
Newsletter "Der Tag" Der Tag mit dem falschen Mann für Wirecard
Liebe Leserin, lieber Leser,
jeden Abend fassen wir die wichtigsten Wirtschaftsnews des Tages zusammen. Heute mit verzweifelten Rettungsversuchen bei Wirecard, einem rettenden Kompromiss bei MAN und einem Topjob bei Apollo, der nicht mehr zu retten war.
Es ist zweifellos einer der großen Krimis der deutschen Wirtschaftsgeschichte: der Bilanzskandal um Wirecard. Und eines der spannendsten Kapitel spielte im Juni 2020, kurz vor der Pleite. Die Frage, die sich dabei stellt: War der Untergang des Zahlungsdienstleisters nach Bekanntwerden des Milliardenlochs wirklich unvermeidlich? Immerhin verfügte Wirecard über ein im Kern funktionierendes Geschäftsmodell und echte Kunden, die Millionenumsätze lieferten.
Meine Kollegin Katharina Slodczyk hat die entscheidenden Tage im Hause Wirecard minutiös nachrecherchiert. Sie liefert das Protokoll einer versuchten Rettung durch einige engagierte Führungskräfte und Berater. Angeführt von Wirecards Strategiechef Markus Eichinger, zuvor von vielen als Liebling von Konzernchef Markus Braun belächelt, schuftete das Team in der heißen Phase im Juni vergangenen Jahres Tag und Nacht, prüfte Einsparmöglichkeiten, taxierte die Chancen, die der Verkauf von Unternehmensteilen haben könnte. Mit dabei auch: Ansgar Zwick, Deutschland-Chef der Investmentbank Houlihan Lokey und einer der versiertesten Finanzierungsberater der Republik.
Tatsächlich gelang es der zeitweise gut 20 Leute starken Truppe, die groben Züge eines möglichen Wirecard-Überlebens zu konstruieren. Es fehlten nur einige hundert Millionen Euro sowie mehr Zeit vonseiten der Banken, um diese Lücke zu schließen. Nichts Unmögliches, wie es schien. Was aber noch wichtiger war: Es brauchte eine Person an der Spitze, die dieses Risikomanöver durchziehen würde.
James Freis war offenbar kein solcher Mann. Der Interimschef von Wirecard, zuvor bei der Deutschen Börse in der zweiten Reihe, vertiefte sich in jenen Tagen zwar in den Rettungsplan, gab ihm jedoch keine Chance. Freis hatte Angst bekommen, schreibt Kollegin Slodczyk in ihrer fesselnden Geschichte: Wirecard - die Chronik der letzten Tage .

Wer trägt das Risiko? Ex-Wirecard-Chef Markus Braun nach einer Anhörung im Untersuchungsausschuss des Bundestages in Berlin.
Foto: Marc-Steffen Unger/www.ms-unger.de / Marc-Steffen UngerDie Wirtschaftsnews des Tages:
Ende Legende: Vor gut 30 Jahren gründete Leon Black federführend die Private-Equity-Firma Apollo und machte sie bis heute zu einem der weltgrößten Player in der Branche. Irgendwann viel später fand Black dann, es sei eine gute Idee, sich von einem gewissen Jeffrey Epstein in Sachen Vermögensplanung und Steuern beraten zu lassen. Genauer: Der Apollo-Chef nahm die Dienste des Ex-Investmentbankers und verurteilten Sexualtäters noch in Anspruch, als sich die meisten anderen längst abgewendet hatten. Das wiederum fanden Investoren von Apollo weniger gut - der Firmengründer versucht den Schaden nun zu begrenzen, indem er den Platz an der Apollo-Spitze räumt.
Alles schien längst entschieden: Bosch-Chef Volkmar Denner würde dieses Jahr an die Aufsichtsratsspitze wechseln, zugunsten von Autochef Stefan Hartung, der bereits in Denners Vorzimmer zu warten schien, bis der CEO seinen Schreibtisch räumt. Nun muss Hartung der Dinge aber noch etwas länger harren: Wie unser Experte Michael Freitag berichtet, geht Denner angesichts von Corona-Krise und Strukturwandel in der Branche in die Nachspielzeit .
