„Es gibt zu viele Hindernisse“
mm* Herr Kielholz, in der europäischen Finanzbranche redet seit Jahren jeder mit jedem, aber es kommt nichts dabei heraus. Gleichzeitig rollt in den USA eine Welle von Megafusionen im Bankensektor. Wann geht die Konsolidierung in Europa endlich los?
Kielholz Alle sprechen munter darüber. Aber ich glaube nicht, dass der Prozess schnell voranschreiten wird. Ich bezweifle auch, dass Fusionen zwischen europäischen Banken großen Wert schaffen würden.
mm Warum? Es müssten sich doch erhebliche Größenvorteile ergeben.
Kielholz Economies of scale gibt es nur, wenn Sie integrierte Märkte haben. Das ist in der europäischen Finanzbranche aber nicht der Fall. Die meisten grenzüberschreitenden Fusionen würden deshalb kaum Synergien freisetzen. Bei Transaktionen innerhalb Amerikas ist das ganz anders.
mm Die amerikanischen Bankriesen entfalten zunehmend globale Ambitionen und greifen Häuser wie die Credit Suisse Group frontal an. Beunruhigt Sie das nicht?
Kielholz Zugegeben, die amerikanischen Finanzgiganten können wegen der schieren Größe ihres Eigenkapitals höhere Risiken eingehen als viele Europäer, sei es im Kreditgeschäft oder bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder. Das ist eindeutig ein Wettbewerbsvorteil.
mm Und daraus folgt kein Zwang für die Europäer, nachzuziehen und selbst größere Einheiten zu schaffen?
Kielholz Nicht unbedingt. Wenn Sie die Finanzkraft haben, mit hohen Investitionen in Asien ein Geschäft aufzubauen: schön und gut. Wenn Sie sich lieber auf einen lukrativen Heimatmarkt konzentrieren und selektiv in ausländischen Wachstumsmärkten präsent sein wollen, muss das nicht die schlechtere Strategie sein. Es gibt mehrere Erfolg versprechende Modelle. Größe allein ist es nicht.
mm Dennoch scheint das Banken-Monopoly das Lieblingsspiel der Finanzwelt zu sein. Auch Ihr Haus wird immer wieder als Fusionskandidat gehandelt, häufig als Partner der Deutschen Bank.
Kielholz Es wird viel geredet. Sie verstehen aber sicher, dass wir uns zu Marktgerüchten grundsätzlich nicht äußern.
mm Die Analysten von Goldman Sachs kommen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die Credit Suisse Group und die Deutsche Bank fast perfekt zusammenpassen würden.
Kielholz Die Leute von Goldman Sachs sind frei zu schreiben, was sie wollen.
mm Reizt Sie eine Fusion mit der deutschen Nummer eins nicht? Im Investmentbanking und im Private Banking würden sich beide Häuser gut ergänzen, im Retail-Geschäft und im Asset Management ebenfalls.
Kielholz Sie könnten eine ähnliche Liste vermeintlicher Vorzüge auch für Fusionen mit etlichen anderen europäischen Instituten aufstellen. Es gibt so viele theoretische Kombinationsmöglichkeiten. Aber wenn Sie sich die kulturellen, politischen und institutionellen Risiken solcher Transaktionen anschauen, dann wird Ihnen klar, warum nichts passiert.
mm Ein Deal mit der Deutschen Bank läge vielleicht gerade deshalb nahe. Sie wohnen in Zürich mit deren Chef Josef Ackermann Tür an Tür ...
Kielholz ... ich werde Herrn Ackermann aber sicher nicht am Wochenende mit Geschäften behelligen.
mm Im nachbarschaftlichen Gespräch ließe sich manches Hindernis aber sicher aus dem Weg räumen. Zumal Ihr Landsmann offenbar eine Vorliebe für einen Cross-Border-Deal hat und die Credit Suisse Group durchaus als potenziellen Partner sieht.
Kielholz Es geht nicht darum, ob Herr Ackermann oder ich gewisse Vorlieben haben oder nicht. Die Frage ist, ob ein solcher Deal für die Aktionäre sinnvoll wäre. Wir werden jedenfalls keine Transaktion machen, nur weil die Vermittler sie herbeireden wollen.
mm Der Chef Ihrer Privatkundensparte, Oswald Grübel, hat kürzlich erklärt, die Credit Suisse sei an "substanziellen Akquisitionen" in Deutschland interessiert. Gilt diese Aussage nicht mehr?
Kielholz Herr Grübel hat gesagt, dass wir mit großem Interesse Bewegungen im europäischen Bankensektor verfolgen und im geeigneten Moment sicher nicht abgeneigt wären.
mm Und dieser Moment ist noch nicht gekommen?
