Größtes Transitland Warum die Ukraine von russischen Gaslieferungen profitiert

Größtes Transitland: Ukraine betreibt noch immer ein rund 38.000 Kilometer langes Gasnetz.
Foto: Hannibal Hanschke / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Trotz des Krieges in der Ukraine liefert Russland weiter in großem Umfang Gas durch das Nachbarland nach Europa. Am Donnerstag wurden wie bereits in den vergangenen Tagen 109,5 Millionen Kubikmeter Gas durch das ukrainische Leitungssystem gepumpt, sagte der Sprecher des Energieriesen Gazprom, Sergej Kuprijanow, der Agentur Interfax. Damit wird derzeit die vertraglich mögliche maximale Auslastung pro Tag ausgeschöpft. Das ist doppelt so viel wie vor dem Krieg.
Kapazitäten ausgeschöpft
Seit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar wurden nach Angaben des staatlichen ukrainischen Betreibers für das Gastransportsystem GTSOU deutlich mehr als drei Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland in den Westen geleitet. Laut Vertrag soll Gazprom im Jahr insgesamt 40 Milliarden Kubikmeter Gas über die Ukraine liefern. Vor Kriegsbeginn hatte Russland die Transitkapazitäten jedoch nur zum Teil genutzt. Die Inanspruchnahme lag häufig deutlich unter 50 Prozent.
Der Grund für die neuerliche Auslastung: dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) bleibt nichts anderes übrig. Zwar hat er angedroht, die russischen Gaslieferungen nach Westeuropa einzustellen, wenn die Abnehmerländer dafür künftig nicht in Rubel bezahlen. Doch ein Stopp der Energielieferungen würde dem eigenen Land massiv schaden. Der Verkauf von Gas und Öl ist für Russland aktuell einer der wenigen Wirtschaftszweige, die nicht von Sanktionen des Westens blockiert wurden.
Seit 1999 wird das Gas durch das Ukraine-Leitungssystem geleitet. Doch die 40 Milliarden Kubikmeter machen nur etwa ein Viertel der Gesamtmenge aus, die aus Russland kommt. Seit 2011 kann Russland über die Nord-Stream1-Pipeline auch Erdgas direkt aus Russland liefern, etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Über Belarus und Polen fließt über die Pipeline Jamal bis zu 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Die physischen Gasflüsse durch die Jamal-Pipeline fielen jedoch am Dienstag auf Null, wie Daten des Betreibers Gascade zeigten. Weitere 31 Milliarden Kubikmeter Gas fließen durch die Pipeline TurkStream im Schwarzen Meer und 16 Milliarden Kubikmeter durch BlueStream. Insgesamt haben die Leitungen also eine Kapazität in Höhe von etwa 175 Milliarden Kubikmetern.
Mit Nord Stream 2 wären weitere 55 Milliarden Kubikmeter hinzugekommen. Damit wollte sich Russland unabhängig von der Ukraine machen. Die Leitungen dort wären nicht mehr zwingend notwendig gewesen, der derzeitige Transitvertrag läuft 2024 aus. Russland hätte künftig die Ostseepipeline für direkte Lieferungen nach Deutschland genutzt – wäre die Inbetriebnahme der bereits fertiggestellten Pipeline nicht vom Westen gestoppt worden. Für die Ukraine wären mittelfristig viele Einnahmen verloren gegangen.
Die Ukraine – einst größtes Transitland für Gas nach Europa – betreibt noch immer ein rund 38.000 Kilometer langes Gasnetz. Der aktuelle Vertrag soll Kiew zwischen 2019 und 2024 insgesamt rund sieben Milliarden US-Dollar bringen. Das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine lag 2020, dem jüngsten Jahr mit vollständigen Daten, bei 155 Milliarden US-Dollar.
Doch derzeit würde die Ukraine auf die Einnahmen gerne verzichten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba (40) fordert, dass Deutschland und die weiteren europäischen Staaten den Import von russischem Öl, Gas und Kohle sofort stoppen. Der Grund: Die Einnahmen finanzieren Russlands Kriegsmaschinerie. Wenn Deutschland und die Nato-Partner der Ukraine schon nicht mit einer Flugverbotszone über der Ukraine helfen, dann sollten sie das mit konsequenten Wirtschaftssanktionen und einem Energie-Embargo tun.