Helden des Alltags
Hermann Sendele (63) kennt sie nur zu gut, die ungeschriebenen Gesetze der Deutschland AG. Seit vielen Jahren vermittelt der Headhunter aus dem feinen Münchener Vorort Grünwald viel versprechende Talente in die Topetagen der Wirtschaft.
Der Personalberater bringt seinen Kandidaten bei, sich im Vorstellungsgespräch möglichst souverän zu präsentieren. Er fragt nach Erfolgen und Misserfolgen, nach persönlichen Interessen und zukünftigen Ambitionen. Nur ein Thema klammert Sendele aus: wie der Manager den beruflichen Höchsteinsatz mit den Bedürfnissen seiner Familie vereinbart. Das, weiß der Berater, "interessiert auf Vorstandsebene kaum jemand".
Seit jeher hält sich in Managerkreisen die Überzeugung, dass Führungskräfte nicht beides haben können: Erfolg im Beruf und Zeit für die Kinder. Und tatsächlich leben viele Topmanager-Familien nach wie vor in einem häuslichen Arrangement, das nicht nur Soziologen archaisch anmutet: Papi zieht hinaus ins feindliche Leben, Mami dekoriert das Haus und versorgt die Kleinen (mm 2/2004).
Wer Karriere machen will, hat kein Privatleben, lautet die Ordensregel der Unternehmenswelt.
Doch der eherne Grundsatz wankt. Jüngere Manager denken anders. Sie wollen nicht mehr verzichten.
Anders als ihre älteren Vorgesetzten wünschen diese Führungskräfte sich beides: Kind und Karriere. Sie streben nach beruflichem Erfolg und sind nicht bereit, die intakte Beziehung zu Frau und Kindern auf dem Altar der Managerehre zu opfern.
Ihre Partnerin haben sie meist an der Universität oder im Job kennen gelernt, sie verfolgt oft ebenfalls ambitionierte berufliche Pläne. Die klassische Rollenaufteilung lassen sich diese Frauen nicht mehr überstülpen.
Auch der radikale Wandel des gesellschaftlichen Anforderungsprofils für Väter beeinflusst die junge Managergeneration. Präsent und einfühlsam soll ein Vater heute sein, mahnen Zeitschriften. Psychologen warnen, dass der allein auf Leistung fokussierte Ernährer ein ungesundes Vorbild für den Nachwuchs abgibt.
So mancher Mann hat selbst erlebt, wie sehr die permanente Abwesenheit des Vaters die eigene Familie belastete. Quer durch alle sozialen Schichten, haben die Sozialwissenschaftler Rainer Volz und Paul Zulehner in einer repräsentativen Studie herausgefunden, wollen etwa ein Fünftel aller deutschen Männer es selbst besser machen: "Sie begreifen sich nicht mehr nur als Ernährer, sondern als Erzieher ihrer Kinder", so Volz, "und würden gern mehr Zeit für die Familie einsetzen."
Jüngere Männer nehmen die Vaterrolle wichtiger - und Deutschland, das wissen insgeheim auch Unternehmenslenker, braucht diese Väter.
Der demografische Wandel zwingt die Deutschen dazu, ihr Wertesystem umzustellen, wenn sie als Nation nicht vergreisen wollen: Dieses Land, da sind sich alle Experten einig, benötigt mehr gut ausgebildete Frauen, die dem Arbeitsmarkt auf Dauer erhalten bleiben. Und dabei müssen auch die Männer mitspielen. Doch können Manager den Spagat zwischen Beruf und Familie überhaupt bewältigen, wenn zugleich "der Pol der Arbeit immer aufdringlicher wird", wie es schon vor Jahren der Managerforscher Hermann Kotthoff formulierte? Wenn angesichts immer stärkerer Verdichtung aller Aufgaben dank Handy, Internet und Reisewahn die Inanspruchnahme durch das Unternehmen kaum noch Grenzen kennt? Wie sollen Manager in diesem Umfeld die Balance zwischen Kindern und Karriere finden?
Die Suche nach dem Gleichgewicht ist ein einsamer, fast immer vor der Firma verheimlichter Kampf, der oft genug an die letzten Reserven geht. Der Beginn dieses Kampfes lässt sich exakt datieren: Er geht los mit der Geburt des ersten Kindes.
