Mangelwirtschaft Als Nächstes droht die Aluminiumkrise

Weil China seit Wochen kaum noch Magnesium liefert, wird weltweit das Aluminium knapp. Betroffen sind vor allem Autobauer, aber auch viele andere Branchen. Verbände warnen bereits vor dem drohenden Verlust von Millionen Jobs.
Aluminium-Produktion in Sibirien: Das Metall wird weltweit knapp

Aluminium-Produktion in Sibirien: Das Metall wird weltweit knapp

Foto: REUTERS

"Die Situation ist dramatisch", sagt Marius Baader. "Die Preise für Magnesium und Aluminium sind bereits exorbitant gestiegen. Die Versorgungslage ist schon heute extrem schwierig, mit der Gefahr, dass die Lage in den kommenden Monaten noch deutlich schwieriger wird."

Baader ist Geschäftsführer des Verbandes Aluminium Deutschland e.V., in dem sich hiesige Aluminiumunternehmen zusammengeschlossen haben. Was er beschreibt, ist eine seit einiger Zeit entstehende neue Variation des Phänomens Mangelwirtschaft, das Unternehmen rund um den Globus und insbesondere in Deutschland zu schaffen macht: die zunehmende Verknappung von Magnesium auf dem Weltmarkt, und damit einhergehend der immer größer werdende Mangel an Aluminium, das als Material in beinahe allen Bereichen des produzierenden Gewerbes in immer größerem Umfang zum Einsatz kommt.

Hintergrund ist eine Entscheidung der Politik in China: Weil auch die Volksrepublik mehr und mehr den Klimawandel im Blick hat, wurden die Aktivitäten von Kohlekraftwerken des Landes eingeschränkt - zulasten vieler Industriebetriebe. Insbesondere die Magnesium-Produktion des Landes kam deshalb zeitweise bereits beinahe zum Erliegen. Und das bekommt die gesamte Weltwirtschaft vor allem in Form einer zunehmenden Aluminiumverknappung zu spüren. Schließlich ist China mit einem Marktanteil von beinahe 90 Prozent mit großem Abstand größter Magnesium-Produzent der Welt, und Magnesium wird als Bestandteil vieler Aluminiumlegierungen für die Produktion des Leichtmetalls dringend benötigt.

"Die Abhängigkeit der globalen Magnesium-Versorgung von den chinesischen Exporten ist sehr hoch", heißt es dazu schon 2019 in einer Studie der zum Bundeswirtschaftsministerium gehörenden Deutschen Rohstoffagentur. Neben China trat auf dem Weltmarkt seinerzeit nur noch Israel als Nettoexporteur auf. "Alle anderen Produktionsländer benötigen mehr Magnesium, als sie selbst produzieren."

Dabei sei Deutschland innerhalb der EU der bedeutendste Verwender von Magnesium, so die Deutsche Rohstoffagentur weiter. Global benötigen demnach nur China, die USA und Russland größere Mengen des Materials als Deutschland.

Vor allem Autobauer betroffen

Kein Wunder also, dass Verbandschef Baader im aktuellen Engpass Deutschland besonders stark in der Bredouille sieht. "Die Perspektive für 2021 ist dramatisch", sagt er. "Schon jetzt sind längerfristige Kontrakte für Magnesium-Lieferungen im Jahr 2022 kaum zu bekommen. Garantien für die Lieferung gibt es jedenfalls nicht, angesichts der großen Unsicherheit im Markt." Das Problem werde sich in nächster Zeit zunehmend bis in die Fertigung von Endprodukten wie Autos, Fensterrahmen oder Lebensmittelverpackungen ausbreiten, so der Branchenkenner. "Irgendwann können Produkte dann womöglich nicht mehr geliefert werden."

