

Vergessen Sie Finnland. Vergessen Sie die Schweiz. Wer die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in der Realität getestet sehen will - die Idee ist für Linke wie Rechte kontrovers -, darf ein Experiment im richtig großen Stil erwarten.
Denn wie der "Economist" berichtet (kostenpflichtig), bereitet sich das mit gut 1,3 Milliarden Einwohnern bald bevölkerungsreichste Land der Erde darauf vor, dass es künftig gleiches Geld für alle gibt - unabhängig von Arbeit oder sozialer Bedürftigkeit. Und das nicht nur in Pilotprojekten mit Stichproben wie in Finnland, sondern gleich flächendeckend.
106 Euro Grundeinkommen für jeden - pro Jahr
Wundertaten sollten die Inder jedoch nicht erwarten. Inzwischen gibt es einen konkreten Plan des Chefwirtschaftsberaters der Regierung, Arvind Subramanian. Der Oxford-Ökonom, der früher in Harvard lehrte, beim Internationalen Währungsfonds und dem Washingtoner Peterson Institute arbeitete, schlägt einen Betrag von 7620 Rupien (106 Euro) vor. Pro Jahr.
Das ist selbst für indische Verhältnisse mager. Der Mindestlohn für ungelernte Arbeiter (jedenfalls diejenigen, die einen regulären Arbeitsvertrag genießen) wurde gerade auf 350 Rupien angehoben. Pro Tag. Subramanians Modell würde zwar annähernd allen Indern genug zum Überleben geben, mehr aber auch nicht. Zum Vergleich: Das finnische Grundeinkommen wurde statt der zunächst angedachten 1000 Euro im Monat im ersten Versuch auf die Hälfte eingedampft.
Was Finnen und Inder eint, ist eine rechtsgerichtete Regierung, die in der Idee einen Weg sieht, den althergebrachten Sozialstaat zu ersetzen - der in Indiens Fall eher kümmerlich ausgestattet ist, aber durchaus mächtige Ansprüche begründet hat.
Sozialleistungen und Subventionen sollen wegfallen - Bauern alarmiert
Schon seine 7620-Rupien-Lösung würde wegen des kaum ausgeprägten Steuerstaats die Hälfte der Staatseinnahmen aufzehren, hat Subramanian errechnet. Deshalb sollten zur Gegenfinanzierung mit einem Handstreich sämtliche Sozialleistungen und Subventionen abgeschafft werden. Beispielsweise die in Indien nach wie vor bedeutsame Landwirtschaft müsste sich komplett umstellen. Bisher werden Preise durch staatlichen Einkauf zentral garantiert, Düngemittel für alle Bauern eingekauft.
Der Vorstoß ist also monströs in seiner Radikalität. Doch das bedeutet nicht, dass die indische Regierung davor zurückschrecken würde. Premier Narendra Modi hat im November in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen Großteil des umlaufenden Bargelds für ungültig erklärt.
Bargeld-Aktion sollte Korruption einen Schlag versetzen
Das wochenlange Chaos sollte gegen Korruption und Schattenwirtschaft helfen und nebenbei noch Mittel für neue Wohltaten freimachen, indem das bisher in den Händen Krimineller liegende Bargeld aus dem Verkehr gezogen wird. Das hat zwar keinen Einfluss auf den Staatshaushalt, senkt aber die Verbindlichkeiten in der Bilanz der Zentralbank und soll so den finanziellen Spielraum vergrößern. So jedenfalls die Theorie.
Tatsächlich wurden die ausgegebenen alten Geldscheine fast vollständig zum Umtausch gegen neue Banknoten eingereicht, die erwartete Sozialdividende fiel im Anfang Februar vorgestellten neuen Staatshaushalt aus. Stattdessen gibt es dann wohl das Grundeinkommen.
Indiens Premierminister Narendra Modi ist sich seiner Popularität ziemlich sicher. Mit dem Ersatz des kompletten Sozialstaats durch ein bedingungsloses Grundeinkommen will er das 1,3-Milliarden-Volk erneut einem gewaltigen Wirtschaftsexperiment unterziehen.
Erst im November 2016 hatte Modi überraschend die großen Geldscheine von 500 und 1000 Rupien für ungültig erklärt - 86 Prozent des umlaufenden Bargelds.
Und das in einem Land, in dem digitale Bankgeschäfte noch immer eine Randerscheinung sind ...
... und dessen kleinteilige Wirtschaft so abhängig von Bargeld ist wie keine zweite. Erst nach und nach sollen neue 500- und 2000-Rupien-Scheine in Umlauf kommen.
Zusätzlich erhöht wurde das Chaos, weil die Bargeldentwertung kurz vor der Hochzeitssaison stattfand, wenn indische Familien traditionell am meisten Geld ausgeben.
"Kurzfristiger Schmerz, aber langfristiger Gewinn", verspricht Modi. Die Geldreform solle die Schattenwirtschaft begrenzen. Massenproteste und Streiks gab es durchaus, vor allem aber wochenlang Schlagen geduldiger Inder, die ihre Gelegenheit zum Umtausch in den Banken abwarteten.
Die Regierung hatte vermutet, dass ein Fünftel der ausgegebenen Geldscheine mangels legaler Dokumente nicht zurück zu den Banken kämen. Das aus dem Verkehr gezogene Geld würde die Staatsbilanz entlasten und Mittel für soziale Wohltaten freimachen. Tatsächlich wurden aber 97 Prozent umgetauscht. Als Finanzminister Arun Jaitley Anfang Februar den neuen Etat vorstellte, waren im Koffer keine Geschenke für die Armen.
Das Parlament in Neu-Delhi kann aber schon die nächste große Reform erwarten. Der Wirtschaftsbericht von Arvind Subramanian, dem in Harvard und Washington geschulten Chefökonom der Regierung, plädiert für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
In vergleichbarer Größenordnung gab es einen solchen Vorstoß noch nie. Subramanian hat nun ein konkretes Modell vorgestellt. Demnach sollen jedem Inder 7620 Rupien (106 Euro) pro Jahr zustehen - weniger als der Mindestlohn. Schon diese Summe würde aber die Hälfte der Staatseinnahmen aufzehren. Daher soll der gesamte bisherige Sozialstaat ersetzt werden, den Subramanian für untauglich zur Armutsbekämpfung hält.
Ein Großteil des Budgets geht bisher für Subventionen der Landwirtschaft drauf. Der indische Staat kauft die Getreideernte zu Festpreisen auf und teilt Düngemittel gratis aus. Schon deshalb dürfte die Reform Auswirkungen auf den Weltmarkt haben. Nebenbei will Modi den Bauern noch die Absicherung mit Finanzderivaten beibringen und überhaupt die Wirtschaft zum digitalen Vorreiter machen - mit einem kräftigen Tritt.