
Konjunktursorgen Amerika auf der Achterbahn


"Quantitative Tightening": Nicht nur die US-Wirtschaft steht vor bewegten Zeiten
Foto: AP/dpaDas gab es seit Generationen nicht mehr: In Amerika schrumpf die Geldmenge. Seit vorigem Frühjahr sind ein paar hundert Milliarden Dollar aus der US-Wirtschaft verschwunden. Zuletzt hat sich der Schwund beschleunigt.
Die große Frage ist, was dieser Rückgang bedeutet und welche Folgen er haben wird. Droht eine ausgewachsene Rezession in den USA – was auch Europas anämischer Konjunktur schaden würde? Steigen die Zinsen stärker als bislang erwartet? Warnungen, dass die Börsen mit den Kursanstiegen der vergangenen Monate übertrieben haben, gibt es reichlich.
Die Entwicklung der US-Geldmenge ist zumindest höchst ungewöhnlich. Die Daten reichen bis 1959 zurück . In all den Jahrzehnten stieg die Menge an flüssigen Mitteln mal schneller und mal langsamer, doch einen Rückgang wie derzeit gab es noch nie.
Klar, die US-Notenbank Federal Reserve hat durch ihre Krisenmaßnahmen während der Pandemie die Geldmenge kräftig ausgeweitet. Binnen zwei Jahren ergossen sich rund sechs Billionen Dollar in die US-Wirtschaft. Auch das gab es noch nie. Dass nun eine gewisse Normalisierung stattfindet, ist nur folgerichtig. Die Heftigkeit des Auf-und-Ab ist allerdings enorm; es gibt kein Vorbild für diese monetäre Achterbahnfahrt.
Zwischen Überhitzung und Unterkühlung
Frühere Generationen von Ökonomen sahen einen ziemlich direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Geldmenge, der Konjunktur und der Inflation. Die Denkschule der "Monetaristen" argumentierte, die Versorgung der Wirtschaft mit flüssigen Mitteln sei eine zentrale Einflussgröße. Veränderte sich der Geldzustrom, konnte es sowohl zu einer Überhitzung als auch zu einer Unterkühlung der Wirtschaft kommen.
Anfang der 1960er Jahre zeichneten die Ökonomen Milton Friedman und Anna Schwartz die US-Wirtschaftsgeschichte seit den 1860er-Jahren in einer großangelegten Analyse nach – und führten die Entwicklung zuvörderst auf monetäre Faktoren zurück. In ihrem Werk beschäftigten sie sich auch mit den Ursachen der Großen Depression in den frühen 1930er-Jahren , die sie auf eine schrumpfende Geldmenge zurückführten. Die Geschäftsbanken hatten ihre Kreditvergabe immer weiter eingeschränkt, und die Notenbank hatte dem nichts entgegengesetzt.
Um unnötige Schwankungen der Konjunktur und der Preise zu verhindern, solle die Geldmenge möglichst gleichmäßig wachsen, argumentierten die Monetaristen. Diese Idee war eine Zeitlang ziemlich einflussreich. Notenbanken, darunter die Deutsche Bundesbank, verfolgten eine Strategie der Geldmengensteuerungen. Die Fed experimentierte einige Jahre mit diesem Ansatz . Später lehnte sich auch die Europäische Zentralbank (EZB) an das Konzept an, indem sie ihrer Lagebeurteilung eine "monetäre Säule" hinzufügte. Sie legte sogar einen Richtwert für die Entwicklung der Geldmenge (M3) fest, der allerdings für den tatsächlichen Kurs der EZB keine große Rolle spielte. Was insofern folgerichtig war, als die Ideen der Monetaristen längst als außer Mode gekommen waren. Ihre Geldmengenregeln galten als zu starr; in der Praxis erwiesen sie sich als kaum handhabbar. Notenbanker wandten sich pragmatischeren Ansätzen zu.
Inzwischen aber erleben Erklärungsmuster von Friedman & Co. eine gewisse Renaissance. Die erhöhten Inflationsraten wecken Erinnerungen an die 1970er-Jahre, als der Monetarismus hoch im Kurs stand, weil er Antworten auf die Frage versprach, wie sich die Preisdynamik wieder einfangen ließe. Mario Borio, Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), hat kürzlich mit Kollegen ein Papier veröffentlicht, in dem er den Einfluss des Geldes auf Konjunktur und Inflation aufs Neue untersucht. Angesichts der starken Schwankungen der Geldmenge in der jüngsten Vergangenheit – ihre massive Ausweitung während der Pandemie und ihre aktuelle Schrumpfung in den USA – gibt es reichlich Anlass, sich über die möglichen Folgen Gedanken zu machen. Wo also stehen wir gegenwärtig?
Rabiate Bremsmanöver, weiche Landungen
Während der Corona-Pandemie haben Notenbanken und Regierungen beispiellose Summen in die Wirtschaft gepumpt. Das gilt insbesondere für die USA, wo die Fed für Billionen Dollar Wertpapiere aufkaufte und die Regierung parallel dazu Schecks an die Bürger verschickte, um die Nachfrage und überhaupt die Stimmung hochzuhalten. Diese Maßnahmen trugen seit Ende der Pandemie dazu bei, die Inflationsdynamik anzuschieben. Der Energiepreisschock, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg gegen Ukraine, stieß auf eine ohnehin monetär überversorgte Wirtschaft.
