Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman mit CBS-Moderatorin Norah O'Donnell
Foto: Eric Kerchner for CBS News / 60 Minutes / Handout via ReutersAls wichtigster Energielieferant der Welt präsentiert sich Saudi-Arabien - aber die Idee, deshalb Verlässlichkeit und Zuversicht auszustrahlen, ist passé. In einem neuen Interview mit dem US-Sender CBS scheint Kronprinz Mohammed bin Salman (34) lieber Panik verbreiten zu wollen.
Nach dem Drohnenangriff auf Ölanlagen des Staatskonzerns Saudi Aramco, die vorübergehend die halbe Produktion des Landes lahmlegten, entwirft Salman ein dramatisches Szenario. Die Region am Golf stehe für 30 Prozent der weltweiten Energielieferungen, 20 Prozent des Handelsverkehrs und 4 Prozent der Wirtschaftsleistung. "Stellen Sie sich vor, dass all diese Dinge aufhören", warnt der Herrscher im Interview. "Das bedeutet einen totalen Kollaps der Weltwirtschaft, und nicht bloß Saudi-Arabiens oder der Länder im Nahen Osten."
Wenn der Iran - den Saudi-Arabien und seine Verbündeten für den Angriff verantwortlich machen - nicht an weiterer Eskalation gehindert werde, "dann werden Öllieferungen gestört und die Ölpreise werden auf unvorstellbar hohe Zahlen springen, die wir in unserem Leben nicht gesehen haben".
Auf die Frage, warum das hochgerüstete Königreich mit seiner Flugabwehr den Angriff nicht habe verhindert können, antwortet der Kronprinz auch nicht allzu vertrauenserweckend: "Saudi-Arabien ist fast so groß wie ein Kontinent, größer als ganz Westeuropa. Wir haben Bedrohungen ringsherum. All das voll abzudecken, ist herausfordernd."
Immerhin signalisierte Mohammed bin Salman, Saudi-Arabien sei an einer friedlichen Lösung des Konflikts mit Iran und auch im Jemen-Krieg interessiert. Zum von saudischen Geheimdienstlern aus bin Salmans Umfeld ausgeführten Mord an Regimekritiker Jamal Khashoggi erneuerte der Kronprinz seine Distanzierung von diesem "entsetzlichen Verbrechen". Dass er selbst den Mord angeordnet habe, wie der US-Geheimdienst CIA annimmt, solle erst einmal öffentlich belegt werden.
Für jeden Fall sicherte sich der Kronprinz ab: "Selbst Propheten machen Fehler."
Ein Bild der Verwundbarkeit: Das Satellitenfoto vom 14. September des vergangenen Jahres zeigt Rauchwolken über der Anlage Abqaiq des saudi-arabischen Ölkonzerns Saudi Aramco. Infolge eines Anschlags mit Drohnen fällt vorübergehend die Produktion von 5,7 Millionen Fass Rohöl pro Tag aus. Insgesamt liefert Aramco regelmäßig 10 Millionen Fass pro Tag, das weltweite Angebot beläuft sich auf 101 Millionen Fass. Bis der Schaden behoben ist, müssen die Reserven angezapft werden.
Schlechtes Timing: Wenige Tage zuvor hatte Aramco-Chef Amin Nasser auf einem Energiekongress in Abu Dhabi verkündet, sein Konzern stehe bereit für den lange erwarteten und mehrfach verschobenen Börsengang. Man könne im ersten Schritt an die saudi-arabische Börse, im zweiten auf einen ausländischen Finanzplatz gehen. Investoren von den Aktien zu überzeugen, wird nun aber schwieriger. Wie das "Wall Street Journal" am Montag berichtete, diskutieren die Offiziellen in Riad angesichts des Anschlags vom Wochenende, den Börsengang vorläufig zu verschieben. Die Verantwortlichen wollen zunächst wissen, wie groß der Schaden tatsächlich ist, bevor sie ihre Börsenpläne weiter vorantreiben, so die Zeitung.
Nur eine Woche nach Antritt als Saudi-Arabiens Energieminister musste Prinz Abdulaziz bin Salman zum Krisenbesuch in Abqaiq. König Salman hatte seinen vierten Sohn - als ersten Angehörigen der Herrscherfamilie - auf den Posten gesetzt, nachdem Vorgänger Khalid Al-Falih der niedrige Ölpreis angelastet wurde.
