Globalisierung im Rückwärtsgang - die Folgen: Es wird uns bald schlechter gehen

Menschen in Tier-Kostümen am 17.09.2016 in München (Bayern) bei einer Demonstration gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP.
Foto: Tobias Hase/ dpaAls Globalisierungsgegner war man lange in einer relativ bequemen Position. Man konnte die Auswüchse des internationalen Wettbewerbs thematisieren. Man konnte Lohn-, Steuer- oder Währungsdumping anprangern und internationale Handelsabkommen wie TTIP, Ceta oder TPP ablehnen.
Die Globalisierung ging trotzdem weiter.
Der internationale Austausch gedieh, Handelsströme wuchsen schneller als die Wirtschaft insgesamt, die Kapitalverflechtungen nahmen zu. Die Globalisierungsgegner konnten darauf hoffen, einen Beitrag zur Verbesserung der Globalisierung zu leisten, ohne sie im Kern zu gefährden. Insofern stellten sie ein wertvolles politisches Gegengewicht zu den Interessen internationaler Konzerne dar.
Inzwischen aber wird die Sache ernst. Denn die Gegner der Globalisierung haben in vielen Ländern Einfluss auf die Politik gewonnen. Beschränkungen des Welthandels greifen schleichend um sich. Länder wie Russland oder Indien schützen gezielt ausgewählte Wirtschaftszweige. In den USA hat Donald Trumps Kampagne gegen China und Mexiko dafür gesorgt, dass internatinale Wettbewerber zu Feindbildern stilisiert werden. In den deutschsprachigen Ländern ist das USA-EU-Abkommen TTIP faktisch gescheitert. Dennoch beginnt am heutigen Montag eine neue Verhandlungsrunde.
Die veränderte politische Stimmung schlägt sich inzwischen in Zahlen nieder. Der Welthandel nimmt kaum noch zu. Bei der Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, deren Vorprogramm am Dienstag in Washington beginnt, wird die lahmende Globalisierung eines der großen Themen sein. Vorab hat der IWF eine Analyse veröffentlicht, die zeigt, dass der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen 2012 und 2015 nur halb so schnell gewachsen ist wie im Durchschnitt der Jahrzehnte seit 1960.
Ein neues Muster wird erkennbar: Früher brach der internationale Handel in Rezessionsphasen ein, erholte sich dann aber rasch; im Schnitt der vergangenen fünf Jahrzehnten wuchs der Welthandel etwa doppelt so schnell wie die Wirtschaft insgesamt. Das ist vorbei. Seit 2012 hält internationale Austausch kaum noch mit der Wirtschaftsentwicklung schritt.
Für Deutschland ist dieser Trend heikel, weil er das exportorientierte, industrielastige Wirtschaftsmodell in Frage stellt. Denn besonders betroffen vom schwachen Handel sind Investitionsgüter, so der IWF, eine deutsche Spezialität. (Achten Sie Mittwoch auf Reaktionen bei der Tagung des Groß- und Außenhandelsverbands und die Einschätzung der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer und Donnerstag auf dem Tag der deutschen Industrie.)
Dass die Globalisierung lahmt, hat vor allem zwei Gründe. Zum einen ist in vielen Schwellenländern, gerade in China, die Phase der raschen Industrialisierung vorbei. Diverse Märkte sind gesättigt, die Investitionsdynamik lässt nach. Die Schwellenländer können inzwischen vieles selbst produzieren, so dass der Bedarf an Importen aus hochentwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland abnimmt.
Zum anderen ist da aber auch der politische Wille, heimische Produzenten vor internationaler Konkurrenz zu schützen. Importbeschränkungen erschweren die grenzüberschreitende Arbeitsteilung. Behörden zwingen internationale Konzerne, einen Großteil der Wertschöpfung vor Ort zu erbringen. Auch dass Großbritannien, die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, nach einem Brexit kein vollwertiges Mitglied des europäischen Binnenmarkts bleiben dürfte, wird Spuren im Welthandel hinterlassen.
Globalisierung im Rückwärtsgang - der Preis wird hoch sein. Nicht nur für Deutschland, das wie keine andere der großen Volkswirtschaften in den Weltmarkt integriert ist. Die Konjunktur wird schon jetzt nicht mehr von der Industrie getrieben, sondern von Bau und Konsum, wie die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute gerade vorgerechnet hat.
Auch für die weltweite Entwicklung wird der stockende Handel zum Problem. So sehr die Globalisierung der Güter- und Kapitalmärkte in den vergangenen Jahren in Verruf gekommen ist, so klar ist auch, dass Wohlstandszuwächse bei geschlossenen Grenzen kaum möglich sind.
