Netzneutralität Wie Tim Höttges zum Dr. Evil der deutschen Startups wurde

Gaius Iulius Caesar: Timotheus Höttges könnte mit einer einfachen Bewegung des Daumens über Wohl und Wehe von Startups entscheiden
Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpaWolfgang Schäuble könnte in der vorletzten Woche einmal durchgeatmet haben. Über Nacht hat er die Rolle als Dr. Evil der Startup-Szene abgegeben, die er sich mit seinem Entwurf für ein Anti-Angel-Gesetz in der Sommerpause redlich verdient hatte. Sein Nachfolger: Telekom-Chef Timotheus Höttges.
Die Geschichte beginnt im Europaparlament, das über neue Regeln zur Netzneutralität entschieden hat. Es geht darum, "Internetzugangsdienste [...] ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung" und "unabhängig von Sender und Empfänger" zu behandeln.
Netzneutralität bedeutet also auch für die Parlamentarier Schrankenlosigkeit, Diskriminierungsfreiheit, Störungsfreiheit. Doch von dieser Regel soll es Ausnahmen geben. Frage nur ich mich, ob dies logisch möglich ist?
Wie lässt sich Neutralität einschränken, ohne ihren Status als Neutralität zu verlieren? Eine eingeschränkte Neutralität ist ganz einfach keine Neutralität mehr - und damit erklärt sich auch der Aufschrei, der derzeit durch die Internetgemeinde geht. Es geht für uns um nichts weniger als die Auflösung der Netzneutralität, um das Ende von fairem Wettbewerb und gleichen Zugangsbedingungen. Mit der Entscheidung in Brüssel gilt ab sofort das Recht des Stärkeren. Eine historische Fehlentscheidung der Parlamentarier.

Florian Nöll hat seit seiner Schulzeit mehrere Unternehmen in der Digitalen Wirtschaft gegründet. Als Vorsitzender im Bundesverband Deutsche Startups e.V., stv. Vorsitzender des European Startup Network, des Beirats "Junge Digitale Wirtschaft" beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie engagiert er sich für einen Dialog zwischen Start-ups und der Politik.
Die Ausnahmen der Netzneutralität, die die EU erlauben möchte, betreffen vor allem die sogenannten Spezialdienste. Spezialdienste die nach der Vorstellung der Politik über den "normalen" Zugang zum Internet hinausgehen. Vor dem Parlamentsentscheid waren Telemedizin und selbstfahrende Autos beliebte Anwendungsfelder, für die Spezialdienste unverzichtbar sein sollen. Nach der Entscheidung stehen bei der Telekom plötzlich auch Online-Spiele und Videokonferenzen oben auf der Liste der Spezialdienste. Doch auch hier frage ich mich: mit welchen Normalitätsvorstellungen wird hier hantiert? Dass Video-Konferenzen und Online-Spiele heute zum normalen Alltag gehören, würde wohl niemand bestreiten. Trotzdem obliegt es nun den Telekommunikationsanbietern zu entscheiden, was "normal" ist, da die Gesetzgebung sich hier selbst nicht festlegen wollte. Normal, so die Befürchtung, ist damit erst einmal alles, was billig ist.
Die Kernbegriffe der Debatte - Neutralität und Normalität - wurden von den verschiedenen Beteiligten schon so kunstvoll verdreht, dass ich doch immer wieder über die rhetorischen Fähigkeiten der hiesigen Presseabteilungen staunen muss.
Telekom-Chef Höttges behauptet, dass die nun verabschiedete Einschränkung der Netzneutralität die "Zukunftsgarantie" eines "freien, offenen und diskriminierungsfreien" Internets sei. Das gleicht der Behauptung, die Abholzung der Wälder sei die Voraussetzung für eine freie Forstwirtschaft.
Zum Märchenonkel wird Höttges spätestens, wenn er den Startups das neue Telekom-Angebot schön reden will: "Gerade Start-Ups brauchen Spezialdienste, um mit den großen Internetanbietern überhaupt mithalten zu können. Google und Co. können sich weltweite Serverparks leisten, damit die Inhalte näher zu den Kunden bringen und die Qualität ihrer Dienste so verbessern. Das können sich Kleine nicht leisten. Wollen sie Dienste auf den Markt bringen, bei denen eine gute Übertragungsqualität garantiert sein muss, brauchen gerade sie Spezialdienste."
