Italienische Hochzeiten
Der 8. Oktober 1997 war ein besonderer Tag im beruflichen Wirken von Ulrich Hartmann. An diesem Tag durfte der damalige Vorstandschef des Düsseldorfer Energieversorgers Veba - heute Eon - Unternehmensgeschichte schreiben. Veba führte seine Aktien an der wichtigsten Börse der Welt ein, der New York Stock Exchange (Nyse).
Mit viel Liebe zum Detail hatte Vorstandschef Hartmann diesen historischen Moment vorbereiten lassen. Veba-blaue Luftballons schwebten über dem Finanzdistrikt rund um die legendäre Wall Street, selbst die ehrwürdige Säulenfassade der Nyse wurde mit den Firmenfarben geschmückt.
Ein Auftritt ganz nach Hartmanns Geschmack. Die Amerikaner "haben die Veba-Story verstanden", tönte er. Der Anteil der US-Aktionäre werde sich durch die Wall-Street-Notierung wohl annähernd verdoppeln. So viel Siegesgewissheit steckte sogar die amerikanischen Gastgeber an: Der damalige Börsenchef Richard Grasso freute sich mit seinem neuen Kunden über den "historischen Tag für Wall Street".
Sechs Jahre später ist die deutschamerikanische Freundschaft merklich abgekühlt. In Düsseldorf wollen viele nur noch eines: so schnell wie möglich von der Börse in New York verschwinden.
Der Imageeffekt des US-Börsengangs, granteln Eon-Topmanager, sei total überschätzt worden, der Anteil an US-Investoren bestenfalls gleich geblieben. Stattdessen zahle man jährlich Millionen dafür, einem Behördenapparat ausgeliefert zu sein, der dem Konzern immer neue Pflichten aufbürde.
Hartmann-Nachfolger Wulf Bernotat empfiehlt "allen Unternehmen, die an die New Yorker Börse gehen, eine sehr sorgfältige Kosten-Nutzen-Analyse" - eine diplomatische, aber unmissverständliche Warnung an die Kollegen, die über einen Gang an die Nyse nachdenken.
Die Eon-Lenker sind nicht die Einzigen, die von der Welthauptstadt des Kapitalismus enttäuscht sind. Rund zehn Jahre, nachdem sich Daimler-Benz als erstes deutsches Unternehmen an die Nyse gewagt hatte, fällt die Bilanz ernüchternd aus:
m Die Aktien der meisten Gäste werden kaum beachtet und kaum gehandelt.
m Trotz Nyse-Listing stagniert der Anteil amerikanischer Anleger bei vielen deutschen Konzernen, teilweise nimmt er sogar ab.
m Die Börsennotierung in den USA verschlingt Millionen; insbesondere der Aufwand für die Berichterstattung nach den amerikanischen Gaap-Regeln ist immens.
m Zu allem Überfluss sind die Vorschriften nach den spektakulären Pleiten von Enron und Worldcom kräftig verschärft worden. Wer sich weigert, seine Geschäftsvorgänge akribisch zu dokumentieren, dem drohen drakonische Strafen.
"Der Vorstand eines in den USA notierten Unternehmens", sagt der Hamburger Bilanzprofessor Eberhard Scheffler, "läuft heute permanent Gefahr, wegen eines Regelverstoßes vor Gericht gestellt zu werden."
Hoher Aufwand, enorme Risiken, kaum Vorteile - war der Marsch der Deutschen an die US-Börse eine Fehlentscheidung, getrieben von Globalisierungswahn und Börsenboom?
Selten zuvor haben deutsche Firmenchefs ein Ereignis so zelebriert wie den Börsengang in den USA. Einige haben Legionen von PR-Profis engagiert, um der Erstnotierung die gebührende Strahlkraft zu verleihen.
Veba-Chef Hartmann lud die New Yorker Finanzwelt zum Empfang in das traditionsreiche Whitney-Museum. Telekom-Primus Ron Sommer bat zum privaten Liza-Minnelli-Konzert ins Guggenheim. Und Infineon-Lenker Ulrich Schumacher bestand darauf, gemeinsam mit der amerikanischen Rennfahrerlegende Mario Andretti im silbernen Porsche an der Wall Street vorzufahren.
Der Börsengang im "Big Apple" geriet für so manchen Vorstandsvorsitzenden zu einer Art Krönungsmesse. Ein Listing an der Nyse kam einer persönlichen Eintrittskarte für den exklusiven Klub der Global Player gleich.
Gegenüber den Anlegern wurden für den Ausflug über den Atlantik natürlich andere Gründe angeführt: Der Zugang zum größten Kapitalmarkt der Welt werde durch einen Börsengang vor Ort sehr viel einfacher, hieß es. Die meisten Unternehmen rechneten mit deutlich mehr amerikanischen Investoren in ihrem Aktionärskreis.