Das erinnert an die Chip-Krise, die bereits seit Monaten die Autoproduktion in Deutschland belastet. Hersteller wie Volkswagen oder Daimler mussten schon Kurzarbeit einführen oder Produktionen zeitweise vollends stoppen, weil ihnen die nötigen Halbleiterchips fehlten. Steht so ein Szenario also auch aufgrund des zunehmenden Alumangels bevor? "Es wäre naiv, nicht damit zu rechnen", so Verbandschef Baader.

"Wir werden auf jeden Fall einen Abriss in der Magnesium-Versorgung bekommen", sagt auch Lars-Peter Häfele, Rohstoffexperte der auf Lieferketten spezialisierten Beratungsfirma Inverto. "Es gibt schon jetzt Exportbeschränkungen der chinesischen Regierung. Und noch ist völlig unklar wie lange sich die Verknappung hinziehen wird." Auch Häfele bekommt die Auswirkungen der aufziehenden Krise in seinem Arbeitsalltag schon zu spüren. "Lieferanten geben bei Ausschreibungen bereits keine Angebote mehr ab, weil sie unsicher sind, ob sie neues Geschäft künftig überhaupt bedienen können", sagt er. "Einige unserer Kunden gehen aktiv auf ihre Lieferanten zu und versuchen zu verstehen, wie groß das Problem ist, das da auf sie zukommt."

Ziemlich groß offenbar. Der Grund dafür, dass ausgerechnet Deutschland so sehr auf das Magnesium aus China angewiesen ist, liegt vor allem in der hierzulande starken Autoindustrie, der Branche, mit dem höchsten Aluminiumbedarf. "Wegen der starken Autoindustrie ist Deutschland von dem Aluminium-Problem stärker betroffen als viele andere Länder", bestätigt Häfele. "In Deutschland gehen 47 Prozent des Aluminiums in den Fahrzeugbau, in anderen Ländern nur etwa 23 Prozent."

Hintergrund: Aluminium wird als Material in zunehmendem Maße in vielen verschiedenen Branchen und Produktionsprozessen eingesetzt. Deutschland produziert jährlich mehr als eine Million Tonnen des Leichtmetalls, wobei das dafür benötigte Magnesium nahezu ausschließlich aus China bezogen wird. Gebraucht wird in der hiesigen Industrie allerdings mehr als die dreifache Menge an Aluminium, weshalb der größte Teil davon importiert werden muss.

"Dauerhaft ein latentes Problem"

Hauptverwender von Aluminium in Deutschland ist die Autoindustrie, auf die jene beinahe 50 Prozent des Gesamtverbrauchs entfallen. 150 Kilogramm Aluminium stecken in einem herkömmlichen Pkw, beim Elektroauto sind es sogar bis zu 600 Kilogramm. Autobauer verbauen Aluminium in Karosserien, Fahrwerken, Motorblöcken, Getrieben, Heckklappen, Türen, Felgen, Zylinderköpfen, Rädern und vielem mehr.

"Der Magnesium-Engpass hat aktuell Auswirkungen auf die gesamte Aluminium-Wertschöpfungskette und alle mit ihr verbundenen Industrien", teilt eine Sprecherin des Automobilverbandes VDA auf Anfrage mit. "Die Unternehmen der Automobilindustrie analysieren aktuell ihre Lieferketten mit dem Ziel, die Versorgung sicherzustellen."

Aber auch andere Branchen setzen das Metall zunehmend ein, etwa die Bauindustrie für Haustüren, Fenster, Wintergärten und anderes, die Lebensmittelindustrie, beispielsweise für Verpackungen, oder die Elektrotechnik sowie der Maschinenbau. Sie alle machen sich die zahlreichen Vorteile des Aluminiums zunutze: Das Material ist leicht, was in vielen Anwendungen den Energieaufwand sowie die Kosten senkt. Es ist belastbar und hat eine lange Lebensdauer. Darüber hinaus ist Aluminium hitze- und kältebeständig und hat keinen Eigengeschmack - Eigenschaften, die vor allem bei der Produktion von Verpackungen für Lebensmittel von Vorteil sind.

Zwar gibt es Lichtblicke in der Versorgungslage: Zuletzt hat China die Magnesium-Produktion Berichten zufolge  angeblich zumindest zum Teil wieder hochgefahren. Neben dem Magnesiumpreis gab auch der Aluminiumpreis in jüngster Vergangenheit wieder etwas nach, nachdem in der Volksrepublik Pläne zur Deckelung des Kohlepreises sowie zur Ausweitung der Kohleproduktion bekannt wurden. Zur Orientierung: Von April 2020 bis Mitte Oktober dieses Jahres hatte sich beispielsweise der Preis für Aluminium zuvor auf deutlich mehr als 3000 Dollar je Tonne mehr als verdoppelt - es ist das höchste Niveau seit mehr als zehn Jahren.

Ob die jüngste Entspannung ein Grund zur Freude ist, erscheint jedoch fraglich. "Die Energieverknappung in China wird in den kommenden Monaten dauerhaft ein latentes Problem bleiben", meint Daniel Briesemann, Rohstoffanalyst bei der Commerzbank. Seiner Ansicht nach dürfte es während des Winters immer wieder zur Drosselung der Energie für die Industrie in der Volksrepublik kommen, damit die Bevölkerung ausreichend heizen kann. Auch das Thema CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke werde kaum wieder von der Bildfläche verschwinden, so der Experte. Die Industrie müsse daher auf Dauer mit Problemen bei der Magnesium-Versorgung rechnen.

Hat die Politik versagt?

Schuld an der Misere ist nach Ansicht von Aluminium-Verbandschef Baader allerdings nicht nur die Politik in China, sondern insbesondere auch die in Berlin. Die Bundesregierung habe in der Vergangenheit nichts gegen die zunehmende Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft bei der Versorgung mit Magnesium aus Fernost unternommen, sagt er.

Das sieht der Europäische Aluminium-Verband European Aluminium ähnlich. Gemeinsam mit verschiedenen weiteren Industrievereinigungen richtete der Verband vor wenigen Tagen einen "Notruf"  an die Politik und forderte Maßnahmen gegen das unmittelbare Risiko europaweiter Produktionsausfälle als Konsequenz aus der Magnesium-Verknappung vonseiten Chinas. Ohne sofortige Eingriffe der Europäischen Union seien tausende Betriebe in Europa, deren gesamte Lieferketten sowie Millionen Jobs bedroht, so die Verbände.

Ein Appell, dem sich die hiesige Autoindustrie offenbar anschließt: "Die Europäische Kommission und die deutsche Regierung müssen nun kurzfristig und gemeinsam mit dem wichtigsten Magnesium-Exporteur China auf Maßnahmen hinarbeiten, um den Engpass zu beheben", so die Sprecherin des VDA. "Zudem bedarf es langfristig einer industriepolitischen Strategie Deutschlands und Europas, um den Zugang zu wichtigen Industriemetallen zu sichern."

Die Krux bei dem Ganzen: Zwar gibt es Magnesium-Vorkommen in vielen Ländern weltweit, etwa in Russland, der Türkei oder Australien. Bis dort Abbaukapazitäten aufgebaut wären, auf die hiesige Abnehmer switchen könnten, würden jedoch Jahre vergehen. Bestes Beispiel ist eine Magnesium-Mine, die in Rumänien derzeit kurz vor der Inbetriebnahme steht. "Selbst wenn dort heute grünes Licht für den Start gegeben würde, könnte die Mine frühestens 2025 produzieren", sagt Aluminium-Verbandschef Baader.

Das bedeutet: In den nächsten drei bis vier Jahren wird die deutsche Wirtschaft wohl auf jeden Fall noch auf Magnesium-Lieferungen aus China angewiesen sein. Es gibt schlicht keine Alternative, ganz gleich, wie stark sich die Aluminium-Krise in nächster Zeit verschärfen wird.

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