Die Riesling-Revolte
Die Brombeeren auf den zuwuchernden Steillagen verdrängen Goldaster, Diptam, Felsenahorn, Buchsbaum und Weiße Fetthenne", so tönt die Wehklage aus dem Weinberg. "Sie rauben Smaragdeidechse, Schlingnatter, Segelfalter die Lebensgrundlage."
Mit solcherart Umweltkämpfer-Pathos kommt ein "önologischen Manifest" von der Mosel daher, in dem gegen die "Cocacolaisierung des Geschmacks" durch die "Nahrungsmittel-Globalisierer" gewettert wird. Aber auch gegen "originalverkorkste Spätlesen". Und dann, schrill im Tonfall der Weltrevolution: "Ein Gespenst geht um - sein Name ist Terroir."
Mit Terroir ist keine blutrünstige Bombenlegerei gemeint, sondern so viel wie "Boden, Region, Heimat". Das Pamphlet entstammt auch keiner Öko-Postille, sondern der eher konservativen "FAZ". Und sein Verfasser ist nicht ein versprengter 68er, sondern Deutschlands womöglich bester Winzer, der sich für die Qualitätssteigerung des Rebsaftes stark macht.
Reinhard Löwenstein (49), ein eher bieder wirkendes Mannsbild mit Schnauzbart und Metallrahmenbrille, betreibt zusammen mit seiner Frau Cornelia Heymann seit 23 Jahren ein kleines Weingut bei Winningen an der Mosel. Gerade mal 80 000 Flaschen im Jahr produziert er dort. Die aber haben es in sich.
manager magazin hatte zur Verkostung der neu aufgelegten Nobelkategorie aus dem Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter geladen, und die acht Juroren waren sich einig: Das Spitzenprodukt mit dem verheißungsvollen Titel "Großes Gewächs" (siehe Kasten Seite 156) stammt von Löwensteins Gut. Bei 24 Spitzenweinen belegte ein Löwenstein-Riesling nicht nur den ersten Rang, sondern auch gleich drei weitere ehrenvolle Plätze.
Die Urteile der Tester reichten von "köstlich, der Wein tanzt auf der Zunge" bis "grandios". Die einen lobten "feine, pikante Säure", andere die "tiefgründige Mineralität". Ein Tester vergab gar den Höchstwert, den Weinkenner zu vergeben haben: "20 Punkte, ohne weiteren Kommentar".
Im Glas schwenkte er den "2002er Winninger Uhlen ,L'", mit der Notierung von 17,2 Punkten gerade mal Platz 16 der Gesamtwertung, aber nur 1,1 Punkte hinter Platz eins.
Trockene Rieslinge zum Essen, daran hat es in der deutschen Weinszenerie lange gehapert. Nur wenige Winzer waren bereit und in der Lage, Weinliebhaber mit trockenen Kreszenzen zu begeistern. Erst unter dem massiven Wettbewerbsdruck der ausländischen Weine sahen sie sich gezwungen, ihr Angebot anzureichern. "Trocken" wurde zum Erfolg verheißenden Schlagwort. Und so produzierten sie Weine, die zwar mineralisch und auch leicht fruchtig schmeckten, aber in aller Regel derb waren und den Magen mit überzogener Säure traktierten.
Dann trat Reinhard Löwenstein auf den Plan. Der Mann, von Kritiker Stuart Pigott heute als "Mischung aus Philosoph, Junge vom Lande, One-Man-Show, Weinfreak, Unternehmer und Kaufmann" charakterisiert, hat eine harte Schule hinter sich. Kaum hatte der gelernte Agraringenieur in den 80er Jahren südlich von Koblenz ein heruntergewirtschaftetes Gut nach drei Jahren Mühsal in den Steillagen an der Mosel in Schuss gebracht, starb der Eigentümer. Die Erben drängten Löwenstein aus dem Haus.
Da fand sich, vier Ortschaften weiter, in Winningen, eine Kellerei, die zum Verkauf stand. Der Jungwinzer nahm "allen Mut und alle Frechheit zusammen", erinnert er sich, erstand einen Zweireiher mit Weste und beantragte Kredit bei der Bank. Durch Pacht und Ankauf von längst aufgelassenen Rebflächen in den besten, wiewohl schwer zugänglichen Winninger Steillagen erwarb Löwenstein ein ansehnliches Weingut.
Und scherte sich fortan einen Teufel um die Öchsle- und Zucker-Nomenklatur des deutschen Weinrechts. Löwenstein verwarf Spät- und Auslesen, die bonbonsüßen Scheußlichkeiten der verwahrlosten Mosel-Winzerei. Er verabschiedete sich von der Müller-Thurgau- und Kerner-Seligkeit der industriell betriebenen Großproduktion. Und Lagenbezeichnungen, anderwärts längst zu nichts sagenden Titelkaskaden verkommen, zierten bei ihm nur noch dann das Etikett, wenn die Rieslinge auch ein eigenständiges Geschmacksprofil aufwiesen.
Löwensteins Geheimformel: das Terroir. Es "steht für einen ökologisch verantwortlichen Umgang mit der Natur, im Weinberg wie im Keller, und damit für einen bewussten Verzicht auf die vielen zweifelhaften Segnungen der Moderne", so Löwenstein. Gegen den "Weinbau mit Traktoren, Kunstdünger und mit neuen ertragsstarken und öchsleträchtigen Klonen und Rebsorten".
Damit Löwenstein auf Technik und Chemie verzichten kann, bearbeitet er bessere Lagen, pflanzt bessere Reben, nutzt sinnvolle Kellertechnik und beschränkt vor allem die Erntemengen. Wo andere Winzer 100 Hektoliter und mehr pro Hektar aus dem Weinberg pressen, begnügt er sich mit 65 und für Spitzenprodukte sogar mit höchstens 50 Hektolitern.
Mit diesem Ernteverzicht erklomm Löwenstein den Gipfel deutscher Weinbaukunst. Die meisten international renommierten Weinkritiker spenden ihm höchste Anerkennung.
Das ultimative Loblied auf Löwenstein kam allerdings jüngst aus Frankreich. Michel Bettane, Chefredakteur der angesehenen "Revue du vin de France", empfiehlt seinen Lesern eine Pilgerreise nach Winningen an die Mosel. Unter Weinliebhabern gilt das nahezu als Heiligsprechung.
Rüdiger Albert
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Exotische Zungenküsse von Mo sel und Nahe
Große Gewächse, Erste Lagen: Wer in der neuen Weinkategorie am besten abschneidet.
1. Winninger Röttgen, Heymann-Löwenstein (Terrassen-Mosel). Ein betörendes Spiel von exotischen Früchten, Kaffee und Nougat, Nachhall ohne Ende. 17,50 Euro. Tel.: 0 26 06/19 19. 18,3 Punkte
2. Iphöfer Julius-Echter-Berg, Hans Wirsching (Franken). Dezent würziges Aroma, Kraft und Fülle, saftiges Finish. 18 Euro. Tel.: 0 93 23/8 73 30. 18,2 Punkte
3. Dorsheimer Burgberg, Armin Diel (Nahe). Zitrusaromen, prägnantes Frucht-Säure-Spiel, animierende Länge. 19,50 Euro. Tel.: 0 67 21/9 69 50.
18 Punkte
4. Westhofener Kirchspiel, Wittmann (Rheinhessen). Würzige Mineralität, Honigaromen, stoffig. 19,90 Euro. Tel.: 0 62 44/ 90 50 36. 17,9 Punkte
5. Deidesheimer Hohenmorgen, Dr. Bürklin-Wolf (Pfalz). Differenzierte Aromen (Rhabarber, Erdbeer, Honig), elegantes Spiel. 25,20 Euro. Tel.: 0 63 22/ 9 53 30. 17,8 Punkte
6. Winninger Uhlen "B" (Blaufüsser Lay), Heymann-Löwenstein (Terrassen-Mosel). Finessenreiche Mineralität, komplex, pikant und cremig. 19,50 Euro. Tel.: 0 26 06/19 19.
17,7 Punkte
7. Birkweiler Kastanienbusch, Hansjörg Rebholz (Pfalz). Gelbe Früchte, würzige Mineralität, feingliedrig und aus- gewogen. 22 Euro. Tel.: 0 63 45/ 34 39. 17,6 Punkte
8. Ruppertsberger Gaisböhl, Dr. Bürklin-Wolf (Pfalz). Filigrane Anmutung von Pfirsich und Aprikose, saftig und gehaltvoll. 21 Euro. Tel.: 0 63 22/9 53 30. 17,6 Punkte
9. Forster Jesuitengarten, Dr. Bürklin-Wolf (Pfalz). Deutet seine Größe erst an, dezente Pfirsich- und Ananasfrucht. 32,50 Euro. Tel.: 0 63 22/9 53 30.
17,6 Punkte
10. Forster Ungeheuer, Georg Mosbacher (Pfalz). Kräftig, saftig, prägnante Säure, enormer Nachhall. 20 Euro.
Tel.: 0 63 26/3 29. 17,5 Punkte
11. Bacharacher Posten, Helmut Mades (Mittelrhein). Dezente Pfirsichnoten, explodiert förmlich auf der Zunge, sehr lang. 15,80 Euro. Tel.: 0 67 43/14 49. 17,5 Punkte
12. Forster Pechstein, Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan (Pfalz). Pfirsicharoma, feurig, rauchig, mit Zukunft. 21 Euro. Tel.: 0 63 26/60 06.
17,5 Punkte
13. Dorsheimer Pittermännchen, Armin Diel (Nahe). Rassige Mineralität, exotische Aromen (Minze, Eukalyptus), große Zukunft. 19,50 Euro. Tel.: 0 67 21/ 9 69 50. 17,4 Punkte
14. Hochheimer Kirchenstück, Domdechant Werner'sches Weingut (Rheingau). Tolle Orangen-Aprikosen-Aromatik, belebende Säure, feine Mineralität, beeindruckender Nachhall. 19,50 Euro. Tel.: 0 61 46/83 50 37.
