Die Hamsterkäufe im wohlhabendsten Staat der Erde haben offenbar schon begonnen. Nur wenige Stunden nachdem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten angekündigt haben, das Emirat Katar zu isolieren, berichten lokale Medien von einem Ansturm der Bürger auf die örtlichen Supermärkte.
Die Verbraucher hätten Grundnahrungsmittel wie Reis, Eier oder Milch hoch auf ihre Einkaufswagen gestapelt, schreibt das katarische Onlineportal "Doha News". Die Finanzwebsite "Zawya" berichtet sogar von "Panikkäufen", und in sozialen Netzwerken kursieren unbestätigte Bilder leerer Regale.
"Ich habe so etwas noch nie gesehen - die Leute haben ihre Wagen voll mit Essen und Wasser gepackt", zitiert "Doha News" den Kunden eines Carrefour-Markts. Laut dem internationalen, in Katars Hauptstadt Doha ansässigen Nachrichtensender Al Jazeera hat Saudi-Arabien Katars einzige Landgrenze geschlossen. Lebensmittel aus Saudi-Arabien können nicht mehr hinein. Bislang importiert Katar vor allem Grundnahrungsmittel wie Milchprodukte, Eier und Fleisch über den großen Nachbarstaat.
Augenzeugen in Katar zeigen auf Twitter leere Supermarktregale:
Ob die Panik vor Ort tatsächlich so groß ist, wie derzeit berichtet wird, ist unklar. Aber sicher ist: Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen, den die Nachbarstaaten am Montag beschlossen haben, trifft das kleine Katar schwer. Kaum ein Land hängt so am internationalen Warenaustausch wie der Wüstenstaat mit seinen rund zwei Millionen Einwohnern, der 2022 die Fußball-WM veranstalten soll. Und kaum ein Land ist heute so mit der globalisierten Wirtschaft verflochten wie die Erdgas-Monarchie, der Staat mit dem höchsten Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Welt.
Staaten mit den höchsten Pro-Kopf-Einkommen 2016
Exporteur
in US-Dollar / Kaufkraftparität
1
Katar
129.726
2
Luxemburg
101.936
3
Singapur
87.082
4
Brunei Darussalam
79.710
5
Kuwait
71.263
6
Irland
69.374
7
Norwegen
69.296
8
Vereinigte Arabische Emirate
67.969
9
San Marino
64.443
10
Schweiz
59.275
Quelle: Global Finance Magazine
ExxonMobil, Total, Shell: Sie alle beuten gemeinsam mit dem Staat Katar das größte Gasfeld der Erde im Persischen Golf aus. Ihre Joint Ventures exportieren das verflüssigte Erdgas (LNG) mit monströsen Schiffen in die Welt, vor allem nach Asien, aber auch nach Großbritannien.
Die größten Exporteure von verflüssigtem Erdgas (LNG) 2015
Exporteur
Mio. Tonnen
Weltmarktanteil in %
1
Katar
77,8
31,8%
2
Australien
29,4
12,0%
3
Malaysia
25,0
10,2%
4
Nigeria
20,4
8,3%
5
Indonesien
16,1
6,6%
6
Trinidad
12,5
5,1%
7
Algerien
12,1
5,0%
8
Russland
10,9
4,5%
9
Oman
7,8
3,2%
10
Papua Neuguinea
7,0
2,9%
REST
25,7
10,5%
GESAMT
244,8
100%
Quelle: International Gas Union
Und Katar seinerseits hat sich in den vergangenen Jahren bei einigen der bekanntesten Konzerne Deutschlands und der Erde eingekauft: von Volkswagen, Deutschen Bank und Solarworld über den Juwelier Tiffany, das Londoner Nobelkaufhaus Harrods und die British-Airways-Mutter IAG bis hin zu Großbanken wie Barclays und Credit Suisse. Sogar am Empire State Building sind die Araber beteiligt. Und ihnen gehört der französische Fußballklub Paris Saint-Germain. Was wird nun aus diesen Verflechtungen - nun, da die Nachbarn Katar der Terrorfinanzierung beschuldigen und als Schurkenstaat darstellen?
Foto: Friso Gentsch/ dpa
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Katar: Zwergstaat, ganz groß
Die anderen Golfanrainer machen nicht nur Katars einzige Landgrenze mit Saudi-Arabien dicht. Nein, sie versuchen Katar auch zur Luft und zur See abzuschneiden. Binnen weniger Stunden haben die Fluggesellschaften Etihad, Emirates, Fly Dubai, Gulf Air und Saudia angekündigt, alle Verbindungen nach Katar spätestens von Dienstag an einzustellen.
Zwar hat Katar selbst eine weltumspannende Linie: Qatar Airways. Doch laut einem Bericht der staatlichen saudischen Nachrichtenagentur wollen die Boykotteure ihre Lufträume für Qatar Airways sperren. Und obendrein wollen sie laut einem Bericht der Zeitung "The National" auch katarischen Schiffen verbieten, durch ihre Hoheitsgewässer zu kreuzen. Der Aktien-Leitindex der Börse von Doha brach am Montag daraufhin ein. An den internationalen Rohölbörsen legten die Kurse zunächst zu, gaben dann aber wieder nach. Katar stellt einen Anteil von unter zwei Prozent an der weltweiten Ölförderung.
Zu eng an den Iran angelehnt
"Wir sehen hier den Versuch von Saudi-Arabien und anderen Staaten, Katar in seine Schranken zu weisen", sagt Eckart Woertz, langjähriger Chefökonom des Wirtschaftsforschungsinstituts Gulf Research Center aus Dubai, dem SPIEGEL. Das kleine Land habe sich in den Augen der Nachbarn zu eng an den Iran angelehnt und sie immer wieder verärgert: Etwa indem es die Volksaufstände des arabischen Frühlings, die Muslimbrüder in Ägypten oder die Palästinenserorganisation Hamas unterstützte. "Jetzt wird probiert, Katar wirtschaftlich unter Druck zu setzen", sagt Woertz.
Staaten mit den größten Erdgasreserven 2015
Exporteur
Milliarden Kubikmeter
Weltmarktanteil in %
1
Iran
34000
18,2 %
2
Russland
32300
17,3 %
3
Katar
24500
13,1 %
4
Turkmenistan
17500
9,4 %
5
USA
10400
5,6 %
6
Saudi-Arabien
8300
4,5 %
7
Vereinigte Arabische Emirate
6100
3,3 %
8
Venezuela
5600
3,0 %
9
Nigeria
5100
2,7 %
10
Algerien
4500
2,4 %
REST DER WELT
37700
20,3%
GESAMT
186.900
Quelle: International Gas Union
Ob dies gelingen wird, ist allerdings fraglich. "Solange die anderen Staaten keine komplette Seeblockade ausrufen, wird Katar nicht komplett abgeschnitten", sagt Woertz. So können die gigantischen LNG-Tanker über iranische und/oder omanische Gewässer den Golf verlassen und Katars flüssiges Erdgas in die Welt verschiffen. Und Qatar-Airways-Maschinen können über den iranischen Luftraum ihren Heimatflughafen Doha erreichen oder von dort aus abfliegen.
Die Versorgung könnte allerdings teuer werden. Und Geld ist selbst in Katar nicht mehr im Überfluss vorhanden. Um seine gigantischen Infrastrukturprojekte und die Fußball-WM zu finanzieren, hat der Staat sich an den internationalen Finanzmärkten verschulden müssen. "Wenn der diplomatische Konflikt länger anhält, ist es gut möglich, dass die Risikoprämien für katarische Staatsschulden steigen", sagt Woertz. Katar müsste seinen Gläubigern bei der Schuldenaufnahme dann höhere Zinsen bieten.
"Das vorläufige Ergebnis des Schwerttanzes"
Und was geschieht mit den Beteiligungen bei VW, der Deutschen Bank oder Glencore? Solange es keine internationalen Sanktionen gegen Katar gibt, können die Araber mit ihren Anteilen machen, was sie wollen. "Sollte Katar künftig einmal dringend Geld brauchen, ist es schon möglich, dass man dann Anteile versilbert", sagt Woertz. "Das wird aber nicht so schnell geschehen. Ich sehe noch keine Notverkäufe kommen."
Einkaufen auf Vorrat: Menschen in einem Supermarkt in Doha (Katar)
Foto: DPA
Wie es mit Katar weitergeht, hängt vor allem von der Reaktion der anderen Staaten auf den Boykott der von Saudi-Arabien geführten Koalition ab. Bislang haben sich der Jemen, die Malediven und eine der drei Interimsregierungen des vom Bürgerkrieg erschütterten Libyen angeschlossen. Ein Mitarbeiter des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani deutete an, die Eskalation sei das Ergebnis des jüngsten Besuchs von US-Präsident Donald Trump in Saudi-Arabien. "Was hier geschieht, ist das vorläufige Ergebnis des Schwerttanzes", twitterte er. Saudi-Arabiens Herrscher sehen sich durch den Trump-Besuch gestärkt, bei dem sie mit Trump Waffenlieferungen für mehr als hundert Milliarden Dollar vereinbarten.
Katars Herrscher haben nun zwei Möglichkeiten: Entweder kehren sie dem Iran den Rücken. Oder sie suchen jetzt erst recht ganz enge Bande mit Teheran.
Volkswagen: Der Staatsfonds Qatar Investment Authority hält über seine Tochter Qatar Holding 17 Prozent der Stimmrechte bei VW. Damit sind die Araber hinter der Porsche Automobil Holding (die den Familien Piëch und Porsche gehört) und dem Land Niedersachen drittmächtigster Eigentümer.
Foto: Friso Gentsch/ dpa
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Deutsche Bank: Seit 2014 sind der ehemalige katarische Premierminister Hamad Bin Hassim Bin Jabor Al Thani und der ehemalige Emir Hamad Bin Khalifa Al Thani Großaktionäre bei Deutschlands größtem Finanzinstitut. Zusammen halten sie rund 6 Prozent der Anteile; damit waren sie bis vor kurzem die wichtigsten Einzelaktionäre. Im Mai gab die Deutsche Bank bekannt, dass nunmehr der chinesische Investor HNA Nummer Eins ist: mit knapp 10 Prozent.
Foto: Boris Roessler/ dpa
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Solarworld: Das staatsnahe Unternehmen Qatar Solar Technologies rettete 2013 den deutschen Solarkonzern vor der Pleite, als es 29 Prozent der Anteile kaufte. Gemeinsam bauten Araber und Deutsche in Katar eine Solarfabrik auf, die gerade den Betrieb aufnimmt. Solarworld hat vor wenigen Wochen Insolvenz beantragt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Qatar Solar Technologies die Bonner Firma ganz übernimmt.
Foto: arifoto UG/ dpa
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Hapag Lloyd: Seit der erst Ende Mai vollzogenen Fusion der Hamburger Containerreederei mit dem arabischen Wettbewerber UASC gehören 14,1 Prozent des Unternehmens dem Staat Katar.
Foto: Fabian Bimmer/ REUTERS
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Harrods: Seit 2010 ist der Staatsfonds Qatar Investment Authority über seine Tochter Qatar Holding Eigentümer des Londoner Nobelkaufhauses. Im Herbst 2014 riefen britische Aktivisten zum Boykott von Harrods auf: mit der Behauptung, Katar unterstütze den Terrorismus. Es half wenig. Vergangenes Jahr verbuchte Harrods einen Rekordumsatz und den größten Profit der Unternehmensgeschichte.
Foto: JUSTIN TALLIS/ AFP
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Glencore: Mit 153 Milliarden Dollar Umsatz und mehr als 150.000 Arbeitnehmern ist der offiziell in der Schweiz ansässige Rohstoffhandels- und Bergbaukonzern eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Die Qatar Investment Authority ist mit einem Anteil von 9 Prozent der größte Einzelaktionär.
Foto: ? Michael Buholzer1 / Reuters/ REUTERS
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Rosneft: Im Dezember 2016 kauften Glencore und die Qatar Investment Authority zusammen 19,5 Prozent am staatlichen russischen Ölgiganten, für kolportierte 11 Milliarden Dollar.
Foto: DMITRY KOSTYUKOV/ AFP
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Empire State Building: Im August 2016 erwarb der Staatsfonds Qatar Investment Authority 9,9 Prozent der Anteile am Empire State Realty Trust Inc., dem Eigentümer des Empire State Building und weiterer Immobilien in New York.
Foto: Julio Cortez/ dpa
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IAG: Die staatliche Fluglinie Qatar Airways hat in den vergangenen Monaten ihren Anteil an der Muttergesellschaft von British Airways und Iberia weiter ausgebaut und hält nun 20 Prozent der Anteile.
Foto: REMY GABALDA/ AFP
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The Shard: Mit 310 Metern ist der 2012 fertiggestellte Wolkenkratzer in London das höchste Gebäude in der EU. Zu 95 Prozent gehört The Shard dem Staat Katar.
Foto: DANIEL SORABJI/ AFP
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Barclays/London Stock Exchange: Seit der Finanzkrise von 2008 ist der Staatsfonds Qatar Investment Authority Miteigentümer der britischen Großbank und der Börse: zurzeit mit 6 Prozent bei Barclays und 10,3 Prozent bei der LSE.
Foto: ODD ANDERSEN/ AFP
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Olympisches Dorf London: 557 Millionen Pfund (umgerechnet nach heutigem Wechselkurs rund 600 Millionen Euro) hat Qatar Diar, eine Tochter der Qatar Investment Authority, für das ehemalige Sportlerdorf bezahlt. Bis zu 2800 Wohnungen will der Eigentümer auf dem Gelände bauen. Insgesamt hat Katar britischen Medienberichten zufolge rund 40 Milliarden Pfund (46 Milliarden Euro) im Vereinigten Königreich investiert. In den kommenden Jahren sollen es noch mehr werden, hat die Regierung aus Doha angekündigt.
Foto: BULLIT MARQUEZ/ AP
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Paris Saint-Germain: Seit 2011 ist die Qatar Sports Investment Eigentümer des Hauptstadtklubs. Dank der Millioneninvestments der Araber haben die Fußballer und die Handballer seither je vier französische Meistertitel gewonnen.
Foto: Etienne Laurent/ dpa
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Lagardère: An der französischen Mediengruppe, die unter anderem das Magazin "Paris Match" herausgibt, hält Qatar Holding 16,7 Prozent der Stimmrechte und ist damit der mächtigste einzelne Eigentümer.
Foto: ERIC PIERMONT/ AFP
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Credit Suisse: Die vom Staat Katar kontrollierte Qatar Holding hält 17,98 Prozent der Stimmrechte an der Schweizer Großbank. In den vergangenen Wochen hat sie ihren Anteil ausgebaut.
Foto: ARND WIEGMANN/ REUTERS
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Tiffany: Der Staatsfonds Qatar Investment Authority hält mehr als 10 Prozent der Anteile am New Yorker Juwelier und Luxusgüterhersteller.
Foto: Arnd Wiegmann/ REUTERS
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Al Jazeera: Der Nachrichtensender wurde von der katarischen Herrscherfamilie gegründet und wird von ihr finanziell unterstützt. Das Herrscherhaus bestreitet redaktionelle Einflussnahme.
Foto: Kamran Jebreili/ AP
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FC Barcelona: Seit Jahren sind verschiedene Unternehmen und Stiftungen aus Katar Trikotsponsor von Lionel Messi, Neymar, Luis Suárez und Co.; Qatar Airways soll dafür in der gerade abgelaufenen Saison rund 35 Millionen Euro bezahlt haben. Von der kommenden Spielzeit an verdrängt aber das japanische E-Commerce-Unternehmen Rakuten die Araber als Hauptsponsor.
Foto: ALBERT GEA/ REUTERS
IAG: Die staatliche Fluglinie Qatar Airways hat in den vergangenen Monaten ihren Anteil an der Muttergesellschaft von British Airways und Iberia weiter ausgebaut und hält nun 20 Prozent der Anteile.
Foto: REMY GABALDA/ AFP
IAG: Die staatliche Fluglinie Qatar Airways hat in den vergangenen Monaten ihren Anteil an der Muttergesellschaft von British Airways und Iberia weiter ausgebaut und hält nun 20 Prozent der Anteile.