Jair Bolsonaros Superminister-Kandidat Paulo Guedes Dieser Chicago Boy will Brasiliens Rechtsruck managen

Paulo Guedes

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Das fünftgrößte Land der Welt steht vor einem politischen Erdrutsch nach rechts. Der Ex-Militärhauptmann Jair Bolsonaro, der Probleme ebenso wie politische Gegner am liebsten mit der Schusswaffe erledigen will, hat die Stichwahl zum brasilianischen Präsidentenamt am Sonntag haushoch gewonnen.

Entscheidenden Anteil daran hat ein Mann, der im Gegensatz zu Bolsonaro zu leisen Tönen und professoralem Habitus neigt: Paulo Guedes, Wirtschaftsberater des Kandidaten. Dass Bolsonaro überhaupt "der Kandidat der Märkte" werden konnte, wie ihn die Deutsche Bank in einer Analyse betitelte, liegt an dem Banken- und Börsenveteran an seiner Seite.

Noch mehr Anteil an dem Rechtsruck könnte Guedes nach der Wahl bekommen: Der 69-Jährige ist für ein neues Superministerium vorgesehen, das aus Finanz-, Wirtschafts-, Industrieministerium und der Privatisierungsbehörde zusammengelegt werden soll. Er hegt radikale Pläne, von denen die meisten in völligem Gegensatz zu Bolsonaros jahrzehntelang bekundetem Willen zum starken Staat stehen.

Noch vor einem Jahr kannten sich die beiden gar nicht. Bolsonaro, seit 1991 im Parlament als schriller Außenseiter und erklärter Anhänger der Militärdiktatur (1964-1985) - mit der Einschränkung, sie sei in Brasilien viel zu soft gewesen und hätte zehntausende Linke und Liberale töten müssen; Guedes, an der ultraliberalen US-Universität Chicago promoviert, Mitgründer der führenden brasilianischen Investmentbank Pactual (heute BTG Pactual), der neoliberalen Denkfabrik Instituto Millennium, Chef des Vermögensverwalters Bozano Investimentos, Prediger der Geldanlage in mehreren Zeitungs- und Zeitschriftenkolumnen.

Was die beiden vereint, ist die Wut auf die linke Arbeiterpartei, die jede der vier vorigen Präsidentschaftswahlen gewann und auch diesmal mit dem Ökonom Fernando Haddad in der Stichwahl vertreten ist. Nach der schwersten Wirtschaftskrise der brasilianischen Geschichte und einem beispiellosen Korruptionsskandal herrscht in dem ohnehin tief gespaltenen, von Gewalt und Kriminalität geplagten Land ein Klima von Hass und Misstrauen.

Mit den etablierten bürgerlichen Parteien, die in den vergangenen zwei Jahren eine ebenso unpopuläre wie ungewählte Regierung stützten und radikale Reformen durchzogen, aber selbst im Zentrum der größten Skandale standen, mochte Guedes nicht mehr rechnen. "Ein netter Typ auf einem untergehenden Schiff", nannte er den liberalen Vormann Geraldo Alckmin gegenüber "Bloomberg".

Die Rückkehr der linken Umverteilungspolitik wäre nur mit einem Angreifer zu verhindern, der glaubhaft das ganze System aufzumischen verspricht. Zunächst beriet er den Fernsehmoderator Luciano Huck, doch der zögerte mit seiner Kandidatur.

Als Jair Bolsonaro, der mit zweitem Vornamen Messias heißt und auch als solcher auftritt, in den Umfragen aus dem Nichts aufstieg, begann Guedes ihn in seinen Kolumnen hervorzuheben: als "legitimen Erben der Rechten", als "Beschützer von Leben und Privateigentum" - ein seltenes Lob des Mannes, der bis dato noch als ungehobelter Frauen- und Schwulenhasser mit rassistischen Ausfällen im gesellschaftlichen Abseits stand.

"Paulo Guedes gab uns Unternehmern die Entschuldigung, Bolsonaro zu wählen"

So kam es im November 2017 zum Kontakt - und plötzlich präsentierte der Kandidat, der zu dieser Zeit weder Partei noch Programm hatte, seinen Schattenminister und Chefberater Paulo Guedes.

"Der Bürge" nennt ihn die Journalistin Malu Gaspar in einem ausführlichen Porträt  für die Zeitschrift "Piauí": ein Garant dafür, dass der pöbelnde und eifernde Bolsonaro in seiner angekündigten "Säuberung" Brasiliens die Reichen verschont.

Seit Bolsonaro und Guedes als Team auftraten, sei das Duo gefragter Gast in den Industrie- und Finanzzirkeln von São Paulo gewesen, berichtet Gaspar. Mehrere Investoren, die noch immer lieber anonym bleiben wollen, zitiert sie. Beispielhaft sagt einer: "Viele Unternehmer wollten Bolsonaro wählen, verspürten aber Angst oder Scham. Paulo Guedes gab uns die Entschuldigung, die wir brauchten."

So kam es, dass schon im ersten Wahlgang die Stimmen der rechten Mitte praktisch komplett zu Bolsonaro überliefen, der fast direkt die absolute Mehrheit erreichte.

Zumindest etwas unwohl scheint sich auch Paulo Guedes mit Bolsonaro und dessen Anhängern zu fühlen. "Ich kam als letzter und ging als erster", sagt er über seinen ersten Wahlkampfauftritt vor tausenden fanatischen Rechten in Rio de Janeiro. "Das war nicht die richtige Umgebung für mich."

Trotzdem wurde er, neben Bolsonaros Söhnen und noch vor dessen Vize - dem Reservegeneral Hamilton Mourão -, zur Schlüsselfigur der Kampagne. Als Bolsonaro sein Statement zum ersten Wahlgang abgab, per Youtube aus dem eigenen Apartment, saß Guedes schweigend daneben.