Saudi Aramco hat für 2018 einen Reingewinn von 111 Milliarden Dollar ausgewiesen - mit Abstand der höchste Profit eines Unternehmens weltweit. Erst jetzt werden Geschäftszahlen veröffentlicht, weil Aramco Anleihen ausgegeben hat. Auch die Gewinnmarge von einem Drittel kann sich sehen lassen - obwohl aus dem Öl- und Gasgeschäft allerlei soziale Aufgaben finanziert werden, nicht nur die hier gezeigten Wohnblocks für Beschäftigte in Shaybah.
Auch die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie (KAUST) am Roten Meer nahe Mekka geht auf eine Aramco-Initiative zurück. Der Ölkonzern bildet einen Staat im Staat - und finanziert das Königreich im Wesentlichen. Allein im ersten Halbjahr 2019 flossen 46,4 Milliarden Dollar in den saudischen Staatshaushalt, der zu zwei Dritteln aus dem Ölgeschäft gedeckt wird.
Zugleich gilt Aramco als Keimzelle der Modernisierung der saudi-arabischen Gesellschaft. In konzerneigenen Fahrschulen wurden Frauen ausgebildet, die erst seit Juni 2018 Auto fahren dürfen.
So abhängig Saudi-Arabien von Saudi Aramco ist, so abhängig ist umgekehrt auch der Konzern von seinem Land. Die großen Produktionsstätten befinden sich alle in der Heimat.
Das Kürzel Aramco stand ursprünglich für Arabian-American Oil Company. Das Kapital zur Gründung in den 1930er Jahren kam von US-Ölkonzernen, Vorläufern der heutigen Chevron und ExxonMobil. Erst in den 1970er Jahren übernahm das Königreich die Kontrolle seines wichtigsten Assets.
Allerdings ist Aramco weiterhin auf Kooperation mit ausländischen Multis angewiesen. Die Raffineriekapazität, um Erdöl in Benzin und andere Produkte umzuwandeln, macht nur die Hälfte der Rohölproduktion aus. Um sich weiterzuentwickeln, bildete Aramco im Oktober 2018 ein Petrochemie-Joint-Venture mit dem französischen Total-Konzern. Auch mit Sinochem aus China und anderen bestehen große Gemeinschaftsbetriebe.
Besonders eng verflochten ist Saudi-Arabien mit dem indischen Konzern Reliance, der in Jamnagar am Arabischen Meer die weltgrößte Raffinerie betreibt. Im August wurde eine Kapitalverflechtung beschlossen, die vor Superlativen nur so strotzte.
China, Japan, Indien, Südkorea - die wichtigsten Kunden der Saudis sitzen in Asien. In Europa spielt das arabische Öl eine deutlich geringere Rolle, für die deutschen Importe ist Saudi-Arabien Herkunftsland Nummer zehn. Immerhin ist Aramco mit der Chemiefirma Arlanxeo präsent, die 2016 von Lanxess gekauft und zum Jahreswechsel 2019 komplett übernommen wurde.
Der Börsengang von Saudi Aramco soll alle Rekorde schlagen - auch wenn der Staat als Eigentümer nur 5 Prozent der Aktien an den Kapitalmarkt abgeben möchte. Nach Erwartung des mächtigen Kronprinzen Mohammed soll die Bewertung Aramcos zwei Billionen Dollar betragen. Die beteiligten Banken rechnen jedoch mit deutlich geringeren Werten.
Eine Schlüsselfigur ist der neue Chairman Yasir Al-Rumayyan, der den Staatsfonds PIF führt. 2016 wurde das Eigentum an Aramco in dessen Hände übergeben. Schon vor dem Börsengang wirft PIF als globaler Investor mit Milliarden nur so um sich, ist entscheidender Treiber von Unternehmen wie dem japanischen Technologiekonzern Softbank oder dem Fahrdienst Uber.
Ein Bild der Verwundbarkeit: Das Satellitenfoto vom 14. September des vergangenen Jahres zeigt Rauchwolken über der Anlage Abqaiq des saudi-arabischen Ölkonzerns Saudi Aramco. Infolge eines Anschlags mit Drohnen fällt vorübergehend die Produktion von 5,7 Millionen Fass Rohöl pro Tag aus. Insgesamt liefert Aramco regelmäßig 10 Millionen Fass pro Tag, das weltweite Angebot beläuft sich auf 101 Millionen Fass. Bis der Schaden behoben ist, müssen die Reserven angezapft werden.
Foto: Planet Labs Inc via Reuters