Bei aller Freude realisiert der frisch gebackene Vater sehr schnell, dass der Vorsatz, dieses Kind aufwachsen zu sehen und es im Alltag zu begleiten, mehr Kraft erfordert als selbst sein härtestes Projekt.
Thomas Kropp (34), Bereichsleiter bei Lufthansa Systems, und seine Frau Tatjana (32), Senior Manager bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, hatten dem Familienzuwachs eigentlich recht entspannt entgegengeblickt: Nach mehreren Berufsjahren glaubten beide, stressresistent, flexibel, organisationsstark, kurz: hart im Nehmen, zu sein.
Doch Sohn Luis (13 Monate) warf, so erinnert sich Kropp, "jede Planung über den Haufen". Die Kropps merkten wie alle jungen Eltern: Ab sofort gehorcht das Leben anderen Regeln.
Thomas Kropp ist in dieser Situation zum ersten Mal wirklich klar geworden, wie viel Zeit der Job verschlingt. Eine typische Erfahrung. Dass er täglich zehn, zwölf Stunden im Büro verbringt, stellt kaum ein Jungmanager ernsthaft infrage. Warum auch? Macht doch Spaß - und gilt im beruflichen und privaten Umfeld als völlig normal.
Nur: Mit den Bedürfnissen eines Kindes ist ein solcher Lebensstil unvereinbar. Der Konflikt erscheint unausweichlich: Väter, die ihre guten Vorsätze umsetzen und bei der Erziehung mithelfen wollen, tun dies unweigerlich auf Kosten des Jobs.
So dauert es meist nicht lange, und sie stellen sich die Fragen: Soll ich nun also tatsächlich jeden Abend als Erster die Firma verlassen und nach Hause rasen, um den Nachwuchs noch wach zu erleben? Soll ich wirklich nachts aufstehen und kostbaren Schlaf opfern, wenn das Baby schreit? Soll ich fortan am Wochenende sämtliche Termine absagen, waschen, einkaufen und den Kinderwagen durch den Park schieben, damit meine Frau sich mal ein bisschen erholen kann?
Bereit dazu sind viele junge Väter schon. Sie haben aber zugleich Angst, dass ihnen die Hilfe daheim in der Firma als mangelndes Engagement ausgelegt wird. Seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzen möchte der Karrierepapa auf gar keinen Fall. Nicht bloß aus Ehrgeiz, sondern weil er jetzt viel mehr Verantwortung trägt - die Sorge für das Wohlergehen seiner Lieben.
Mit der Geburt des ersten Kindes zeige sich, ob die schöne Idee von der aktiven Vaterschaft der rauen Wirklichkeit standhalte, sagt der Münchener Frühkindpädagoge Wassilios Fthenakis, der den Übergang junger Paare in die Elternschaft jahrelang erforscht hat. Getrieben von der Verpflichtung, nun - jedenfalls vorläufig - allein für das Haushaltseinkommen sorgen zu müssen, laden sich die meisten Männer in dieser Phase besonders viel Arbeit auf.
Und schon bald gerät der heilige Schwur über die Teilung der häuslichen Aufgaben in Vergessenheit, die Aufzucht des Nachwuchses bleibt voll und ganz an der Gattin hängen. Die Familie "traditionalisiert sich", wie es Fthenakis formuliert.
Engagierte Väter bleiben daher vor allem jene, deren Ehefrauen nach der Geburt relativ schnell wieder in ihren Beruf zurückkehren.
So wie im Fall von Gregor Wöltje (41). Wöltje und seine Frau Claudia Langer (39) haben in München gemeinsam die Werbeagentur Start mit inzwischen rund 50 Mitarbeitern aufgebaut - und nebenbei drei Kinder in die Welt gesetzt.
Das funktionierte nur, weil das Werberpaar früh begonnen hat, in der eigenen Firma Macht abzugeben - und weil beide sich in den 14 Jahren ihres Zusammenlebens auch zu Meistern der privaten Verhandlungskunst entwickelt haben.
