Die tägliche Wirtschaftsglosse Meuchelmord am Heuchelwort
Die Wurzeln liegen, das ist nun keine Überraschung, in Grund und Boden. Als jener bemerkenswerte Förstersohn Hans Carl von Carlowitz anno 1713 mit seiner "Anweisung zur wilden Baum-Zucht" dem Abholzen einen ökonomischen Hintersinn anempfahl (nur so viel, wie nachwächst), war die "nachhaltende Nutzung" in der Welt.
Heute, runde 300 Lenze und Millionen Kettensägeblätter später, wird der daraus abgeleitete Begriff der "Nachhaltigkeit" verwendet und verschwendet, als sei diese verbale Ressource unerschöpflich. Beim Klimagipfel in Kopenhagen, der sich ab dem 7. Dezember über die redselige Distanz von zwölf Tagen erstreckt, wird man das Wort wieder vielstimmig und mehrsprachig vernehmen.
Das Phänomen ist ja allumfassend. Das N-Dogma kann uns lokal, regional, national, global und bald wohl auch intergalaktisch zu einem derbe schlechten Gewissen verhelfen.
Es hat sich zudem eine Lobpreisungsindustrie etabliert, die den Burda-Bambinisten in nichts nachsteht. Seit zwei Jahren verleiht Bundeskanzlerin Angela Merkel den deutschen Nachhaltigkeitspreis, auf dem - genau - Deutschen Nachhaltigkeitstag. Geboten wird - das volle Award-Programm. Mit dem standesgemäßen Referentenspektrum der JF-Sorte (Joschka Fischer, Fachmann für nachhaltiges Geldverdienen; Jane Fonda, Expertin für nachhaltige Faltenbekämpfung) und all jenen, die in der deutschen Nachhaltigkeitslandschaft irgendetwas zu sagen und/oder zu sabbeln haben. Mit hochkarätiger Jury, mehreren Unterkategorien einschließlich einem "Sonderpreis für das recyclingpapierfreundlichste Unternehmen". Wow!
Die Stiftung Utopia kürt unsere "Nachhaltigkeitshelden des Jahres", also so "nachhaltig agierende Menschen und Institutionen". Geboten wird - das volle Award-Programm. Mit Haupt- und Kategoriejury (sieben), mit Haupt- und Kategoriesponsoren, für die nebenbei fleißig getrommelt wird. So gilt den Veranstaltern im Falle des Medienpartners "Taz" als Nachhaltigkeitsbeleg nicht zuletzt die Tatsache, dass das Presseorgan einen "eigenen köstlichen und noch dazu biologisch angebauten und fair gehandelten Kaffee" (1 Kilo Bohnen: 16 Euro) vertreibt. Heiß!
Es gibt einen nachhaltigen Finanzratgeber, aufgeschrieben von einer Fachberaterin für nachhaltiges Investment (Botschaft: "Gier frisst Hirn"). Und der Bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) ersann doch glatt den ersten Online-Nachhaltigkeitsgipfel, auf dem man "nachhaltig über Nachhaltigkeit diskutieren" wollte, und zwar mithilfe der "textbasierten OpenSpace-Online-Echtzeit-Konferenzenmethode". Toll!
Alle eint das Ziel, einen "nachhaltigen Lebensstil" populärer zu machen. Im Prinzip okay, aber wir ahnen, wo das enden könnte: bei einer Lebenswandelstrafsteuer und einem Nachhaltigkeitspranger - für die chronisch Kurzatmigen, unverbesserlich Drauflos-Lebenden und Sich-nichts-dabei-Denker dieser Erde.
Wäre ja alles halb so schlimm, würden mit der Nachhaltigkeitsmissionierung auch politische Großtaten einhergehen. Aber der Praxistest führt oft schnurstracks in die Abgründe der Heuchelei. Rekordstaatsschulden zum Beispiel, mithin Leben auf Kosten der folgenden Generationen, haben mit Nachhaltigkeit so wenig gemein wie das manische Kostenkürzen des Autobauers GM bei seiner Tochter Opel oder der Einsatz von Laubbläsern bei orkanartigen Böen.
Bekannte Denkmuster müsse man hinter sich lassen, bewirbt ein ökologisch hoch stehender Verlag seine Bücher über "nachhaltiges Leben und Wirtschaften". Und fügt gleich an: "Wir liefern pünktlich zum Weihnachtsfest". Auf das richtige Timing kommt es in der Tat auch im Nachhaltigkeitsbusiness an. Wer nachhaltig schenkt, rät eine Lebensplanungsexpertin, sollte sich schon im November (oder vorher) kümmern.
Tja, dafür ist es jetzt leider zu spät.
Am Ende des Vortages: Danke, Robert de Niro - die Glosse vom 30.11.