Kielholz Offensichtlich nicht. Herr Grübel sprach im vergangenen Oktober von einem Zeithorizont von drei bis fünf Jahren.
mm Gab oder gibt es Verhandlungen mit einer deutschen Adresse?
Kielholz Das würde ich Ihnen doch nicht sagen, selbst wenn es so wäre.
mm Die Credit Suisse soll sich die HypoVereinsbank angeschaut haben. Mit der Commerzbank gab es angeblich ernsthafte Gespräche; die Frankfurter hatten aber wohl zu hohe Preisforderungen.
Kielholz Wie gesagt: Gerüchte kommentieren wir grundsätzlich nicht.
mm Sie können aber nicht so tun, als ginge Sie die Konsolidierungsfrage nichts an.
Kielholz Das versuchen wir gar nicht. Wir stülpen uns keinen Sack über den Kopf und sagen, es interessiert uns nicht, was hier passiert. Das heißt aber nicht, dass wir hysterisch auf einen großen Deal hinarbeiten.
mm Wenn man sich die Weltrangliste ansieht, könnten Sie den aber gut gebrauchen. Gemessen an der Marktkapitalisierung, liegt Ihr Haus, wie die meisten kontinentaleuropäischen Banken, weit abgeschlagen hinter den US-Giganten zurück.
Kielholz Sie gehen davon aus, dass Größe an sich etwas Gutes ist. Diese Annahme ist falsch. Ich erinnere nur an die Obsession, mit der viele Banker Anfang der 90er Jahre ihre Bilanzsummen hoch getrieben haben. Heute spricht kein Mensch mehr von dieser Art von Größe.
mm Uns scheint, Sie versuchen, die US-Herausforderung kleinzureden.
Kielholz Keineswegs. Natürlich denken wir intensiv über die Frage nach, wie wir darauf reagieren müssen. Wie übrigens alle unsere europäischen Konkurrenten auch.
mm Bisher erweckt die Branche den Eindruck kollektiver Ratlosigkeit. Hat Europa den Kampf mit den US-Banken schon aufgegeben?
Kielholz Nein, aber Sie dürfen auch die Hindernisse für eine Konsolidierung nicht übersehen. Es gibt in Europa immer noch große kulturelle Unterschiede. Deshalb sind die Risiken von Fusionen viel höher als bei interamerikanischen Deals. Außerdem sind grenzüberschreitende Transaktionen politisch heikel. Die Gefahr, dass sich die Regierungen einmischen würden, ist sehr groß.
mm Das klingt wie die perfekte Ausrede. Scheitern sinnvolle Deals nicht in Wahrheit immer wieder an Eitelkeiten der beteiligten Manager?
Kielholz In der aktuellen Diskussion um European Champions zeigt sich ganz klar, dass es doch eher die nationalen Interessen sind. Nehmen Sie den Fall Aventis. Da war die Basler Novartis als Käufer unerwünscht, obwohl sie nur ein paar Kilometer von der französischen Grenze entfernt sitzt. Vielleicht ist Europa in zehn Jahren so weit, dass zum Beispiel Ihre Regierung in Berlin sagt: Für uns ist nicht entscheidend, ob die Deutsche Bank noch Deutsche Bank heißt oder nicht.
mm Eine Welle von Cross-Border-Fusionen in Europas Finanzindustrie wird es also vorläufig nicht geben?
Kielholz So etwas schließe ich mit voller Überzeugung aus. Es wird vielleicht zu einer oder zwei großen Transaktionen kommen. Aber dass in absehbarer Zeit vier oder fünf paneuropäische Banken entstehen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Um das noch zu erleben, bin ich wahrscheinlich schon zu alt.
mm Wie sieht die europäische Finanzindustrie stattdessen in fünf Jahren aus?
Kielholz Schauen Sie sich die europäische Versicherungsbranche an: Dort hat man in den 90er Jahren nach der Liberalisierung mit einer riesigen Merger-Welle gerechnet. Passiert ist nicht sehr viel, die Märkte sind immer noch sehr national.
mm Und dasselbe erwarten Sie auch für den Bankensektor?
Kielholz Es wird sicher eine gewisse Konsolidierung geben. Aber die heutigen Strukturen werden weitgehend erhalten bleiben.
mm Welche Rolle will die Credit Suisse Group im Banken-Monopoly spielen?
Kielholz Wir haben in den vergangenen eineinhalb Jahren unsere Problemfälle weitgehend bereinigt. Unsere Kapitalsituation ist nach überstandener Krise wieder über jeden Zweifel erhaben. Jetzt wollen wir - abgesehen von kleineren Akquisitionen - erst einmal organisch wachsen.
mm In welchen Geschäftsfeldern sehen Sie dafür die besten Chancen?