Denn das ist der Preis für das Festhalten am heroischen Ideal der gleichberechtigten Partnerschaft und gemeinsamen Verantwortung: Jede Kleinigkeit des Alltags muss geplant und ausgehandelt werden. Das ist anstrengend, manchmal extrem anstrengend.
Professionelle Beobachter wie der Darmstädter Coach Wolfgang Looss kennen sie gut, jene gestressten, überforderten Manager und jungen Väter, die zu Hause einen nervenaufreibenden Kampf um die Verteilung der Familienaufgaben führen.
Und dann funkt auch noch die Firma dazwischen.
Kaum sind sich die Eheleute einig geworden, dass er den ganzen Samstag die Gören betreut - da kommt sein Vorstand auf die Idee, freitagabends regelmäßige Konferenzen anzusetzen. Völlig erledigt kehrt er dann in den frühen Morgenstunden nach Hause zurück und wünscht sich eigentlich nur noch eines: Ruhe. Und keine spielwütigen Kinder, die Samstag früh um sieben Uhr lärmend neben dem Bett stehen - bewaffnet mit Tier-Memory und Bobby Car.
Überhaupt Erholung - ein Fremdwort für neue Väter. Die Familie fordert genau in der Phase ihr Recht, in der ihnen auch beruflich alles abgefordert wird. Spätestens ab Mitte 30, sagt der Stuttgarter Coach Stefan Müller, muss der Jungmanager "beweisen, ob er für höhere Weihen gemacht ist".
Das Unternehmen offeriert den ersten Auslandseinsatz oder zumindest einen Wechsel aus der Provinz in die Zentrale. Die Reisen nehmen zu. Mit der Verantwortung steigt die Zahl der Stunden im Büro. 60 Stunden und mehr sind spätestens jetzt normal. Die Konkurrenz um die wenigen Aufstiegspositionen ist knallhart, schnelle Wechsel nach oben sind ebenso drin wie der jähe Absturz: Fehler werden nicht verziehen.
Just in dieser Berufsphase, wenn der Mann rund um die Uhr arbeiten könnte und zugleich Zeit zum Auftanken seiner Kraftreserven braucht, wachsen die Ansprüche der Familie. Sollen die Kinder eine feste Bindung zum Vater aufbauen, brauchen sie Rituale. Gemeinsame Abendessen. Gespräche. Zumindest die berühmte "Quality Time" am Wochenende.
Die Aufgaben zu Hause werden komplexer - und immer häufiger kann der junge Vater sie nicht erfüllen. Es ist "die totale Unberechenbarkeit seiner Arbeitswelt", sagt Müller, an der diese Ansprüche zerschellen. "Er weiß nie, ob er Versprechen einhalten kann. Ob es um den Elternabend geht, um Kindergeburtstage oder den nächsten Urlaub - jede Planung kann kurz darauf obsolet sein."
Und häufig ahnen Väter nicht einmal mehr, wie sie sich verhalten sollen. Im Job gelten ganz andere Regeln als daheim: Hier zählen Effizienz, Durchsetzungsfähigkeit, Härte - dort Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Geduld.
Von ihren Frauen erhalten die neuen Helden der Arbeit nicht selten widersprüchliche Signale, sagt Managertrainer Wolfgang Looss. "Käme er wirklich auf die Idee, die Karriere ein bisschen schleifen zu lassen, um mehr Zeit für die Lieben daheim zu haben, würde ihm die Gattin schnell die rote Karte zeigen - die Kohle soll schließlich stimmen." Sosehr sie sich auch bemühen, fühlen die Betroffenen doch immer deutlicher, dass sie keinem Pol ihres Lebens wirklich gerecht werden können.
Viele Männer empfänden sich in den mittleren Jahren, wenn Firma und Familie an ihnen herumzerrten, als total fremdbestimmt, sagt Looss. Oder, wie es einer rückblickend ausdrückt, der auf keinen Fall namentlich erwähnt werden will: "Ich kam mir vor wie ein Untermieter in der eigenen Existenz."