Inhaltlich ist die Kluft noch größer als kulturell.

Paulo Guedes hat Bolsonaro, der in 27 Jahren als Abgeordneter gegen jede Privatisierung von Staatsfirmen stimmte und manches Mal die Betreiber des Verkaufs als Verräter schmähte, die man erschießen müsse, ein Programm mit "weitreichenden Privatisierungen" verordnet. "Alles verkaufen, sonst bringt es das nicht", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

"Wirklich alles? Auch die strategischen Firmen?", soll Bolsonaro im persönlichen Gespräch entsetzt gefragt haben, worauf Guedes ihm beigebracht haben will, es gebe nichts von strategischem Interesse, auch nicht das Tiefseeöl von Petrobras. Sogar Schulen und Gefängnisse hält Guedes für verkäuflich.

Das komplizierte brasilianische Steuersystem will Guedes mit einem Schlag lichten. Er spricht von einer einheitlich Einkommens- und Unternehmensteuer von 20 Prozent, inzwischen gesenkt auf 15 Prozent. Bundesstaaten und Gemeinden sollen sich selbst finanzieren, statt die Hand beim Bund aufzuhalten. Bolsonaro hat zeitlebens jede Steuersenkung abgelehnt und seine Karriere auf den Ruf nach besserer Bezahlung im Staatsdienst - vor allem mit Blick auf Militär und Polizei - gegründet.

Als wichtigstes Vorhaben sieht Guedes die Abschaffung der per Umlage finanzierten gesetzlichen Rente zugunsten eines kapitalgedeckten Systems. Noch im Januar hatte Bolsonaro geholfen, solche Pläne zu stoppen: "Ich kann die zukünftigen Rentner nicht einfach in die Not entlassen, wenn der Finanzmarkt wackelt."

Vorbild Pinochet - oder kommt alles ganz anders?

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Als Vorbild für Guedes' Modell könnte man die Wirtschaftspolitik der auch von Bolsonaro bewunderten chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet sehen, die von den "Chicago Boys" betrieben wurde - Guedes' Studienkollegen. Auch Paulo Guedes selbst kam damals wegen seiner Chicago-Verbindung für ein halbes Jahr als Gastprofessor nach Santiago. In Brasilien allerdings setzten die Generäle zumeist auf schuldenfinanzierte "Pharaonenprojekte", die für Bolsonaro bis heute den Stolz der Nation darstellen.

Der Spagat wird leicht wegerklärt. Wenn Bolsonaro eine Frage zur Wirtschaft gestellt wird, ist seine Standardantwort: "Da muss ich Paulo fragen." Er selbst habe leider nicht genug Ahnung und müsse sich auf den Experten verlassen.

Paulo Guedes behauptet, der Staatsgläubige mache unter seiner Anleitung im Eiltempo eine Transformation zum Wirtschaftsliberalen durch. "Er ist intelligent, und ich bin sehr überzeugend. Er lernt schnell." Umgekehrt wiederum enthält sich der Ökonom jeder Wertung zur Sicherheits- und Gesellschaftspolitik.

Die Zeitschrift "Veja" brachte schon im August Paulo Guedes auf den Titel: "Er könnte Präsident Brasiliens werden" - als heimlicher Präsident, heißt das, der hinter Jair Bolsonaro die Strippen zieht. Entweder das, oder Bolsonaro nutzt Guedes als liberales Feigenblatt, solange er noch nicht an der Macht ist.

Und dann gibt es noch offensichtliche Hindernisse für das Guedes-Programm. "Er hat herumgerechnet und gesehen, dass er die Steuern erhöhen statt senken müsste, weil die Rechnung für den Staatshaushalt nicht aufgeht", kommentiert Ricardo Sennes von der Wirtschaftsberatung Prospectiva gegenüber "El País"  das Chaos im Steuerkonzept. Ein echter Plan sei nicht erkennbar, Paulo Guedes in Wahrheit wirtschaftspolitisch "genauso unbeleckt wie Bolsonaro".

Außerdem würde die Privatisierung der Staatsbank Banco do Brasil die boomende Agrarindustrie mit ihren günstigen Krediten gefährden. Auch wenn Bolsonaro ihr Landbesetzer und Waldschützer vom Hals hält, könnte er diese wichtige Interessengruppe vergraulen.

Die Agrarvertreter sind neben den evangelikalen Christen die derzeit einzige sichere Bank für Bolsonaro im auf 30 Parteien angewachsenen Parlament. Dort Mehrheiten für Gesetze zu organisieren, wird heikler denn je - jedenfalls solange die neue Regierung die demokratische Verfassung respektiert. Aus eigener Kraft kommt Bolsonaros neue Partei PSL nur auf ein Zehntel der Sitze.

Nicht zuletzt ist auch Paulo Guedes persönlich ein Unsicherheitsfaktor. Im Oktober begannen Staatsanwälte gegen ihn zu ermitteln. Seine Fondsgesellschaft soll eine Milliarde Real (rund 240 Millionen Euro) veruntreut haben - ausgerechnet mithilfe der Manager von Pensionsfonds der Staatsunternehmen Petrobras, Banco do Brasil, Correios und Caixa Econômica Federal.

Guedes' Anwälte wiesen die Vorwürfe sogleich als unbegründet und Eingriff in den Wahlkampf zurück. Die Korruptionsjäger selbst im Geruch der Korruption - bei den Wählern scheint dieser Verdacht nicht zu verfangen. Bolsonaro selbst wurde auch verziehen, dass er illegalerweise seine Frau auf Parlamentskosten mit üppigem Gehalt bedachte. Doch sollte der Präsident einmal genug von seinem Berater haben, könnten die Ermittlungen einen willkommenen Vorwand liefern.

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