Omikron-Ausbreitung China und das Rätsel um "die dynamische Null"

Zweitgrößter Hafen der Welt: im August 2021 sorgte ein einziger Corona-Fall unter den Hafenarbeitern für einen weltweiten Containerstau
Foto: Suo Xianglu / dpaIn der chinesischen Hafenstadt Tianjin sorgen derzeit etwa 130 an Omikron Erkrankte für Aufregung. Eine dreistellige Zahl an Infizierten in einer Metropole mit 14 Millionen Menschen, das würde in Europa und vielen anderen Teilen der Welt angesichts der derzeitigen Zahlen nur ein Schulterzucken hervorrufen.
Anders in China. Die Behörden verfolgten hier bislang stets eine "Null-Covid-Strategie". Nun beobachten vor allem die westlichen Industrienationen gebannt, ob China auch bei der deutlich ansteckenderen Omikron-Variante bei seiner harten Linie bleiben kann.
Bislang führten schon wenige Infizierte zu scharfen Maßnahmen. Im August 2021 genügte ein einziger mit dem Coronavirus infizierter Hafenarbeiter, um ein komplettes Terminal in Ningbo, dem zweitgrößten Hafen der Welt, zu sperren. Mehr als 50 Containerschiffe stauten sich, eine nachhaltige Störung der weltweiten Seetransportwege war die Folge.
Viele Industrieunternehmen klagen seitdem über fehlende oder zu spät gelieferte Vorprodukte, einige Konsumgüter sind weiterhin knapp. Und auch jetzt steht Ningbo wieder im Blickpunkt. Weil dort viele LKW-Fahrer erkrankt sind, steuern die Reedereien bereits andere Häfen an und nehmen dafür lange Wartezeiten in Kauf. Doch das scheint nur der Anfang der Omikron-Misere zu sein.
Sieben der zehn größten Containerhäfen liegen in China
Der Verband Deutscher Reeder ist besorgt angesichts der chinesischen Null-Toleranz-Politik. "Bisher wurden schon bei wenigen Fällen riesige Hafenanlagen kurzfristig geschlossen", sagt Verbandssprecher Christian Denso. "Sollte das bei Omikron genauso gehandhabt werden, hätte das möglicherweise gravierende Auswirkungen." Sieben der zehn größten Containerhäfen weltweit liegen in China. "Werden davon nur ein oder zwei Häfen aus Infektionsschutzgründen dichtgemacht, ist das von der Kapazität her vergleichbar mit einer zeitgleichen Schließung aller großen Häfen Europas."
Der Reederverband sieht mögliche Komplikationen dabei allerdings nicht nur für den Welthandel. "Es drohen auch Probleme beim bislang in China schon sehr schwierigen Austausch von Schiffsbesatzungen oder bei der notwendigen medizinischen Versorgung von Seeleuten an Bord, wenn diese an anderen Krankheiten leiden", sagt Denso.
Ladung müsste umgeroutet werden
Auch andere Experten teilen die Sorge. "Selbst die Schließung einzelner Terminals hat im vergangenen Jahr schon zu enormen Wartezeiten vor den Häfen geführt", sagt Burkhard Lemper, Leiter des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) . "Sollte das nun wieder passieren oder sogar komplette Häfen ausfallen, würde das hauptsächlich die Containerschifffahrt treffen."
Wie die Linienschifffahrt darauf reagieren würde, ist für Lemper noch schwierig vorherzusagen. "Sicher müsste die Ladung umgeroutet werden", sagt er. Fraglich sei aber, ob andere Häfen das überhaupt auffangen könnten. Die Gefahr: Auf den Weltmeeren könnten in den nächsten Monaten merklich weniger Waren bewegt werden – mit Folgen für die Lieferketten und Verbraucher weltweit.
Eine neue Formulierung macht Hoffnung
Doch ein wenig Zuversicht bleibt. Zum einen konnte China die Covid-19-Infektionszahlen bislang meistens gut und schnell eindämmen, vielleicht bleiben auch bei Omikron sensible Bereiche wie die Häfen weitgehend verschont. Und selbst wenn das nicht gelingt, ließ sich kürzlich zwischen den Zeilen eine mögliche Kursänderung der chinesischen Corona-Strategie erahnen.
Statt der strengen No-Covid-Politik ist plötzlich in den Verlautbarungen der Regierung von einer "dynamischen Null" die Rede. Eine Bezeichnung, die auch im Hinblick auf die in drei Wochen anstehenden Olympischen Winterspiele für etwas mehr Lockerheit sprechen könnte – und zumindest in der Seeschifffahrt sowie allen mit ihr verbundenen Branchen weltweit für Hoffnung sorgt.