Diese Hoffnungen haben sich zerschlagen. Gemessen an ihren Erwartungen, sind die Vorstände nahezu aller an einer US-Börse notierten deutschen Unternehmen bitter enttäuscht worden. "Ein Listing an der Wall Street wird heute wesentlich nüchterner gesehen", sagt Klaus Pohle, Ex-Finanzvorstand des Pharmaherstellers Schering, der sich 2000 an die Nyse wagte.
Beim Schering-Konkurrenten Bayer etwa stieg der Anteil der US-Anleger nach dem Börsengang zunächst um 5 Prozentpunkte, schmolz dann aber wieder ab. Einen solchen Rückfluss - "Flowback" genannt - erleben viele.
Eon-Manager beklagen, per saldo habe sich an ihrer Aktionärsstruktur nichts geändert. Das Gleiche gilt für die Deutsche Bank. Bei Siemens, das 2001 in New York startete, ist der Anteil amerikanischer Investoren gar rückläufig.
Das mangelnde Interesse an den Aktien aus Übersee geht einher mit mageren Börsenumsätzen: Meist werden in New York pro Tag nur wenige zehntausend Aktien deutscher Unternehmen umgeschlagen. In Frankfurt sind es meist mehrere Millionen am Tag.
Selbst US-Investoren kaufen paradoxerweise lieber in der fernen Main-Metropole als zu Hause am Hudson River. "Wir gehen mit unseren Orders an die Heimatbörse, weil dort die Liquidität am besten ist", sagt Josh Kurzban, Portfoliomanager beim US-Fonds SAC, der weltweit knapp vier Milliarden Dollar verwaltet. "Wo ein Unternehmen sonst noch notiert ist, spielt keine Rolle."
In dem Bemühen, ihr US-Listing zu rechtfertigen, schieben die Verantwortlichen neuerdings das nebulöse Argument vom "Zielbündel" vor. "Wir wollten eine Akquisitionswährung für Übernahmen in den USA schaffen", sagt beispielsweise Allianz-Finanzvorstand Helmut Perlet (siehe Interview Seite 90); eingesetzt hat der Versicherungsriese die Tauschwährung seit dem New Yorker Börsengang indes nicht.
Auch der immer wieder gern vorgebrachte Hinweis, nur wer an der Wall Street notiert sei, könne auch US-Mitarbeiter mit Aktienoptionen locken, verfängt nicht. Neue Bilanzvorschriften und strengere Vergaberegeln haben die Bezugsrechte zum Auslaufmodell werden lassen.
Bleibt als letzte Rechtfertigung der wortreich beschworene "Vertrauenszuwachs"; eine Wertschätzung, die allein genieße, wer sich den strengen US-Börsenregeln unterwerfe.
Doch dieses Wohlwollen der amerikanischen Investoren müssen sich die Ausländer teuer erkaufen. Auf mindestens zehn Millionen Euro taxieren Experten die jährlichen Ausgaben eines großen deutschen Konzerns für das Listing an der Nyse. Tendenz: steigend.
Die Börsenaufsichtsbehörde SEC hat das Regelwerk nach den zahlreichen Skandalen erheblich verschärft. Der Sarbanes-Oxley-Act verpflichtet Vorstandschef und Finanzvorstand eines in den USA notierten Unternehmens seit einem guten Jahr, die Wahrhaftigkeit der Bilanz per Unterschrift zu beeiden.
SEC-Chef William Donaldson verlangt zudem von den Managern einen Nachweis, dass ihre firmeninternen Kontrollmechanismen funktionieren. Die ebenfalls in New York notierte Deutsche Bank musste deshalb rund eine Billion Geschäftsvorgänge - vom Devisenverkauf am Telefon bis hin zur Verbuchung in der Bilanz - checken und dokumentieren. "Die Amerikaner", räumt Deutsche-Bank-Finanzvorstand Clemens Börsig ein, "haben mit einem sehr umfangreichen Maßnahmenpaket reagiert."
Wer sich weigert, die Vorgaben zu erfüllen, dem drohen Geldstrafen von bis zu fünf Millionen Dollar - und im schlimmsten Fall 20 Jahre Haft.
Die strengen Regeln der Aufsichtsbehörde steigern zwar die Transparenz für die Aktionäre. Für die Unternehmen wird das Listing an der Nyse jedoch immer unberechenbarer. "Die Möglichkeiten für einen US-Anleger, ein Unternehmen wegen fehlerhafter Angaben zu verklagen, nehmen durch einen Börsengang in den USA beträchtlich zu", warnt Rechtsanwalt Joseph W. Marx von der Kanzlei White & Case, Feddersen in Frankfurt.
DaimlerChrysler zahlte im vergangenen Sommer 300 Millionen Dollar an eine Gruppe amerikanischer Investoren, die sich von Vorstandschef Jürgen Schrempp falsch informiert fühlten. Zugleich streitet sich der Autokonzern seit Anfang Dezember mit dem früheren Chrysler-Großaktionär Kirk Kerkorian vor Gericht um eine Schadensersatzforderung in Milliardenhöhe.
