Henrik Müller

Güter, Arbeitskräfte, Energie Jetzt kommt die Ära der Knappheiten

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Abermals stecken wir in einer Rohstoffkrise. Abermals erleben wir, wie Engpässe unseren Alltag bestimmen. Vieles spricht dafür, dass uns diese Entwicklung auf lange Zeit beschäftigen wird.
Es wird voll auf der Erde - und warm: Zugleich stecken wir in einer Rohstoffkrise und erleben wie zu Beginn der 2000er Jahre Knappheiten unseren Alltag bestimmen

Es wird voll auf der Erde - und warm: Zugleich stecken wir in einer Rohstoffkrise und erleben wie zu Beginn der 2000er Jahre Knappheiten unseren Alltag bestimmen

Foto: Monirul Alam/ REX/ EFE/ EPA

Vor 13 Jahren erfasste die letzte große Rohstoffkrise die Welt. Öl kostete damals zeitweise 140 Dollar pro Fass. Die Preise für Reis, Weizen oder Mais gingen durch die Decke. In ärmeren Ländern waren viele Menschen von Hunger bedroht. Proteste und Aufruhr waren die verständliche Folge. Im wohlhabenden Westen stiegen die Inflationsraten.

Die Weltwirtschaft stand damals am Ende des Globalisierungsbooms der 2000er Jahre. Nach Jahren eines ressourcenintensiven Aufschwungs mit Wachstumsraten um fünf Prozent waren natürliche Grenzen erreicht. China war zum weltgrößten Verbraucher von Kohle, Eisenerz, Nickel, Aluminium, Blei, Zink und Kupfer geworden, ebenso zur größten Verbrauchernation von Getreide. All die Dinge, die sich nicht beliebig in Fabriken vermehren lassen, wurden knapp: Bodenschätze, Ackerfrüchte, Wasser. Die Spekulation an den Börsen trieb die Preise zusätzlich.

Vor 13 Jahren lebten 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es 7,8 Milliarden.

Die jährlichen Kohlendioxidemissionen lagen bei 3,1 Gigatonnen jährlich. Heute sind es 3,6 Gigatonnen . Die weltweiten Durchschnittstemperaturen sind seither gestiegen, womöglich um ein halbes Grad Celsius, wie Berechnungen von Forschern der Universität Berkeley zeigen .

Es wird voll auf der Erde. Und warm.

Fundamental hat sich seither allerdings wenig geändert. Das macht die vor uns liegenden Aufgaben nicht leichter.

Abermals stecken wir in einer Rohstoffkrise. Abermals erleben wir, wie Knappheiten unseren Alltag bestimmen. Gas, Kupfer, Computerchips, Raps, Arbeitskräfte – auf vielen Märkten wird es eng. Lieferengpässe legen die Produktion lahm. Preise schießen in die Höhe. Die Inflationsraten ziehen an, die Notenbanken sind unschlüssig, ob es sich um vorübergehende Verspannungen handelt oder um den Beginn einer neuen Ära, die eine entsprechend straffere Geldpolitik erfordert. (Achten Sie Dienstag auf das EU-Energieministertreffen und Donnerstag auf die EZB-Ratssitzung sowie neue Zahlen zu Inflation und Wachstum am Freitag.)

Offen gesagt, würde es mich überraschen, wenn wir zur früheren Normalität einer stabilen Überflussökonomie zurückkehren würden.

Fracking-Sausen und Flaschenhälse

Drei große Trends werden unser Handeln immer stärker bestimmen: Klimawandel, Demografie und Globalisierung. Wie diese Entwicklungen zusammenwirken, habe ich in einem 2008 erschienen Buch  versucht abzuschätzen. Die drei Großtrends, so die zentrale These, würden "sieben Knappheiten" hervorrufen – grundlegende Verschiebungen, die zwar immer wieder kurzfristig von gegenläufigen Entwicklungen überdeckt werden könnten, die aber letztlich unsere weitere Zukunft bestimmen.

In den vergangenen Jahren wirkten einige kurzfristige Verschiebungen den Knappheiten entgegen, etwa der Fracking-Boom in den USA, der Öl und Gas auf dem Weltmarkt zeitweise stark verbilligte. Derzeit jedoch wirken kurzfristige Entwicklungen verschärfend: Die Folgen der Pandemie inklusive lockdownbedingter Produktionsausfälle sind noch spürbar, während große Konjunkturpakete und Sondermaßnahmen der Notenbanken die Nachfrage anschieben. Die aufgestauten privaten Ersparnisse tun ein Übriges.