17,3 Punkte
15. Hattenheimer Wisselbrunnen, Josef Spreitzer (Rheingau). Elegantes Süße/Säure-Spiel mit Schmelz. 16,50 Euro. Tel.: 0 67 23/26 25.
17,3 Punkte
16. Winninger Uhlen "L" (Laubach), Heymann-Löwenstein (Terrassen-Mosel). Edel und tiefgründig, großes Potenzial. 21,50 Euro. Tel.: 0 26 06/ 19 19. 17,2 Punkte
17. Winninger Uhlen "R" (Roth Lay), Heymann-Löwenstein (Terrassen-Mosel). Bilderbuchriesling, deutet seine verschwenderische Größe erst an. 24,50 Euro. Tel.: 0 26 06/19 19.
17,2 Punkte
18. Ruppertsberger Reiterpfad, Rainer Bergdolt (Pfalz). Ein Meisterwerk von Eleganz und Raffinesse. Enormes Potenzial. 16 Euro. Tel.: 0 63 27/50 27.
17,2 Punkte
19. Leinsweiler Sonnenberg, Thomas Siegrist (Pfalz). Zarte Aprikosennase, delikate Geschmacksentfaltung, mit Tiefgang. 13 Euro. Tel.: 0 63 45/ 13 09. 17,2 Punkte
20. Forster Kirchenstück, Weingut Acham-Magin (Pfalz). Reife Früchte, saftiger Geschmack, sehr gute Balance. 19 Euro. Tel.: 0 63 26/3 15.
17,2 Punkte
21. Forster Pechstein, Reichsrat von Buhl (Pfalz). Vielschichtig, Rauch- und Tabaknoten, gelbe Früchte, kraftvoller Geschmack mit animierender Säure. 18 Euro. Tel.: 0 63 26/96 50 10.
17,2 Punkte
22. Ungsteiner Weilberg. Weingut Pfeffingen (Pfalz). Aprikose, Pfirsich und Quitte, körperreich, feinstrukturierte Säure, viel Potenzial. 16 Euro. Tel.: 0 63 22/86 07. 17,2 Punkte
23. Würzburger Innere Leiste, Weingut am Stein (Franken). Pfirsich-, Zitrus-, Honiganklänge, feine rassige Säure. 18 Euro. Tel.: 09 31/2 58 08.
17,2 Punkte
24. Dorsheimer Goldloch, Armin Diel (Nahe). Gelbfruchtaromen, ausgewogen, beeindruckende Eleganz. 19,50 Euro. Tel.: 0 67 21/9 69 50. 17 Punkte
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Weinfest bei DaimlerChrysler
Warenkunde: Die deutsche Turbokreszenz ist da
Sogar die Sonne lachte, als die Taufgemeinde an einem September-Sonntag im noblen DaimlerChrysler-Atrium am Potsdamer Platz in Berlin versammelt war. Erst recht strahlte Seine Durchlaucht Michael Prinz zu Salm-Salm, dem als Präsidenten des Verbandes Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) die Ehre zufiel, den Täufling vorzustellen und zu feiern: eine neue Spitzenkategorie des deutschen Weinbaus, getauft auf den nicht eben bescheidenen Namen "Großes Gewächs" - ein "Jahrhundertwerk", so Salm-Salm schwärmerisch.
Fürwahr: Rund 200 deutsche Spitzenweingüter haben sich geeinigt, dass vom Jahrgang 2004 an nur noch Weine aus klassifizierten Lagen den Namen des jeweiligen Weinbergs tragen dürfen, alle anderen Weine müssen als Orts- und Gutsweine vermarktet werden. Die besten Parzellen innerhalb dieser klassifizierten Lagen dürfen je nach Region die Zusätze "Erstes Gewächs" (Rheingau), "Erste Lage" (Mosel) oder "Großes Gewächs" (alle anderen Regionen) tragen.
Weine dieser Spezifikation müssen strenge Auflagen erfüllen. So wird das Spektrum der Rebsorten auf Riesling, Weiß-, Grau- und Spätburgunder sowie Silvaner beschränkt. Die Lese darf nur mit der Hand ausgeführt werden, die Erträge dürfen 50 Hektoliter pro Hektar nicht überschreiten. Darüber hinaus werden regelmäßig die Weinberge und die Weingüter kontrolliert und die Weine vor der Freigabe zum Verkauf intern verkostet.
In der Blindverkostung der Premierenkreszenzen, 110 großen Gewächsen vom trockenen Riesling aus dem Jahr 2002, die manager magazin im Hamburger Restaurant "Landhaus Dill" veranstaltete, stießen die acht Juroren auf manchen eleganten Festtrunk, aber auch auf reichlich Etikettenschwindel: Nach drei Vorrunden blieben 44 Weine zum Schlusstest im Rennen, 24 von ihnen erreichten mindestens 17 von 20 erreichbaren Punkten.