Ein solches Leben produziert schnell Frust. Der Ausweg ist oft der totale Rückzug nach innen, hat der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort beobachtet, der am Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf viele arrivierte Familien berät. Die Männer fügen sich in die Rolle des abwesenden Zahlvaters und lassen das Scheitern ihrer Ideale gar nicht mehr ins Bewusstsein dringen: "Solche Väter können mit mehr Verstand über das Verhältnis zu ihren Mitarbeitern reden als über ihre Kinder."
Doch nur wer sich Rechenschaft ablegt über seine Situation, kann sie ändern.
Markus Metyas (41) hat dies getan, als es noch früh genug war. Der Vater zweier Kinder im Alter von zwei und vier Jahren hat eine glänzende Karriere als Investmentbanker hingelegt. Er arbeitete in London für die besten Adressen der Branche, fädelte Milliardendeals mit ein - und stieg mit 36 Jahren, kurz nach seiner Heirat, aus. Heute verdient Metyas sein Geld im Mittelstand, als Finanzvorstand des Kölner Telekom-Dienstleisters QSC - mit effizienteren Arbeitsbedingungen, deutlich weniger Reisen und mehr Zeit für die Familie.
Er habe, sagt Metyas, einfach nicht enden wollen wie manche seiner Kollegen, die sich ihren Verzicht auf alles Private schönredeten, indem sie groteske Heldengeschichten erzählten: etwa die, dass man in diesem knallharten Business notfalls seine eigene Hochzeit verschieben müsse, wenn ein Deal dazwischenkomme.
Sicher, jemand wie Markus Metyas hat Glück gehabt. Er hat einen Job gefunden, in dem er weitgehend selbst bestimmen kann. Eine luxuriöse Situation, einerseits. Andererseits erfordert ein solcher Absprung den Mut, sich den Gesetzen seiner Organisation zu verweigern - nach eigenen Regeln zu leben, notfalls die beruflichen Pläne neu zu justieren, wenn sie mit den privaten Bedürfnissen nicht mehr übereinstimmen.
Denn von allein verbessern sich die Bedingungen der Väter nicht, auf Unterstützung aus ihren Unternehmen dürfen sie nicht hoffen. Für Männer gilt, was jeder von ihnen insgeheim ahnt: Zugeständnisse an die Familie können die Karriere ruinieren.
Nach wie vor ist die Maßeinheit für den Aufstiegswillen bei Führungskräften ihre Anwesenheit im Büro, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler Thomas Breisig und Susanne Kohn in einer Studie über die Machbarkeit von Arbeitszeitreduzierung im Management. Anders gesagt: Vorgesetzte befördern auch weiterhin meist diejenigen Mitarbeiter, die abends als Letzte gehen.
So kommt es, dass nur die wirklich Mächtigen sich den Bruch mit der Konvention leisten können. BMW-Chef Helmut Panke (57) zum Beispiel hat früher, als seine beiden heute erwachsenen Kinder noch klein waren, stets darauf geachtet, rechtzeitig zum Abendessen zu Hause zu sein. Auch Commerzbank-Vorstand Martin Blessing (39, drei Kinder) und Roland-Berger-Geschäftsführer Martin Wittig (40, zwei Kinder) - beide mit beruflich ambitionierten Frauen verheiratet - gelten in ihren Unternehmen als sehr familienbewusst. Mit manager magazin darüber reden wollen sie indes nicht.
Was Topmanagern zugestanden wird, ja ihnen vielleicht sogar als soziale Kompetenz ausgelegt wird, müssen sich Führungskräfte auf den mittleren Ebenen hart erstreiten. Weil auf dem gleichen Flur immer noch genug Männer arbeiten, die die althergebrachten Regeln widerspruchslos mittragen.
Da sind zum einen ältere Kollegen und Vorgesetzte, die dem Jungen nicht erlauben würden, was ihnen selbst nicht vergönnt war. Und da sind jene ehrgeizigen Gleichaltrigen, die das Problem auf ihre Weise gelöst haben: mit einem traditionellen bürgerlichen Arrangement; oder, immer häufiger, auf die radikale Art - indem sie gleich ganz auf Kinder verzichten.