Zusammengenommen stößt eine staatlich aufgepumpte Nachfrage auf ein eingeschränktes Angebot. Das führt zu Engpässen und verursacht aktuell beispielsweise in der deutschen Industrie eine "Flaschenhals-Rezession, so das Ifo-Institut. Trotz voller Auftragsbücher wird die Produktion gedrosselt. (Montag gibt es neue Zahlen zum Ifo-Geschäftsklimaindex; Donnerstag legen die US-Statistiker neue Schätzungen zum Wirtschaftswachstum vor, Freitag folgen ihre deutschen Kollegen.)

Das Bild ist überall das gleiche: Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten bremsen die Konjunktur. Aber das wird vorbeigehen. Märkte sind gewöhnlich ziemlich gut darin, rasch auf Mangelsituationen zu reagieren: Steigende Preise sorgen für Kapazitätsausweitungen und Ausweichreaktionen der Verbraucher.

Was indes bleiben wird, sind die sieben Knappheiten: Menschen, Geist, (nutzbarer) Boden, (saubere) Energie, Wasser, Zeit und Macht.

Paradoxe Globalisierung

Kurz gesagt: Die demografische Entwicklung lässt den Anteil der Menschen im produktiven Alter schrumpfen, während gleichzeitig die Zahl von Personen mit schwacher Bildung zunimmt, die an der internationalen Arbeitsteilung teilnehmen. Übernutzung und Klimawandel führen zu Bodenerosion, Wassermangel und atemberaubendem Wachstum der Metropolen. Die sich beschleunigende Erderwärmung erfordert den Komplettumbau der Energiesysteme. Politisch gesehen drängt die Zeit zum Handeln; individuell gesehen werden wir mehr Stunden und Jahre arbeiten müssen, also weniger Freizeit haben. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund einer Weltordnung, der es an Steuerungsfähigkeit fehlt, weil ihr einstiges Machtzentrum (die USA) seine dominierende Rolle verloren hat und es zu einer Diffusion der Macht gekommen ist – paradoxerweise dank einer Globalisierung, die die USA selbst vorangetrieben haben.

All diese Knappheiten werden den G20-Gipfel (ab Samstag) und die UN-Klimakonferenz (ab Sonntag) bestimmen.

Die Gegenwart ist schwierig genug. Die weitere Zukunft wird nicht einfacher.

Von den drei Großtrends gehen Demografie und Klimawandel so träge vonstatten, dass Kurskorrekturen allenfalls über sehr lange Zeiträume Wirkung zeigen. Die Globalisierung hingegen sorgt immer wieder für überraschende Wendungen.

Weltweit sinkt inzwischen der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter. Die reichen Volkswirtschaften haben ihren demografischen Höhepunkt bereits 2010 überschritten; seither sinkt der Anteil der 15- bis 64-Jährigen im Schnitt. In Ländern mit mittlerem Einkommensniveau beginnt diese Entwicklung derzeit, wie aus den UNO-Bevölkerungsprojektionen  hervorgeht. Besonders gravierend wird der Rückgang in China ausfallen, wo eine derzeit noch günstige Demografie sich in ihr Gegenteil verkehren wird: Der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter wird in den kommenden Jahrzehnten von heute über 70 auf unter 60 Prozent sinken.

Für Deutschland prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung  (IAB) einen Rückgang des Potenzials an Arbeitskräften um rund zweieinhalb Millionen Menschen bis 2035 – und dabei gehen die Forscher bereits von einem Ruhestandsalter von 74 Jahren und weiterhin recht dynamischer Zuwanderung aus.

Schon jetzt ist die Arbeitskräfteknappheit augenfällig. Gerade in kleineren Städten gibt es kaum einen Laden oder eine Gaststätte, die nicht freie Stellen im Schaufenster annoncieren würde. Das gesamtwirtschaftliche Stellenangebot lag im zweiten Quartal 2021 bei 1,16 Millionen Stellen. Das sind 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Chaos im Treibhaus

Wie – und ob – die Weltwirtschaft mit weniger und älteren Menschen ihre kreative Produktivität steigern kann, ist eine offene Frage. Die Herausforderungen jedenfalls sind groß und komplex. Stillstand ist keine Option: Bleibt es beim derzeitigen klimapolitischen Kurs, wird die durchschnittliche Temperatur bis 2100 um bis zu 2,8 Grad steigen – und danach wohl noch weiter. Die Internationale Energieagentur (IEA) konstatierte jüngst , dass zwar "eine neue globale Energiewirtschaft im Entstehen begriffen" sei, dass aber noch "eine lange Wegstrecke" vor uns liege.

