wie wird unser Unternehmen im Jahr 2025 aussehen?
Suche nach der Strategie
Die Fragenden gingen auf Reisen, führten viele Interviews. Sie sprachen zum Beispiel mit Professoren an der Charité über mögliche Krebstherapien im Jahr 2025, wollten von Headhuntern wissen, wie Leadership aussehen wird, fragten Risikokapitalgeber und Private-Equity-Manager, wo und in was sie dann möglicherweise investieren werden. Und sie baten bestehende wie potenzielle Kunden um ihre Meinung, was sie tun müssen, damit diese auch noch 2025 mit ihnen zusammenarbeiten.
Dieser aufwendige Prozess dauerte 18 Monate. "Und er war sehr teuer", sagt Mathias. Für ein Unternehmen dieser Größenordnung ein Kraftakt.
Heraus kam eine Strategie in sieben Punkten, die auf eine DIN-A4- Seite passten. So ist eine noch engere, noch frühere Zusammenarbeit mit den Kunden aus der Pharmaindustrie geplant.
Zudem wollen die Oberschwaben internationaler werden. In der Nähe von Boston - dem Zentrum der amerikanischen Biotechszene - haben sie dieses Jahr ein Werk gekauft, um dort eine Produktion hoch zuziehen. Immerhin machen die USA schon 40 Prozent des Umsatzes aus. Und auch aus Japan registriert Rentschler zunehmende Nachfrage.
Alles ändert sich - aber eines macht der Unternehmer klar: Rentsch ler soll ein unabhängiges Familienunternehmen bleiben.
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