Die Fortpflanzungsabstinenz der Karrieremänner ist statistisch nachweisbar. Wie das Institut der Deutchen Wirtschaft herausgefunden hat, lebt ein steigender Anteil der Höchstverdiener ohne eigenen Nachwuchs. Ihre Partnerinnen? Sind typischerweise selbst auf dem Karrierepfad - als Mitglied der ebenfalls schnell wachsenden Gruppe kinderloser Akademikerinnen.
Und so trifft der gestresste Familienvater morgens im Büro auf Kollegen, die ausgeruht und erfolgshungrig mit ihm konkurrieren. Die jeden Abend bis Mitternacht und auch am Wochenende im Büro sitzen, während er um sieben Uhr das Meeting verlässt.
Es bedarf großer innerer Unabhängigkeit, sich diesem Klima permanenten Wettbewerbs wenigstens teilweise zu entziehen und eigene Prioritäten zu setzen. Der Mut dazu ist oft das Ergebnis bitterer Erfahrungen. So wie im Leben des Rechtsanwalts Ulrich Baeck (48), Vater von Nicolas (10) und Julia (8).
Der Arbeitsrechtler und Partner der Sozietät Gleiss Lutz in Frankfurt stand vor zwölf Jahren vor den Trümmern seines Privatlebens. Wie Baecks hatte auch seine Ehefrau Ute, ebenfalls eine erfolgreiche Juristin, die ersten Berufsjahre ganz der Karriere gewidmet - bis die Beziehung zerrüttet war. Doch die Baecks rauften sich noch einmal zusammen. Sie heirateten und bekamen zwei Kinder - wofür Ute Baeck den üblichen Preis zahlte und ihren Job aufgab.
Ulrich Baeck hat sich geschworen, seinen beruflichen Ehrgeiz, ein "bundesweit anerkannter Anwalt zu sein", so weit es geht mit den Bedürfnissen von Frau und Kindern in Einklang zu bringen. Drei Regeln hat er für sich formuliert und bisher kompromisslos verfolgt, wie er betont: Das Wochenende gehört der Familie, gesellschaftliche Ereignisse zu Akquisezwecken nimmt er nicht wahr. Sein Bürotag beginnt zwischen fünf und sechs Uhr, so kann er gegen 18, 19 Uhr zum gemeinsamen Abendessen zu Hause sein. Und: Die Kinder können ihn unter einer speziellen Handy-Nummer notfalls aus jedem Termin herausholen.
Solche Grundsätze mögen in einer überschaubaren Anwaltssozietät leichter umzusetzen sein als im Konzern. Doch kleine Zeitinseln zu schaffen, die der Familie zugute kommen, kann auch in Großunternehmen ein erster Schritt sein.
Neue Väter wie Baeck sind Rollenbrecher. Sie müssen - jeder für sich - herausfinden, wie weit sie gehen können. Manchmal stellt sich dann heraus, dass mehr geht als gedacht.
So hat es jedenfalls Karsten Junius (36) erlebt, Volkswirt bei der Dekabank. Weil der Teilzeitvertrag seiner Ehefrau Kerstin, Bankerin bei der Europäischen Zentralbank, nach der Geburt von Tochter Philine (heute 18 Monate) auszulaufen drohte, beschloss Junius, sich vorübergehend selbst um das Neugeborene und den Sohn Kilian (3) zu kümmern und sechs Monate Elternzeit zu nehmen.
Das größte Problem, sagt er rückblickend, bestand darin, sich erst einmal über seine Rechte zu informieren: Wer berät eigentlich ausstiegswillige Väter? Der Betriebsrat, die Personalabteilung? Die Gleichstellungsbeauftragte?
Die Verhandlung mit seinem Vorgesetzten verlief schließlich überraschend unproblematisch; zumal Junius die Elternzeit so organisierte, dass er jederzeit zur Stelle sein konnte, wenn sein Team ihn dringend brauchte.
Die Auszeit zum Babybrei füttern und Windeln wechseln hat der Banker genossen. Es sei einfach schön gewesen, einmal "aus der traditionellen Hilfsarbeiterrolle des Mannes in der Familie herauszukommen" und Sohn und Tochter intensiv zu begleiten. Seiner Laufbahn schadete die vo-rübergehende Abwesenheit offenbar nicht: Demnächst wird Junius zum Abteilungsdirektor befördert.
