Alles an einem Strang
Alles lief nach Plan. Während einer zwölfstündigen Marathonsitzung am Samstag, dem 3. April, sollte die Übernahme des NRW-Kabelbetreibers Ish durch die Münchener Gesellschaft Kabel Deutschland (KDG) notariell beurkundet werden. Da entdeckten die versammelten Rechtsvertreter einen wichtigen Formfehler: In dem Vertragswerk fehlte die rechtsgültige Vollmacht eines britischen KDG-Managers.
Eilends beauftragte der Notar einen befreundeten Kollegen in London. Der holte die fehlende Signatur schließlich in der englischen Grafschaft Kent ein - die gesuchte Führungskraft weilte gerade bei der Schwiegermutter zum Tee.
Pleiten, Pech und Pannen - das TV-Kabel sorgt seit Jahrzehnten hinter den Kulissen für mehr Spannung als auf dem Bildschirm. Ex-Postminister Christian Schwarz-Schilling, der die Republik mit den Koax-Strängen durchziehen ließ, schaufelte ein Milliardengrab. Als die Deutsche Telekom im Jahr 2000 Teile des Kabelgeschäfts veräußerte, gingen fast alle ausländischen Investoren anschließend Bankrott.
Trotz der traurigen Vergangenheit wagen die Konsorten von Kabel Deutschland jetzt einen Neuanfang. Im März 2003 hatte das Trio Goldman Sachs Capital, Apax Partners und Providence Equity von der Telekom sechs Kabelregionen für 1,7 Milliarden Euro erworben. Im April nun rundeten die Finanzinvestoren ihr Sortiment ab und kauften die drei restlichen Gebiete Nordrhein-Westfalen (Ish), Baden-Württemberg (Kabel BW) und Hessen (Iesy) für 2,7 Milliarden Euro (siehe Karte Seite 88).
Wie zu alten Telekom-Zeiten gibt es künftig in Deutschland nur noch einen bundesweiten Betreiber - vorausgesetzt, das Kartellamt segnet im Herbst die Übernahmen ab.
Die Finanzinvestoren treibt die Vision, einen neuen Hoffnungswert zu kreieren, einen Konzern mit Dax-Potenzial. Sechs Milliarden Euro ist die KDG schon heute wert, schätzen Experten. "Mit fast 18 Millionen Kunden wären wir nach Comcast in den USA weltweit die zweitgrößte Kabelfirma", schwärmt Roland Steindorf (50). Der KDG-Geschäftsführer hält zusammen mit 29 Managern 4,5 Prozent der Firmenanteile.
Schiere Größe reicht indes nicht aus, um aus Kabel Deutschland eine Erfolgsstory zu machen. Nirgendwo sonst auf der Welt legen Partikularinteressen den technischen Fortschritt so lahm wie hier zu Lande, nirgends wird der Ausbau des Programmangebots so hartnäckig verhindert:
m Die Ausbreitung des digitalen Kabelfernsehens, das über 300 TV-Kanäle erlaubt, kommt nicht voran, weil sich vor allem große Privatsender wie RTL, Sat. 1 und Pro Sieben bislang weigerten, das Digitalnetz mit ihren Programmen zu bestücken.
m Die KDG hat nur zu einem Drittel ihrer Kunden direkte Geschäftsbeziehungen. Um neue TV-Pakete zu vermarkten, ist sie auf die enge Kooperation mit zahllosen Wohnungsbaugesellschaften und rund 6000 kleineren Kabelgesellschaften angewiesen, die die letzte Meile zum Endkunden beherrschen (siehe Grafik Seite 88 links).
Ein echtes Wagnis: Im Jahr 2000 war bereits US-Investor Richard Callahan mit seinen Kabelzukäufen in Nordrhein Westfalen und Baden-Württemberg grandios gescheitert. US-Medienmogul John Malone rettete nur der Einspruch des Bundeskartellamts 2002 vor einem Fehleinkauf. Er wollte für sechs Standorte 5,5 Milliarden Euro hinblättern.
Überzogene Einstiegskosten und abenteuerliche Geschäftspläne führten dazu, dass sowohl Callahan als auch die hessischen Investoren Klesch/NTL Insolvenz anmeldeten.
Die Herren der KDG treten ein schweres Erbe an. Der Kabelmarkt ist komplex organisiert und harter Konkurrenz ausgesetzt. Über 14 Millionen deutsche Haushalte empfangen bereits via Satellitenschüssel ihr Fernsehprogramm und entrichten dafür keinen Obolus. Auch die knapp drei Millionen Haushalte, die bislang über ihre Antenne nur fünf bis sechs Sender empfangen können, sind für die Kabelwerber weitgehend verloren. Zurzeit wird bundesweit der neue terrestrische Standard DVB-T eingeführt. Der digitale Antennenempfang erfordert zwar den Kauf einer so genannten Set-Top-Box, bringt den Zuschauern aber 20 bis 24 Programme ohne Zusatzgebühr ins Haus.
Trotz des harten Wettbewerbs durch Satellit und Antenne sind die KDG-Macher voller Optimismus. "Wir erwecken das Kabel aus dem Dornröschenschlaf", verspricht Steffen Kastner, Executive Director bei Goldman Sachs International.
