Wirtschaft nach Corona - nun droht ein "K" Wie Corona Deutschland in Gewinner und Verlierer spaltet

Deutschland in Corona-Zeiten: Während Besserverdienende meist im Homeoffice arbeiten und vom Aktienboom profitieren, sind Arbeiter und Geringverdiener höheren Risiken ausgesetzt - gesundheitlich wie finanziell
Foto: dpa Picture-Alliance / Wolfram Steinberg/ picture alliance / Wolfram SteinWährend jeder Rezession gibt es unter Ökonomen eine lebhafte Debatte darüber, ob die anschließende wirtschaftliche Erholung einen "L-förmigen" (d.h., lange flachen), "V-förmigen" (steil nach oben gehenden) oder "U-förmigen" (bald deutlich nach oben gerichteten) Verlauf nehmen wird. Die Corona-Pandemie hat nun aber bemerkenswerterweise einen vierten Denkansatz hervorgebracht. Diesem zufolge wird sich das Wirtschaftswachstum "K-förmig" erholen. Soll heißen: Der Konjunkturverlauf geht selbst innerhalb derselben Volkswirtschaft gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen, nach oben und nach unten.
Dass die wirtschaftliche Erholung uneinheitlich verläuft, kann man in Deutschland und anderswo daran ablesen, dass das Vermögen der meisten wohlhabenden Menschen, die u.a. Aktien besitzen, trotz der massiven Wirtschaftskrise sogar noch angestiegen ist.
Auch die Angestellten mit höherem Bildungsgrad haben sich von der ersten Welle der Pandemie wirtschaftlich betrachtet gut erholt. Viele von ihnen können ihrer Arbeitstätigkeit jetzt von zu Hause aus nachgehen. Weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und auf Reisen und Unterhaltung sowie Restaurantbesuche verzichten müssen, sparen sie sogar mehr als zuvor.
Aktienbesitzer und leitende Angestellte sind eher Gewinner der Pandemie
Zu welchen strukturellen Wandlungen in unseren westlichen Gesellschaften dies führen kann, lässt sich an einem im Juni 2020 veröffentlichten Forschungsbericht über die Lage in den USA ablesen. 80% der von der Beratungsfirma McKinsey Befragten gaben an, gerne von zu Hause aus zu arbeiten. Und 41% fühlten sich obendrein produktiver als zuvor, während 28% sich als ebenso produktiv empfanden wie zu Präsenzzeiten im Büro.
Ganz offensichtlich fühlen sich viele Angestellte in den USA – fernab der deutschen Diskussion über das Für und Wider einer gesetzlichen Verankerung der Homeoffice-Option – existenziell ziemlich befreit. Das gilt nicht zuletzt, weil sich ihnen so zusätzliche Optionen beim Thema Alltags- und Freizeitgestaltung auftun.
Arbeiter und Angestellte mit geringerem Einkommen leiden
Im Gegensatz dazu sind die langfristigen Auswirkungen der gegenwärtigen Pandemie und Wirtschaftskrise auf Arbeiter und sonstige Angestellte eher beängstigend. Neue Umfragedaten von Nicholas Bloom, Wirtschaftsprofessor an der Stanford University und IZA Research Fellow, belegen, dass in den USA Menschen mit niedrigem Einkommen oder niedrigerem Bildungsniveau oft nur die Option haben, sich auf den Weg zur Arbeit zu machen - wenn sie überhaupt das Glück haben, noch beschäftigt zu sein.
Während 58 Prozent der Amerikaner mit mindestens vier Jahren College bzw. Hochschulausbildung im Home Office arbeiteten, stellte Bloom fest, dass nur 1 Prozent (!) der Amerikaner mit weniger als der High-School-Ausbildung das Privileg hatten, räumlich flexibel zu arbeiten.
Eine Analyse nach einkommensbezogenen Daten weist zwar weniger dramatische Differenzen auf, zeigt aber immer noch erhebliche Unterschiede. Unter den 25% der Arbeitnehmer in den USA mit dem höchsten Einkommen arbeiteten 60% im Erhebungszeitraum von zu Hause aus, während nur 29% derjenigen im niedrigsten Viertel der Einkommensverteilung diese Flexibilität hatten.
Auch wenn sich diese Daten auf die USA beziehen, sind diese sehr ungleichen Entwicklungen doch weit über die Vereinigten Staaten hinaus von tiefgreifender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Bedeutung. Viele Arbeitnehmer in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen wie im Transportwesen und der Gastronomie sehen ihre Arbeitsplätze zum Teil dauerhaft verschwinden.
Die einen bleiben im Homeoffice, die anderen gehen ins Risiko - oder verlieren ihren Job
Gleichzeitig haben diejenigen, die das Glück haben, ihren Arbeitsplatz zu behalten, zudem noch den Vorteil, ihren Job weitgehend von zu Hause aus erledigen zu können. Sie sind insofern den mit der Pandemie verbundenen Gesundheitsrisiken viel weniger ausgesetzt.
Diese Arbeitsmarktentwicklungen, die natürlich auch Effekte auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung haben, sind umso virulenter, als viele Arbeitnehmer in den USA, die zuvor gut bezahlte Jobs im verarbeitenden Gewerbe hatten, seit den 1980er Jahren ihre dortigen Arbeitsplätze zunehmend verloren haben. Als Anschlussbeschäftigung fanden sie häufig nur niedrigqualifizierte und schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor. Und jetzt raubt die Pandemie diesen Arbeiternehmern auch noch diese Jobs.
Die zunehmenden sozialen Unruhen, die in vielen Ländern - gerade auch innerhalb der EU – wegen der Corona-Beschränkungen zu beobachten sind, sind in erster Linie ein Hilferuf von Menschen, die zunehmend ihre Hoffnung auf ein besseres oder sogar ein menschenwürdiges Leben verloren haben und sich nun einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sehen.
Spaltung der Gesellschaft in Vermögen und Beschäftigung - und in gesund und krank
Wer diese Zusammenhänge richtig einordnet, erkennt, dass die K-förmige Erholung von der Pandemie nicht nur ein doppelter, sondern letztlich sogar ein dreifacher Schlag ins Kontor ist. Denn abgesehen von der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in den Bereichen Vermögen und Beschäftigung gibt es zunehmend auch eine große Kluft in Bezug auf die gesundheitliche Entwicklung.
Insofern hat die Pandemie Auswirkungen auf die globalen Arbeitsmärkte, deren Konsequenzen diesmal weit über die üblichen, während sonstiger Konjunkturzyklen wahrzunehmenden Effekte hinausgehen.
Das stellt mit klaren Augen betrachtet eine Bedrohung für die globale politische Stabilität dar. Das ungeschminkte Erkennen dieser Bedrohung ist ein erster Schritt zur Behebung der zugrunde liegenden Ursachen.
Daniel S. Hamermesh ist Direktor am Globalen Forschungsnetzwerk des IZA (Institut zur Zukunft der Arbeit) in Bonn und Bonn und Wirtschaftsprofessor am Barnard College, New York City.