Männer wie Karsten Junius, die ihre familiäre Situation offensiv ins Unternehmen tragen, sind bisher Exoten in der deutschen Wirtschaft. Doch anders als das Klischee es will, sind es nicht die Mittelmäßigen, die Drückeberger, die Karrieremüden, die sich solche Freiheiten nehmen.
Wer die moderneren Manager trifft, spürt schnell: Sie besitzen ein solides Selbstbewusstsein; sie nehmen sich die Freiheit, selbst zu bestimmen, was in ihrem Leben wichtig ist - weil sie wissen, dass sie bisher einen guten Job gemacht haben.
Natürlich ist ihnen klar, dass sich der Kampf um die Vereinbarkeit von Karriere und Familie mit ein paar Monaten Elternzeit nicht gewinnen lässt. Kaum kehrt der junge Vater an seinen Schreibtisch zurück, ist alles wie gehabt: Termin jagt Termin, die Familie nörgelt, und der Mann ist dem täglichen Wahnsinn seines progressiven Lebensentwurfs wieder schutzlos ausgeliefert.
Noch sind die neuen Väter ziemlich allein. Unter Kollegen redet man über derartige Probleme nicht, obwohl es vielen - ganz tief im Inneren - längst ähnlich geht.
Auf Dauer müsse sich diese verklemmte Kultur in den Unternehmen ändern, erwartet Headhunter Hermann Sendele. Zu hoch sei inzwischen die Scheidungsrate bei Managerehen.
Ohne intakte Familienverhältnisse aber seien berufliche Höchstleistungen auf Dauer nicht zu erbringen, meint Sendele. Sein Fazit: "So wie bislang kann es jedenfalls nicht weitergehen." u
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Eltern ohne Lobby
Umfrage: Unternehmen vernachlässigen die Familien
Kein Interesse: Gut bezahlte, hoch qualifizierte Jobs, in denen sich Karrierestreben und Kinder vereinbaren lassen, sind in Deutschland immer noch selten.
Laut einer Repräsentativbefragung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im vergangenen Jahr bietet überhaupt nur jedes zweite deutsche Unternehmen familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Mehr als zwei Drittel der Betriebe gaben an, das Thema besitze für sie eine "niedrige Priorität".
Keine Ideen: Das Entgegenkommen der Unternehmen beschränkt sich überwiegend auf flexible Arbeitszeiten oder Teilzeitstellen - beides Regelungen, zu denen die Firmen oft ohnehin durch Tarifverträge und Gesetze verpflichtet sind. Immerhin jedes zwölfte Unternehmen hilft bei der Rückkehr in den Beruf nach der Erziehungsphase.
Einige wenige Firmen nahmen in der IW-Umfrage für sich in Anspruch, sich speziell um die Sorgen der Väter zu kümmern: Beim Mittelständler B. Braun Melsungen etwa, aber auch bei DaimlerChrysler und der Commerzbank werden Männer zur Elternzeit ermuntert.
Keine Erfolge: Viel gefruchtet hat es indes nicht, zumindest bei Führungskräften: Auf Nachfrage von manager magazin mussten alle drei Unternehmen passen - bisher hat kein einziger Manager Erziehungszeit genommen.
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Service
www.vaeter.de: Die "Website für den Mann mit Kind" hilft bei allen Konflikten rund um Beruf und Familie, etwa bei der Frage: Wie verhandele ich mit meinem Chef?
www.sozialnetz.de/vater-und- beruf: Die Online-Beratungsstelle der Gewerkschaft Verdi wendet sich vor allem an Betriebsräte, Personalverantwortliche, Unternehmen und Kommunen. Väter finden detaillierte Auskünfte zum Thema Teilzeitarbeit.
www.beruf-und-familie.de: Das "Audit Beruf und Familie" der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützt Betriebe bei der Einführung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen. Erfolgreiche Unternehmen erhalten ein Zertifikat.
www.familienservice.de: Die Beratungsfirma PME Familienservice hat eine Vielzahl von Dienstleistungen für berufstätige Eltern im Programm. Mitarbeiter der Vertragsunternehmen erhalten Hilfe bei der Kinderbetreuung, der Pflege von Angehörigen oder im Haushalt.