Kielholz Eindeutig im Private Banking. Und das vor allem dort, wo die Wirtschaft zurzeit besonders stark wächst, also in Asien und Osteuropa. In diesen Märkten entsteht die vermögende Kundschaft der Zukunft.
mm In anderen Bereichen sieht es weniger rosig für Ihr Haus aus. Im Investmentbanking verlieren Sie Marktanteile, Ihr Versicherer Winterthur durchleidet eine Schrumpfkur, und im Retailbanking fehlt Ihnen neben der Schweiz ein zweites Standbein.
Kielholz Unsere Investmentbank Credit Suisse First Boston ist in einigen Bereichen immer noch absolut führend, etwa bei hochverzinslichen Unternehmensanleihen. Und was die Winterthur angeht: Das wird sicher keine spektakuläre Wachstumsgeschichte. Aber es kommt nicht nur auf die Umsätze an, sondern auf die Profitabilität. Wir glauben, dass wir unsere Gewinne noch deutlich steigern können.
mm Bleibt die Schwäche Ihres Konzerns im breiten Privatkundengeschäft. Die können Sie nur durch einen Zukauf beheben.
Kielholz Wir überlegen uns selbstverständlich, ob es Sinn macht, im Retailbanking einen zweiten Heimatmarkt zu haben. Aber der müsste kulturell zu uns passen und dürfte uns keine zusätzlichen Probleme bringen.
mm Hat die Credit Suisse Group ohne Fusion eine Chance, sich dauerhaft als globaler Player zu behaupten?
Kielholz Wir sind durch unseren kleinen Heimatmarkt auch künftig gezwungen, im Ausland zu expandieren. Dafür haben wir gute Voraussetzungen: eine globale Marke und ein sehr internationales Management ...
mm ... an dessen Spitze bald ein Generationswechsel fällig ist.
Kielholz Ich muss aufpassen, was ich dazu sage. Das letzte Mal, als ich in einem Interview diesen Begriff verwendet habe, bin ich wegen angeblicher Diskriminierung älterer Mitarbeiter fast vor ein amerikanisches Gericht gezerrt worden.
mm Der Co-CEO Oswald Grübel ist 60, sein Partner in der Konzernleitung, Ihr oberster Investmentbanker John Mack, ist auch schon 59. Wissen Sie bereits, wer Ihre Doppelspitze einmal ersetzen soll?
Kielholz Wir haben in den vergangenen 24 Monaten aussichtsreiche Talente im Konzern positioniert. Die Idee war, diesen Leuten Zeit zu geben, sich dem Verwaltungsrat für höhere Aufgaben zu empfehlen.
mm Sie selbst sind erst 53. Da könnten Sie das Amt des CEO doch locker für die nächsten zehn Jahre mit übernehmen.
Kielholz Ich bin doch schon völlig verbraucht ... Aber im Ernst: Meine Aufgabe ist es, diesen Generationswechsel zu bewältigen und nicht dadurch zu erschweren, dass ich mich auch noch selbst ins Spiel bringe.
mm Reizt Sie die operative Verantwortung, die Sie in Ihrem vorherigen Job als CEO der Swiss Re hatten, nicht mehr?
Kielholz Die Frage stellt sich für mich gar nicht mehr. Ich sehe große Vorteile im Amt des Verwaltungsratspräsidenten eines internationalen Konzerns mit Schweizer Wurzeln. Ich bin hier viel stärker in die strategische Führung involviert als etwa ein deutscher Aufsichtsratschef ...
mm ... und verdienen obendrein viel besser, im vergangenen Jahr rund acht Millionen Schweizer Franken.
Kielholz Dafür muss ich aber auch mehr leisten, als bloß an ein paar Sitzungen pro Jahr teilzunehmen. u
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Profil
Pflicht: Walter B. Kielholz (53) ist einer der wichtigsten Schweizer Finanzmanager. Zweimal beerbte er Lukas Mühlemann auf Spitzenposten der Branche: zuerst 1997 als CEO beim Rückversicherer Swiss Re, dann Anfang 2003, als er zum Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse Group gewählt wurde. Den zweitgrößten Schweizer Bankkonzern, der 2002 tief in die Verlustzone gerutscht war, führte Kielholz aus der Krise. Nun bereitet er einen Generationswechsel im Topmanagement vor. Daneben ist Kielholz als Vizepräsident des Verwaltungsrats weiter bei der Swiss Re engagiert.
Kür: In jungen Jahren verfasste Kielholz Theaterkritiken, seinen Lebenslauf ziert ein Intermezzo als Galerist. Der heimatverbundene Kunstliebhaber ist Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft und der Stiftung Zukunft Schweiz. Kielholz spielt außerdem Tennis und ist passionierter Segler.
*Das Interview führten die mm-Redakteure Arno Balzer und Georg Jakobs.