Ich meine: Der Server kann beim Internetnutzer in er Garage stehen. Solange der Telekom die Leitung zwischen Server und DSL-Modem gehört, kommen die bezahlten Daten im Zweifel dennoch schneller und zuverlässiger an.
Deutsche Startups haben schlechte Ausgangsbedingungen
Was mich besorgt, sind jedoch nicht die rhetorischen Fähigkeiten des Telekom-Chefs oder seiner Pressesprecher. Was mich besorgt ist die Zukunft realer deutscher Unternehmen. Hier geht es nicht um Worte, hier geht es um Arbeitsplätze, die in Deutschland entstehen oder nicht entstehen, Innovationen, die hier reifen können oder nicht reifen können.
Deutsche Startups haben im internationalen Vergleich bereits schlechtere Ausgangsbedingungen. Sie haben weniger Kapital, größere bürokratische Hürden und nun sollen sie, die vom Internet abhängen mehr als alle anderen, auch noch für Internetleistungen zahlen. Jede Einschränkung des Zugangs zur Datenautobahn hat direkten Einfluss auf Entstehung und Wachstum junger Unternehmen und damit auch auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands.
Während für große und etablierte Firmen gegen Gebühr die linke Fahrspur reserviert wird, schieben sich Startups in Zukunft über die Landstraße. Es ist naiv zu glauben, dass das ohne Wirkung bleibt. Manche Startups werden nur ausgebremst, andere werden im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können oder - zumindest in Deutschland - gar nicht erst gegründet.
Die Telekom ist selbst sehr aktiv darin, die Innovationen der Startups für sich nutzbar zu machen. Hat etwa ein mangelnder Erfolg dieses Bestrebens zu dem Schluss geführt, sich nun auf anderem Wege an den Startups zu bereichern: als digitaler Wegelagerer.
Startups von Höttges´Gnaden?
Wie das funktioniert, wenn es keine Regeln gibt, hat die Telekom mit Spotify bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Im Rahmen der 2012 gestarteten Kooperation wird das Spotify-Datenaufkommen dem Inklusivvolumen des Tarifs nicht angerechnet, im bereits unneutralen Mobilfunknetz kein Problem. Trotzdem gibt es einen offenen Wettbewerb mit zahlreichen Startups im Musik-Streamingmarkt, oder? Die gleiche Entwicklung steht nun allen Startups bevor: Wir werden zu Startups von Höttges' Gnaden. Im besten Fall wird der Telekom-Chef nur zum Auktionator, der dem meistbietenden den Weg zum Kunden freiräumt. Vielleicht tritt er aber auch in die Fussstapfen von Gaius Iulius Caesar, der mit einer einfachen Bewegung des Daumens über Wohl und Wehe von Startups entscheidet.
Die Freundschaft zwischen Telekom und Startup-Szene musste zuletzt schon Belastungen ertragen. Mit der Neuformierung von T-Venture mit der Verlagerung des Investmentfokusses in die USA konnte man hadern. Aber eine Deutsche Telekom, die nur noch in den USA in Startups investiert und in Deutschland bei diesen abkassiert, provoziert den offenen Bruch. Herr Höttges, wir sollten reden!
Jetzt ist der deutsche Gesetzgeber gefragt: Zuerst muss er das Versagen des EU-Parlaments ausgleichen und zumindest für Deutschland festlegen, was als Spezialdienst in Frage kommt. Und dann sollte er endlich auf seine Aktiendividende, die er als größter Telekom-Aktionär jährlich erhält, und diese direkt in den Glasfaserausbau investieren. Oder gleich sein rund 22 Mrd. Euro schweres Telekom-Aktienpaket verkaufen und den gesamten Betrag in den Netzausbau investieren. Weiterer Vorteil: Die Bundesregierung müsste sich dem Vorwurf nicht aussetzen, dass sie die Telekomstrategie nicht zugunsten der Startups verhindert hat.
Florian Nöll ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Dennoch gibt seine Meinung nicht zwingend die Meinung der gesamten Redaktion wider.