
Der Montag im Überblick Wolfsburger Rochaden und ein vergiftetes Geschenk

Liebe Leserin, lieber Leser,
als Oliver Blume Anfang September 2022 Herbert Diess als Nummer eins des Volkswagen-Konzerns ablöste, standen die Aufräumarbeiten bei der konzerneigenen Softwaretochter Cariad ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Nichts sei wichtiger, trug er seinen Topfrauen und -männern damals auf. Der Appell war bitter nötig. Bis dahin hatte die erst 2020 gegründete Einheit bereits Milliarden verschlungen. Der Start wichtiger Modelle wie des Porsche Macan und des Audi Q6 e-tron war da schon um gut zwei Jahre verschoben worden.
Geändert hat sich seit Blumes Start aber offenbar viel zu wenig. Wenn die Vorstände von Porsche und Audi sich heute nach dem Entwicklungsstand ihrer wichtigsten Baureihen erkundigen, hören sie noch immer beunruhigende Zahlen: mehr als 2000 Fehler, drei Viertel davon Softwareprobleme. Für Anfang 2024 ist die Markteinführung von Macan und Q6 nun geplant, aber immer noch gibt es keine fertige Elektronik- und Softwarearchitektur.
Nun zieht Konzernchef Blume, der als Kopf von Volkswagen und Porsche gleich doppelt getroffen ist, die Notbremse. Er wechselt die Cariad-Spitze aus – und vereinbart, eher für die Zukunft, auch gleich eine neue Techallianz. Beim autonomen Fahren soll der Konzern künftig mit dem israelisch-amerikanischen Konzern Mobileye zusammenarbeiten. Es ist der Versuch, mit einem radikalen Neustart die Dauerprobleme endlich in den Griff zu bekommen. Unser VW-Insider Michael Freitag hat die Hintergründe des radikalen Schnitts für Sie recherchiert und zusammengetragen.

Aufräumer: Volkswagen-Chef Oliver Blume greift bei Cariad durch
Foto: Andreas Gebert / REUTERSDie Wirtschaftsnews des Tages:
Männer von gestern und morgen: In den Türmen der Frankfurter Banken gilt Helmut Gottschalk als einer, dem die großen Linien fremd sind und dem die kleinen Dinge dafür umso mehr am Herzen liegen. Der Aufsichtsratschef der Commerzbank verbiss sich lieber in Themen wie den Auslastungsgrad von Fahrerpools und der Vorstandsrestaurants statt sich um die strategische Positionierung des Geldhauses zu kümmern. Ende Mai muss er nun gehen, obwohl er gern weitergemacht hätte. Wie er seinem Nachfolger, dem früheren Bundesbankpräsident Jens Weidmann, den Start erschwert, schildert Ihnen unsere Finanzkorrespondentin Katharina Slodczyk.
Blauer Brief nach Brüssel: Die von der EU-Kommission entworfenen neuen Gesetze zum Datenaustausch sorgen in den Führungsetagen deutscher Techkonzerne für Aufregung. EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen bekam nun unter anderem Post von Siemens-Chef Roland Busch und SAP-Lenker Christian Klein, weil diese gegenüber chinesischen Konkurrenten gravierende Wettbewerbsnachteile fürchten. Was die Techgranden umtreibt, lesen Sie hier.
Ende einer Hängepartie: Beim Immobilienkonzern Vonovia galt Helene von Roeder lange als Zukunftswert. Solange jedenfalls, bis das Unternehmen vor rund zwei Jahren mit dem Konkurrenten Deutsche Wohnen zusammenging. Anschließend musste die gelernte Investmentbankerin ihren Job als CFO an den Finanzmann des Fusionspartners Philip Grosse abgeben und sich mit dem Titel des Chief Transformation Officers bescheiden. Nun ist ihre Zukunft geklärt. Anfang Juli fängt sie in alter Funktion beim Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen Merck an. Die Einarbeitungszeit dürfte überschaubar sein. Seit 2019 saß von Roeder schon im Aufsichtsrat der Dax-Firma, die im Übrigen bereits ihr Onkel Karl-Ludwig Kley anführte. Manche Dinge bleiben eben in der Familie.
Was uns sonst noch beschäftigt hat:
Über die Zukunft des Supermarktregals: Die Schwarz Gruppe betreibt mit Lidl und Kaufland das größte Handelsimperium Europas, schickt Containerschiffe um die Welt und bekämpft Cyberkriminalität. Bald könnte ein weiteres Geschäftsfeld hinzukommen, mit dem der Konzern derzeit in der Wüstenlandschaft von Kuwait experimentiert. Das Zauberwort lautet Vertical Farming. Der Anbau von Obst und Gemüse, am besten künftig in unmittelbarer Nähe der über 13.000 Filialen des Billigimperiums, könnte viele Probleme lösen. Was der Vision noch im Wege steht, haben meine Kollegen Margret Hucko und Martin Mehringer aufgeschrieben.

Grün und Hightech: Vertical Farm im japanischen Kyoto (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2019), wo täglich 30.000 Salate geerntet werden. Auch Lidl testet dieses Geschäftsfeld jetzt in Kuwait.
Foto: Charly Triballeau / AFPMeine Empfehlung für den Abend:
Die zweite Karriere des Stephan Sturm: Er ist gekommen, um zu schlichten. Seit Anfang April führt Sturm die Geschäfte der Familienstiftung des Münchner Industriellenclans der Thieles. Ein heikler Job für den Mann, der vor etwas mehr als einem halben Jahr sein Amt als CEO des Gesundheitsdienstleisters Fresenius abgeben musste. Nicht weil es um die Verwaltung eines der größten Industrievermögen der Republik geht, sondern weil die Lage unübersichtlich ist und die Erben heillos zerstritten sind. Diplomatisches Geschick gehört zum Jobprofil des frisch bestallten Friedensrichters. Mitleid aber erscheint unangebracht. Die Entlohnung ist üppig, die Arbeitszeit überschaubar.
Ich wünsche Ihnen einen angeregten Abend. Herzliche Grüße, Ihr Dietmar Palan
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