Die Globalisierung wiederum hat dazu geführt, dass feine weltumspannende Lieferketten gesponnen wurden, die nun an die Grenze des Zerreißens kommen. Die Überraschung der vergangenen Woche war die plötzliche Knappheit von Magnesium, das bei der Aluminiumproduktion eingesetzt wird, das wiederum ein wichtiger Werkstoff in der Autofertigung ist. Aufgeschreckt wurden die Märkte von einer Meldung der Ratingagentur S&P über den kanadischen Metallverarbeiter Matalco , der Produktionskürzungen ankündigte, weil Lieferungen aus China ausblieben. "Die Warnung von Matalco zeigt, wie die Energiekrise in China globale Wertschöpfungsketten in Mitleidenschaft zieht, die Preise für Schlüsselrohstoffe in die Höhe treibt und die Inflationssorgen befeuert", kommentierten die S&P-Analysten.

Wie gesagt, es wird voll und warm auf der Erde – ein Treibhaus, in dem es manchmal ziemlich erratisch zugeht.

Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche

Montag

München – Stimmung: gedämpft – Veröffentlichung des ifo-Geschäftsklimaindex: Dreimal hintereinander ist das Konjunkturbarometer zuletzt gefallen. Die Gründe liegen in produktionsbeschränkenden Faktoren, nicht in mangelnder Nachfrage.

Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Michelin, Facebook, HSBC.

Dienstag
LuxemburgPreisschock – Außerordentliches Treffen der EU-Energieminister. Thema sind die rasch steigenden Energiepreise und mögliche Gegenmaßnahmen.

Berichtssaison II – Geschäftszahlen von Symrise, Orange, Faurecia, Thales, Kion, UBS, Novartis, Reckitt Benckiser, Alphabet (Google), Microsoft, UPS, Lockheed Martin, General Electric, Eli Lilly, Visa, 3M.

Mittwoch
Berlin – Schwarzer Peter – Wirtschaftsminister Altmaier stellt die Herbstprognose seines Hauses vor.

Berichtssaison III – Geschäftszahlen von BASF, Deutsche Bank, DWS, Banco Santander, Schneider Electric, Heineken, Iberdrola, Electrolux, GlaxoSmithKline, Harley-Davidson, Ford, Coca-Cola, Boeing, General Motors, Bristol Myers Squibb, McDonald's.

Donnerstag

Frankfurt – Dans Quelle Direction? – EZB-Ratssitzung mit Entscheidung über die weitere Geldpolitik. Danach stellt sich Präsidentin Lagarde der Presse.

Wiesbaden – Deutsche Inflation – Das Statistische Bundesamt gibt eine erste Schätzung für die Inflationsrate im Oktober bekannt.

Nürnberg – Jobs, Jobs, Jobs – Die Bundesagentur für Arbeit legt die Arbeitsmarktstatistik für Oktober vor.

Washington – American Turbo – Erste Schätzung zum BIP-Wachstum in den USA im dritten Quartal.

Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von VW, Porsche, Traton, Lufthansa, Beiersdorf, Drägerwerk, Linde, Kuka, Takkt, Stellantis, Airbus, Dassault, Valeo, Saint-Gobain, Anheuser-Busch InBev, Nokia, UniCredit, Sanofi, Lloyds, Shell, Samsung, Apple, Merck & Co, Caterpillar, Mastercard, Starbucks.

Freitag

Wiesbaden – Deutsche Bremsen – Erste Schätzung zum BIP-Wachstum in der Bundesrepublik im dritten Quartal.

Luxemburg – Euro-Inflation – Eurostat veröffentlicht eine erste Schätzung zur Inflation im Euroraum im Oktober.

Berichtssaison V – Geschäftszahlen von Daimler, BBVA, CaixaBank, BNP Paribas, Air France-KLM, ENI, Holcim, Swiss Re, Glencore, Exxon Mobil, Colgate-Palmolive, Chevron.

Samstag

Rom – Wer regiert die Welt? – Beginn des G20-Gipfeltreffens (bis Sonntag). Topthemen: Klima, Corona, Welthandel.


Sonntag

Glasgow – Wärmetauscher – Eröffnung der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow (COP26) mit Beteiligung von Vertretern aus rund 200 Staaten (bis 12. November). Topthema: Wie schaffen wir es, den Methanausstoß rasch zu senken?

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