Zumindest Teil eins des Investorenplans ist aufgegangen: KDG bekam das deutsche Kabelnetz zum Schnäppchenpreis von 4,4 Milliarden Euro. Vor vier Jahren wurde der Wert der Telekom-Infrastruktur noch auf zehn Milliarden Euro taxiert.
Zustande kam der Neustart des Kabelgeschäfts durch die Initiative eines Mannes, den kein Marktteilnehmer auf dem Ticket hatte: Roland Steindorf. Monatelang putzte der frühere CLT-Manager die Klinken in den europäischen Finanzhochburgen, um Investoren von der Zukunftsfähigkeit des deutschen Kabels zu überzeugen. Als Consultant beriet Steindorf einst auch Callahan und die Telekom in Sachen Digital-TV.
Der Coup gelang. Providence, Apax und Goldman Sachs erklärten sich bereit, zu je einem Drittel 95,5 Prozent der KDG-Anteile zu übernehmen. Im März 2003 erhielten die Konsorten den Zuschlag der Telekom für den Erwerb der sechs verbliebenen Kabelregionen.
Doch Steindorf wollte von Anfang an mehr. "Nur als bundesweiter Betreiber sind wir attraktiv genug, um die Programmanbieter ins Kabel zu locken", sagt der auslandserfahrene Marketingprofi (Procter & Gamble).
Monatelanger Preispoker mit Ish, Iesy und Kabel BW folgte, ehe Anfang April die Verträge unterzeichnet wurden. Mit gedämpftem Optimismus warten die Kabelkäufer nun auf den Segen des Bundeskartellamts im September.
Die wiedervereinigten Kabelgesellschaften stünden ganz passabel da. Mit nahezu 18 Millionen Kunden erzielen sie einen Umsatz von 1,875 Milliarden Euro und einen Gewinn (vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von gut 700 Millionen Euro.
Drückend ist freilich die Schuldenlast: 4,2 Milliarden Euro, die zum Teil über hochverzinsliche Bonds finanziert werden müssen. "Bei einem freien Cashflow von 30 Prozent kann da jedoch nicht viel passieren", urteilt ein Insider. Eine solche Finanzlage löse bei den Ratingagenturen allenfalls gelangweiltes Gähnen aus.
Und im Kerngeschäft von KDG, der Verbreitung von TV-Programmen, ist das Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Das Gros der Kabelkunden empfängt derzeit nur die rund 30 analog übertragenen Programme. In den Koaxial-Strippen steckt noch viel mehr. Über 100 digitale Programme könnte die KDG in die Wohnzimmer schicken. Der Zuschauer benötigt für den Empfang ein Zusatzgerät, das es für rund 100 Euro im Handel gibt.
Der Kaufanreiz ist freilich gering. Nur 40 digitale Sendeplätze sind bislang von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF, dem Bezahlkanal Premiere sowie durch Auslandssender und Exotenanbieter (Einstein-TV) belegt. Die großen Privatsender wie die RTL-Gruppe oder Pro Sieben Sat. 1 sperren sich - noch - gegen die digitale Einspeisung.
Aus gutem Grund. Im analogen Kabel ist die Konkurrenz um TV-Werbeeinnahmen (Wert 2003: 3,8 Milliarden Euro) weitaus geringer als im Digital-TV mit seinen 100, künftig sogar 300 Kanälen. Zudem hat das Gros der privaten TV-Anstalten noch keine speziellen Spartensender und Pay-Pakete entwickelt, die sie neben ihren Standardprogrammen anbieten könnten.
Die Digitaltechnik ermöglicht nicht nur Bezahlfernsehen à la Premiere, sondern auch ganz neue Vertriebsformen. Etwa so genannte Push-Services: Über Nacht werden dem TV-Seher Soaps, Konzerte oder Hollywood-Schinken überspielt, die er gegen Gebühr abrufen kann.
"Die Privaten können sich im Digital-TV mit Pay-Offerten völlig neue Einnahmequellen erschließen und ihre Abhängigkeit von Werbeeinnahmen verringern", umwirbt Steindorf die zaudernden Fernsehmacher. Sehnsüchtig blickt er in die USA, wo Kabelbetreiber bereits bis zu 280 Kanäle mit TV-Ware füllen.
Immerhin, Pro-Sieben-Sat.1-Eigner Haim Saban hat bereits signalisiert, dass er Millionen von Kabelkunden nicht ignorieren könne. Derzeit laufen Verhandlungen, zu welchen Konditionen der Privatsender seine Programme digital bereitstellen würde.
Ein solcher Vertrag wäre für Steindorf der Durchbruch. In den USA geben Kabelkunden bis zu 50 Dollar monatlich für ihren Anschluss aus. Die KDG hingegen nimmt pro Monat bescheidene 7 Euro je angeschlossenen Haushalt ein.
Die Steigerung des Umsatzes pro Kunden ist das einzige große Wachstumsfeld des deutschen Kabelbetreibers. Schon heute erwirtschaftet die Gesellschaft 85 Prozent ihrer Erlöse mit Anschlussgebühren.
Die Resteinkünfte der KDG sind vernachlässigbar. Die TV-Sender zahlen so gut wie nichts für die Verbreitung ihrer Programme im Kabel (70 Millionen Euro im Jahr 2003). Und die kleinen Kabelgesellschaften, die die Programme vom KDG-Netz ins Wohnzimmer leiten, führen nur bescheidene Beiträge für die technische Vorleistung ab.
Das Geschäftsmodell von Kabel Deutschland steht und fällt mit der erfolgreichen Vermarktung des Digital-TV. Nur ein Mehr an Programmen erlaubt das Schnüren spezieller Programmpakete, für die Kunden eventuell extra zahlen. Überdies könnte die KDG zahlreiche Dienstleistungen für kleinere TV-Sender übernehmen, etwa Kundenbetreuung und Rechnungsstellung.
Vor dem erhofften Börsengang in etwa vier Jahren steht mühsame Kleinarbeit an. Neben der Ausweitung ihres Digitalangebots muss die KDG rund 6000 kleinere Kabelgesellschaften für ihre Offerten begeistern. Nur über lokal operierende Firmen wie Tele Columbus und Bosch Breitbandnetze sowie zahlreiche Unternehmen der Wohnungswirtschaft haben die Münchener Zugang zu zwei Dritteln der fast 18 Millionen angeschlossenen Haushalte.
Tele Columbus, den größten der so genannten Netzebene-4-Betreiber, hat Steindorf bereits geknackt. Er wird bei 1,5 Millionen seiner angeschlossenen Haushalte die digitalen KDG-Angebote vermarkten. Den anderen Betreibern steht es künftig allerdings noch frei, ihr gesamtes Programm oder Teile davon über Satelliten-Kopfstationen einzuspeisen. Bosch beispielsweise holt sich bereits eine Vielzahl digital ausgestrahlter Sender aus dem All und bietet sie den 1,3 Millionen angeschlossenen Haushalten an.
Als wäre nicht alles schon schwierig genug, versucht KDG-Chef Roland Steindorf, die TV-Sender und seine Kabelpartner auf ein neues Vertriebsmodell einzuschwören: verschlüsseltes Fernsehen.
Wie beim Bezahlkanal Premiere sollen künftig alle digital ausgestrahlten Programme nur mithilfe einer Smartcard zugänglich sein. Der Empfang freier TV-Sender wäre weiterhin kostenlos, der Kunde müsste an die KDG nur eine einmalige Freischaltgebühr entrichten.
Vordergründig argumentiert Steindorf mit der hohen Zahl von Schwarzsehern im Kabelfernsehen - sie geht nach Schätzungen von Marktkennern in die Hunderttausende. Nicht angemeldet und ohne Zugangskärtchen bliebe für die Kabelpiraten die Mattscheibe dann wirklich schwarz.
Der eigentliche Grund für die Verschlüsselungskampagne ist jedoch vielschichtiger. Wenn sich jeder Kabelkunde wie beim Mobilfunk- oder Internetanschluss registrieren lassen muss, verfügt die KDG erstmals über einen direkten Kundenzugang. Sie kann das Nutzungsverhalten der Haushalte auswerten und spezielle Offerten entwickeln.
"Der analoge Kabelkunde ist nichts wert. Nur wenn sich Zielgruppen adressieren lassen, kann die KDG ihren Wert als Werbe- und Verkaufsplattform erhöhen", sagt Franz Arnold (62), einst Kabelverkäufer der Telekom und heute Beirat bei Ish.
Noch stößt das Kalkül der KDG auf wenig Gegenliebe. Noch verwahrt sich die Mehrzahl der TV-Sender und lokalen Kabelfürsten gegen die so genannte Grundverschlüsselung ihrer Programme, weil sie für sich keine Vorteile sieht. Erste Verhandlungserfolge lassen jedoch hoffen, dass Deutschlands Kabelprimus Programmanbieter und Vertriebspartner am Ende von seiner digitalen Produktpalette überzeugen kann.
Dann muss nur noch König Kunde das Zusatzangebot honorieren. Und dies, so zeigt der mäßige Erfolg von Premiere digital, wird für Kabelbaron Steindorf die wohl größte Herausforderung. Anne Preissner
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Vielfalt und Wahlfreiheit
Neue Programme: Durch die Digitalisierung der TV-Signale lassen sich derzeit im Kabel über 100 Fernsehprogramme in DVD-Qualität ausstrahlen. In technisch aufgerüsteten Netzen sind die Verbreitung von über 300 Kanälen sowie ein schneller Internetzugang möglich.
Neue Hardware: Zum Empfang von Digital-TV ist ein Receiver erforderlich, der künftig ins Fernsehgerät integriert wird. In komfortablere Geräte ist gleich ein digitaler Videorekorder mit eingebaut, der über 100 Stunden Programm speichert.
Neue Dienste: Elektronische Programm- führer (EPG) ersetzen die TV-Zeitschrift und erlauben gezieltes Zappen. Per Knopfdruck lassen sich Werbeblöcke überspringen, zeitversetzt Sendungen empfangen und Wunschfilme abrufen.