Es stimmt schon: Durch internationalen Wettbewerb kommen die Löhne für einige Gruppen von Beschäftigten unter Druck. Ein Problem, das Europas umverteilende Sozialstaaten übrigens besser in den Griff bekommen als die USA und viele Schwellenländer.
Aber ein Ende der Globalisierung würde nach aller historischen Erfahrung das Wohlstandsniveau insgesamt senken. Die Produktivität steigt schon jetzt kaum noch. Falls die Welt in eine Protektionismusspirale abglitte, würden die Verteilungsspielräume weiter schrumpfen. Umso größer würde der politische Unmut. Wer hofft, durch Handelsschranken Jobs zu sichern und Lebensstandards zu steigern, muss damit rechnen, das Gegenteil zu erreichen.
Um den internationalen Austausch weiter anzuregen, wären neue Abkommen hilfreich. Damit ließen sich auch Folgen und Nebenwirkungen der Globalisierung eindämmen. Die Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten, die sich Freitag in Washington treffen, sollten sich damit beschäftigen. Politisch durchsetzbar sind derlei Verträge jedoch vermutlich für lange Zeit nicht mehr.
Das EU-Kanada-Abkommen Ceta soll noch durch die Parlamente aller EU-Staaten und auch durch das eine oder andere Regionalparlament gebilligt werden - ein hürdenreiches Unterfangen, bei dem vieles schiefgehen kann.
Gegen TTIP steht in Europa, zumal in Deutschland, eine breite Front von Gegnern. Wer Hillary Clinton und Donald Trump in ihrem ersten TV-Schlagabtausch als Kandidaten beobachtet hat (achten Sie auf die zweite Runde kommenden Sonntag), konnte den Eindruck gewinnen, die offene Weltwirtschaft sei die größte Bedrohung für Amerika. Beide Kandidaten malten ein düsteres Bild: ein Land im Zustand des Verfalls, herausgefordert von unfairen Handelspartnern.
Die Fakten widersprechen zwar dieser extrem pessimistischen Perspektive; insbesondere die Entwicklung am US-Arbeitsmarkt ist inzwischen durchaus erfreulich. Doch in diesem Klima hat das eigentlich unterschriftsreife US-Asien-Abkommen TTP keine Chance. Egal, wer im November die Wahl gewinnt.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche
MONTAG
New York - Hauptsache reden - Obwohl die politischen Chancen des Inkrafttretens schwinden, verhandeln die USA und die EU weiter über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.
DIENSTAG
Washington - Trübe, lahme Welt - Vor der Jahrestagung von InternationalemWährungsfonds (IWF) und Weltbank legt der Fonds seine aktuelle Prognose für die Weltkonjunktur vor. Warnungen, das der lahme Welthandel zur Wohlstandsbremse wird, hat der IWF bereits vorab veröffentlicht.
MITTWOCH
Berlin - Sorgen des Exportmeisters I - Unternehmertag des Bundesverbandes Großhandel,Außenhandel, Dienstleistungen.Mit dabei: Merkel, Gabriel sowie BA-Chef Weise.
Washington - Casino global - Vor Jahrestagung von IWF und Weltbank stellt der Fonds seinen neuen Bericht zur Finanzstabilität vor. IWF-Chefin Lagarde und Weltbank-Chef Kim diskutieren Lage und Aussichten.
Frankfurt am Main - Sorgen des Exportmeisters II - Der Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau(VDMA) blickt auf 2017.
DONNERSTAG
Berlin - Sorgen des Exportmeisters III - Tag der Deutschen Industrie des BDI, unter anderen mit Merkel, Gabriel und BDI-Chef Grillo.
Washington - Zur Lage der Welt - Offizieller Startschuss zur Jahrestagung von IWF und Weltbank. Mit dabei: Lagarde, Kim und Bank-of-England-Chef Carney.
FREITAG
Washington - Wer regiert die Welt - Am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank treffen sich die G20-Finanzminister und Notenbankchefs. Mit dabei: Schäuble und Bundesbank-Chef Weidmann.
Berlin - Ready for take-off? - Aufsichtsratssitzung der FlughafengesellschaftBerlin Brandenburg: Wird nun tatsächlich über einen Eröffnungstermin für den Hauptstadtflughafen entschieden?
Essen - Neue Energie - Nach der Aufspaltung von RWE soll nun die Tochter Innogy an die Börse.
SAMSTAG
Washington - Sprechen für Deutschland - Jahrestagung von IWF und Weltbank: Schäubleund Weidmann erklären sich der Presse. Am Rande äußern sich auch der Bundesverband deutscher Banken und der Deutsche Sparkassen- und Giroverband.
SONNTAG
St. Louis - Schlagabtausch - Zweite TV-Debatte zwischen Clinton und Trump.