Die Schwierigkeiten der Autobranche haben auch beim Lkw-Bauer MAN bereits die Betriebsruhe gestört. Die Pläne zum Abbau Tausender Arbeitsplätze hatten den Betriebsrat auf die Barrikaden getrieben. Nun haben Vorstand und Arbeitnehmervertreter jedoch eine Einigung gefunden und das Kriegsbeil begraben – mit Hilfe dreier Mediatoren. Entscheidend im Hintergrund: Matthias Gründler. Als erst im Sommer angetretener Chef der MAN-Mutter Traton stand er maßgeblich hinter den ursprünglichen Sparplänen – und hat nun nach einer Lösung gesucht. Wie das zu Gründlers Profil passt, lesen in unserem ausführlichen Porträt des Managers: Der Hochgeschwindigkeitssanierer im VW-Reich
Das passt: Erst vor wenigen Tagen empfahl ich Ihnen an dieser Stelle die Geschichte meines Kollegen Thomas Werres über den entfesselten Riesen Linde , den nach der Fusion mit Praxair weltgrößten Industriegasekonzern. Heute nun folgt von Linde, wie als Beleg dafür, eine Demonstration des Selbstbewusstseins: Der Konzern hebt seine Dividende deutlich an und will für bis zu fünf Milliarden Dollar eigene Aktien zurückkaufen. Was soll man da noch sagen: Die Investoren jubeln.
Was heute sonst noch wichtig war:
Das Interview meines Kollegen Jonas Rest mit Waymo-Chef John Krafcik über dessen Fortschritte beim Autonomen Fahren hat wie berichtet für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Tesla-Chef Elon Musk persönlich sah sich per Twitter zu einer Replik veranlasst. Doch wer von beiden ist nun wirklich der Bessere, wenn es um selbstfahrende Autos geht? Die Experten vom Analysehaus Guidehouse jedenfalls geben eine klare Antwort - für sie befinden sich Tesla und Waymo an zwei verschiedenen Enden eines Branchenranking.
Lockdowns, Homeoffice und ein Virus, das allgegenwärtig erscheint – klar, dass viele Menschen lieber daheimbleiben und zum Shoppen bestenfalls das Internet aufsuchen. Die Händler freut das natürlich: Sie erzielten 2020 enorme Umsatzzuwächse und wollen auch künftig weiter deutlich zulegen.
Seit nun fast vier Wochen ist der Brexit vollzogen – und schon häufen sich die Streitfälle. Das stellt auch Unternehmen vor eine wichtige Frage: Wie können sie in der aktuellen Lage für ihre Rechte streiten? In der vierten Folge unserer Brexit-Serie kümmert sich unser Kolumnist, der renommierte Rechtsanwalt Jörg Philipp Terhechte, um die knifflige Frage des Rechtsschutzes. Sein Fazit: Es wird kompliziert, wenn es überhaupt noch möglich ist.
Kleine Korrektur in eigener Sache: In unserem gestrigen Newsletter schrieben wir fälschlicherweise von "Qualcomm", als es um den geplanten Börsengang der SAP-Tochter Qualtrics ging. Dafür bitten wir um Entschuldigung.
Meine Empfehlung für den Abend:

Autobau bei Mercedes-Benz: Ohne Halbleiter geht es nicht
Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERSHalbleiter sind auf den ersten Blick eher unscheinbar, elektronische Bauteile eben, die den Strom entweder durchlassen oder nicht. Doch heute kann kein Hersteller mehr ein Auto bauen, wenn er nicht die nötige Menge dieser Mikrochips zur Verfügung hat. Sie steuern das Infotainment, die Assistenzsysteme, das Batteriemanagement, das Fahrwerk, den Motor. Und weil im Zuge der Corona-Krise seit Wochen Knappheit an den Teilen herrscht, steht in Deutschland in diesen Tagen manche Autoproduktion zumindest teilweise still. Ein akutes Problem für die Branche also, wie auch unser Meinungsmacher Stefan Randak analysiert. Er sieht darin aber zudem den Ausdruck einer fatalen Abhängigkeit der deutschen Autoindustrie innerhalb der weltweiten Vernetzung. Wie die Konzerne aus dieser Misere kommen können, und was sich grundsätzlich ändern muss, damit sich Vergleichbares nicht wiederholt, beschreibt Randak für Sie hier: Die Ursachen der Chipkrise - und was jetzt zu tun ist.
Beste Grüße, Ihr Christoph Rottwilm