Um den Preisanstieg abzubremsen, verknappt die Fed seit vorigem Frühjahr sukzessiv das Angebot an Geld – indem sie ihre Wertpapierbestände abbaut und so den Finanzmärkten direkt Mittel entzieht und indem sie die Zinsen anhebt, um den Banken die Kreditvergabe zu erschweren. Binnen eines Jahres ist der wichtigste Leitzins um 4,5 Prozentpunkte gestiegen. Zusammen führt der Kurs des "Quantitative Tightening" bei gleichzeitig steigenden Leitzinsen zu einer Schrumpfung der Geldmenge – ein ziemlich rabiates Bremsmanöver.
Dass die US-Wirtschaft nicht bereits in eine Rezession geraten ist, zeigt, wie mächtig der konjunkturpolitische Impuls zuvor war. Die Börsen haben zuletzt auf ein baldiges Ende des Bremsmanövers gewettet, daher die mutigen Kursanstiege. Der Fed könne tatsächlich ein "soft landing" gelingen, so die Hoffnung: eine Rückkehr zu niedrigen Inflationsraten, ohne ein Schrumpfen des Sozialprodukts zu provozieren.
It’s not dark yet – but it’s getting there
Allerdings macht Amerikas Wirtschaft immer noch einen ziemlich überhitzten Eindruck. Im Januar meldeten Washingtoner Statistiker, dass die Unternehmen in nur einem Monat mehr als eine halbe Million zusätzlicher Stellen geschaffen haben. Die Arbeitslosenquote hat den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten erreicht. Nur einmal in der Nachkriegsgeschichte wurden noch niedrigere Werte gemessen als derzeit: im Sommer 1953.
Die Inflation hat zwar nachgelassen, jedoch vor allem, weil die heftigen Preisanstiege bei Energie, Nahrungsmitteln und Industrieprodukten vorerst vorbei sind. Hingegen legen die Preise im großen Dienstleistungssektor weiter zu. Auch die Einkaufspreise der Unternehmen steigen wieder schneller – typischerweise ein Vorbote künftiger Teuerung der Lebenshaltungskosten der Bürger.
Die Szenarien der Konjunkturprognostiker gehen deshalb inzwischen von weiteren Zinserhöhungen im Laufe dieses Jahres aus. Um die Inflation von immer noch über sechs Prozent wieder in Richtung des Zielwerts von zwei Prozent zu drücken, müsste die Notenbank noch mehr flüssige Mittel aus dem System herausquetschen. Die Hoffnung auf eine weiche Landung könnte sich unter diesen Bedingungen als Illusion erweisen. Die Rezession wäre nur aufgeschoben. Die Kombination aus hohen Zinsen und wegbrechender US-Konjunktur würde viele Länder rund um den Globus in Schwierigkeiten stürzen.
Washington und das "Chicken Game"
Zusätzliche Unsicherheit kommt derzeit aus der Politik. Präsident Joe Biden (80) und die neue republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus streiten wieder mal über die maximal erlaubte Staatsverschuldung. Wenn das Parlament die Schuldengrenze nicht anhebt, könnte der Regierung im Sommer das Geld ausgehen. Sogar das Szenario eines Zahlungsausfalls auf ausstehende Staatsschulden steht im Raum. Als sich der Streit unter dem demokratischen Präsidenten Barack Obama (61) ähnlich dramatisch zuspitzte, büßte Amerika die Bonitätsbestnote AAA ein. Die Schockwellen gingen um den Globus.
Abermals spielt Washington das "Chicken Game": Wer zuerst zuckt, hat verloren. Wenn keiner zuckt, verlieren am Ende alle.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der bevorstehenden Woche
Montag
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Faurecia, Sulzer.
Dienstag
Warschau – Danke, Joe! – Anlässlich des ersten Jahrestags des Kriegsbeginns in der Ukraine besucht US-Präsident Joe Biden Polen.
Berichtssaison II – Geschäftszahlen von Home Depot, Anglo-American, HSBC, Walmart.
Mittwoch
München – Zur Stimmung in Deutschland I – Das Ifo-Institut veröffentlicht neue Zahlen vom Ifo-Geschäftsklimaindex.
Passau etc. – Zur Stimmung in Deutschland II – Ethnologische Verirrungen: Der Politische Aschermittwoch soll das Krachlederne in den Diskurs bringen. Das gelingt – selten. Es sprechen: Söder (Passau), von Brunn (Vilshofen), Wissler (Passau), Lang (Landshut) und andere.
München – Herr Braun spricht – Fortsetzung des Wirecard-Prozesses mit der Vernehmung des früheren Vorstandschefs Markus Braun.
Berichtssaison III – Geschäftszahlen von Fresenius, Fresenius Medical Care, Iberdrola, Schindler, Rio Tinto, Danone, Stellantis, Lloyds Banking Group.
Donnerstag
Washington – US-Konjunktur – Die US-Regierung legt eine neue Schätzung zum Wirtschaftswachstum im letzten Quartal 2022 und im Gesamtjahr vor.
Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von Hensoldt, Knorr Bremse, Freenet, Axa, Telefonica, EssilorLuxottica, Gerresheimer, Dürr, Krones, ENI, SEB, Rolls-Royce, BAE Systems.
Freitag
Kiew/Berlin – Gespalten – Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. In der deutschen Hauptstadt wird demonstriert. Ukraine-Unterstützer und selbsternannte Friedensmahner ringen um den rechten Weg.
Wiesbaden – Deutschland, en détail – Das Statistische Bundesamt legt Zahlen zum deutschen Staatsdefizit und zum Bruttoinlandsprodukt vor.
Berichtssaison V – Geschäftszahlen von BASF, Endesa, ABB, Holcim.
Samstag
Abuja – Kursbestimmung im Ölstaat – Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas.