Wirtschaftsführer begleiten Kanzlerin Angela Merkel vor schwieriger China-Reise

Demonstration vor dem Kanzleramt: Angela Merkel ist die erste westliche Regierungschefin, die nach den Ausschreitungen in Hongkong China besucht
Foto: Markus Schreiber / APDie Kanzlerin wird an diesem Freitag in Peking zu Gesprächen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang sowie am Abend mit Staatspräsident Xi Jinping erwartet. Nicht nur der Handelsstreit zwischen China und den USA, auch die Unruhen in Hongkong sowie der Konflikt mit den Uiguren überschatten diesen 13. Besuch Merkels.
Merkel wird bei ihrer insgesamt dreitägigen Reise von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet. Sie wird in Peking und auf ihrer zweiten Station Wuhan am Samstag Firmen besuchen. In Wuhan will sie an der dortigen Huazhong-Universität mit Studierenden sprechen.
Kurz vor Beginn der Reise hatten Anführer der Proteste in Hongkong um ein Treffen gebeten, dieses sei jedoch nicht geplant, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Seit Monaten kommt es in Hongkong immer wieder zu Protesten, die oft mit Zusammenstößen zwischen einem kleinen Teil der Demonstranten und der Polizei enden. Die Protestbewegung befürchtet steigenden Einfluss der chinesischen Regierung auf Hongkong und eine Beschneidung ihrer Freiheitsrechte.
Auch am kommenden Wochenende ist mit Protesten zu rechnen

Merkel, Xi Jinping (Archiv): Die Kanzlerin ist ein häufiger Gast in Peking
Foto: Michael Kappeler/ DPASchon seit 13 Wochenenden wird in Hongkong demonstriert - und zunehmend randaliert. Die Lage eskaliert auf beiden Seiten. Und auch am kommenden Wochenende ist wieder mit Protesten zu rechnen. Diese Vorgänge zeitigen in der chinesischen Führung "keinerlei Anzeichen von Spaltung", eher sei ein Zusammenrücken der Parteiführung zu beobachten, heißt es bei den Experten vom China-Institut Merics in Berlin. Dies könnte wiederum ein Zeichen sein, dass die chinesische Führung zu noch härterer Gangart neige.
Das Who-is-Who der Wirtschaft reist mit
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), kritisierte im Redaktionsnetzwerk Deutschland: "In Bezug auf bürgerliche und politische Rechte hat sich die Lage in China in den letzten Jahren deutlich verschlechtert." Die Meinungsfreiheit werde immer weiter eingeschränkt. Die Bundesregierung appellierte ihrerseits schon vor dem Besuch erneut an die Parteien der Hongkonger Proteste, den Konflikt im Dialog und gewaltfrei zu lösen. Basis dafür sollten die Gesetze und Freiheiten, die für Hongkong und für das Verhältnis zwischen China und dem Sonderverwaltungsgebiet gelten, sein.
Die Spitze der deutschen Wirtschaft beobachtet diese Entwicklungen - und schweigt seit Wochen. Alle warten darauf, was die Kanzlerin macht. Jetzt sei zunächst einmal die Politik an der Reihe, die Richtung vorzugeben, heißt es in Wirtschaftskreisen. Man wolle auch nicht die Reise belasten - durch unbedachte Äußerungen. Alle wollen aber auch sehen, was trotz der Konfliktlinien geht mit China.
Das Who-is-Who der Wirtschaft ist in Merkels Delegation - Spitzenvertreter von VW über BMW und BASF bis Daimler. Und sie kommen durchaus mit viel Hoffnung auf neue Geschäfte im Gepäck. Als positives Zeichen der Chinesen werde wahrgenommen, dass sich der Versicherungskonzern Allianz künftig ohne heimischen Partner auf dem chinesischen Versicherungsmarkt bewegen könne, hieß es.
Die deutschen Unternehmen haben lange Zeit sehr gut von und mit dem China-Geschäft gelebt. Sie tun sich schwer, sich auf die "neue Normalität" einzustellen - mit langsamerem Wachstum und schwierigeren Marktbedingungen. Die Hoffnung, dass China nach dem Motto "Wandel durch Handel" seinen Markt weiter öffnet, wirkt heute zunehmend naiv. Aber immerhin ist China seit drei Jahren in Folge der größte deutsche Handelspartner mit einem Volumen von knapp 200 Milliarden Euro - vor den Niederlanden, den USA oder Frankreich.
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Hoffnung im Handelsstreit?
Indessen darf die Charmeoffensive Chinas in Richtung Europa vor dem Hintergrund des Handelsstreits mit US-Präsident Donald Trump nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sand im Getriebe der Beziehungen mit Deutschland und Europa ist. So wird die neue Rechtslage beim Technologietransfer (Stichwort: Kuka) in Peking als protektionistisch gesehen. Es wird darauf verwiesen, dass die deutschen Investitionen in China zuletzt um das Zwei- bis Dreifache gestiegen seien, während die chinesischen Investitionen in Deutschland zurückgegangen seien.
Man müsse sich schon auch in der deutschen Wirtschaft die Frage stellen, wie weit man mit China noch kooperieren könne. China "setzt wirtschaftliche Abhängigkeiten als Hebel ein", so die Merics-Experten. Die Möglichkeit, dass man als Unternehmen zum politischen Spielball Chinas werde, sollte man bedenken. Japan, Südkorea oder Taiwan, die noch viel enger mit China verflochten seien, träfen bereits Vorkehrungen, sich etwas zurückzuziehen.
Eigenständige europäische Positionierung
Das wollen offenbar auch Brüssel und Frankreich, nach dem Motto: Wenn China seine Beschaffungsmärkte - unter anderem den Einkauf von Unternehmen - nicht öffnet, tun wir das auch nicht. Es geht um eine eigenständige europäische Positionierung. Europa muss für sich gemeinsam definieren, was seine Agenda ist. Doch davon sei Europa noch weit entfernt, sagen die Experten. Europäische Einzelstaaten oder gar Einzelunternehmen hätten jedenfalls keine Chance.
Auch die Deutschen müssten da neu nachdenken und sich neu positionieren. In Brüssel und Paris werde jedenfalls genau beobachtet, was Merkel in China treibe. Ob sie nur spezifisch deutsche Interessen verfolge oder den europäischen Kontext im Auge habe. Die Kanzlerin will sich aber vor allen Dingen nicht den Plan ruinieren lassen, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 einen EU-China-Gipfel auszurichten. Das wäre im Handelsstreit auch ein Statement in Richtung USA und Präsident Trump - kurz vor Ende ihrer vierten und letzten Kanzlerschaft.
Zuletzt keimte jedoch etwas Hoffnung auf, nachdem chinesische Staatsmedien berichteten, dass neue direkte Gespräche zwischen den beiden Streitparteien Anfang Oktober im Rahmen des regelmäßigen strategischen Wirtschafts- und Handelsdialogs beider Länder in Washington stattfinden sollen. Auf der Arbeitsebene sollen demnach bereits Mitte September "bedeutende Fortschritte" vorbereitet werden.
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Opposition erwartet klare Haltung von Merkel
FDP und Grüne haben Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, bei ihrem China-Besuch klar Stellung zu den Unruhen in Hongkong zu beziehen. Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin erklärte am Donnerstag: "Als größter europäischer Handelspartner muss Deutschland ... auch sein Gewicht in politischen Fragen in die Waagschale werfen." Die Kanzlerin müsse "unmissverständlich klar machen, "dass mit Blick auf Hongkong die Einhaltung des Prinzips "Ein Land, zwei Systeme" für Deutschland und ganz Europa nicht verhandelbar ist". Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte der dpa, Merkel müsse "mit Nachdruck" die Einhaltung der vertraglich zugesicherten Bürgerrechte für Hongkong anmahnen.
Trittin mahnte, von deutscher Seite müsse auch klar gemacht werden, dass Einreiseverbote gegenüber deutschen Abgeordneten, wie zuletzt im Rahmen der geplanten Reise des Bundestagsausschusses "Digitale Agenda" geschehen, nicht akzeptabel seien.