Auch die Deutsche Telekom wurde mit Klagen wütender US-Aktionäre überzogen. Die amerikanischen Investoren fühlten sich nach dem Börsengang des Telefonkonzerns in New York unter anderem wegen der falschen Bewertung des Immobilienvermögens getäuscht.
Für die Ausländer an der Wall Street ist das Risiko nur noch schwer kalkulierbar. Die Prämien für so genannte D&O-Policen (Directors and Officers), mit denen sich Vorstand und Aufsichtsrat gegen die Klageflut versichern, haben sich für Deutsche Bank & Co. in den vergangenen Jahren vervielfacht.
Für Konzerne dieser Größenordnung liegen die Versicherungskosten heute bei schätzungsweise fünf Millionen Euro jährlich. "Was jetzt zum Teil an Prämien gefordert wird", beschwert sich Deutsche-Bank-Vorstand Börsig, "setzt das Risiko meiner Meinung nach sehr hoch an."
Zumal dem stattlichen Preis kaum messbare Vorteile gegenüberstehen. Sinnvoll ist der Ausflug in die USA eigentlich nur noch für solche Unternehmen, die wie DaimlerChrysler an der Nyse präsent sein müssen. Chrysler würde sonst schlichtweg nicht mehr als amerikanische Firma wahrgenommen - und von den Kunden nicht mehr akzeptiert. Die Deutsche Bank, die tausende von Mitarbeitern jenseits des Atlantiks beschäftigt und über die New Yorker Börse einen Groß-teil ihrer US-Geschäfte abwickelt, kommt um ein Listing ebenfalls nicht herum.
"Selbst bei DaimlerChrysler und der Deutschen Bank wird der Aktienpreis aber in Frankfurt gemacht", weiß Georg Stürzer, Analyst bei der HypoVereinsbank.
Konzerne wie Volkswagen, RWE oder Porsche haben sich daher bewusst gegen ein Engagement an der Wall Street entschieden. "Neben den Familien Piëch und Porsche sind US-Anleger unsere größte Aktionärsgruppe", heißt es bei dem Stuttgarter Autobauer, "wir haben sie gefragt, ob sie ein Nyse-Listing begrüßen würden - und sie haben uns signalisiert, dass es für sie nicht von Bedeutung ist." So sinkt seit Jahren die Zahl ausländischer Neuzugänge an der Nyse (siehe Grafik Seite 88).
Wer einmal dort notiert ist, kommt allerdings kaum wieder heraus. Ausflügler wie Eon und die Allianz haben die Option eines Delistings diskutiert. Die Rückzugspläne wurden schnell wieder ad acta gelegt.
Zum einen, weil der Imageschaden beträchtlich sein dürfte. Zum anderen verlangen die US-Behörden für eine so genannte Deregistrierung den Nachweis, dass der Kreis der US-Aktionäre auf weniger als 300 abgeschmolzen ist - und zwar über einen Zeitraum von anderthalb Jahren. Für Konzerne mit tausenden von Einzelaktionären ein kaum zu bewältigender Kraftakt. "Die Notierung in New York ist wie eine italienische Hochzeit", bestätigt Eon-Lenker Bernotat, "man kann nicht wieder zurück."
Einer der wenigen, die sich trotz aller Widrigkeiten aus der Umklammerung befreien konnten, ist der schwedische Lastwagenbauer Scania. Der Softwarehersteller Intershop aus Jena und die Kölner Telekom-Firma QSC - beide an der US-Hightech-Börse Nasdaq gelistet und damit den gleichen strengen Regularien wie Nyse-Firmen unterworfen - wollen diesem Beispiel nun folgen.
Sie sammeln ihre Aktien in den USA ein, lassen die Aktionäre auszahlen - und freuen sich auf die Freiheit. "Ich bin froh", sagt QSC-Finanzvorstand Markus Metyas, "dass wir das Abenteuer US-Listing endgültig hinter uns haben."
Patricia Döhle/Ulric Papendick
*Mit den Amtsvorgängern Ulrich Hartmann (Foto links, r.) und Henning Schulte-Noelle (Foto rechts, r.).
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Bittere Bilanz
Teuer bezahlt: Die Börsennotierung in New York kostet die großen deutschen Konzerne jedes Jahr eine zweistellige Millionensumme - Tendenz steigend.
Empfindlich gegängelt: Die US-Börsenvorschriften sind nach zahlreichen Skandalen merklich verschärft worden; wer die strengen Regeln nicht einhält, riskiert drakonische Strafen.
Wenig beachtet: Die meisten deutschen Aktien werden an der Wall Street kaum gehandelt; der Anteil der US-Aktionäre geht bei einigen Firmen seit der Nyse-Notiz sogar zurück (siehe Grafik).
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