Januar-Treffen der Europäischen Zentralbank Warum die EZB Beihilfe zur Konkursverschleppung leistet

Neue EZB-Zentrale in Frankfurt am Main: An den Notenbankern hängt die Zukunft der Währungszone.
Foto: REUTERSPünktlich zu Beginn des Neuen Jahres meldet sich die Eurokrise zurück, zumindest für jene, die sich von der Ruhe der letzten Monaten haben einschläfern lassen. Griechenland führt uns vor Augen, wie sehr die Rettungspolitik der letzten Jahre versagt hat. Trotz Schuldenschnitt und Milliardenhilfen bleibt der griechische Staat mit einer Schuldenlast von 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) faktisch pleite.
Es stellt sich nur die Frage, wie offen beziehungsweise verdeckt die Schulden erlassen werden. Durch Zahlungseinstellung, Erlass oder weitere für das Wahlvolk intransparente Maßnahmen wie die nochmalige Verlängerung der Rückzahlung und weiterer Verzicht auf Zinsen.
Zugleich vermelden die Statistikämter einen Rückgang der Preise in der Eurozone, die von Wirtschaftspolitikern so sehr gefürchtete Deflation. Dahinter steht vor allem der deutliche Rückgang des Ölpreises, über den wir uns alle jeden Tag freuen können, während die Kerninflationsrate ohne Öl noch positiv ist. Doch auch diese ist in Europa rückläufig, womit Deflation in der Tat immer wahrscheinlicher wird.
Beides - die erneute Unsicherheit über Griechenland wie auch die fallenden Preise - rufen die letzte und einzige Rettungsinstanz, die die Eurozone noch hat, auf den Plan: die Europäische Zentralbank (EZB), deren Präsident Mario Draghi mit seiner Führungscrew am 22. Januar die nächsten wegweisenden Entscheidungen treffen will. Glaubt man den Volkswirten, so ist sie die einzige Institution, die Europa noch aus dem Schlamassel retten kann.
Gefahr für Schuldner
Dabei ist die Frage durchaus erlaubt: Was ist denn eigentlich das Problem mit einer Deflation? Fallende Preise sind aus Sicht der Konsumenten etwas Gutes. Sie erhöhen die Kaufkraft und erlauben es, mehr Waren mit gleichem Einkommen nachzufragen. Zugleich ist Deflation eine zwangsläufige Folge der Anpassungsprozesse innerhalb Europas. Ist es nicht mehr möglich, die eigene Währung abzuwerten, so muss eben eine sogenannte interne Abwertung erfolgen: Sinkende Löhne und sinkende Preise erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer, steigern die Exporte und reduzieren die Importe. Alles so von der Rettungspolitikern gewünscht.
Doch nun kommen Ängste auf: Die Deflation könnte dazu führen, dass es zu einer Zurückhaltung bei der Nachfrage kommt. Wir Bürger könnten Ausgaben aufschieben, weil wir mit weiter sinkenden Preisen rechnen. Dies würde die Krise der Wirtschaft weiter verstärken und in eine Abwärtsspirale münden.
Empirisch ist das nicht haltbar: Obwohl wir wissen, dass Computer und andere technologische Geräte ständig billiger werden, ist die Nachfrage ungebrochen. Obwohl wir wissen, dass es wieder Rabattaktionen geben wird, kaufen wir schon heute die Kleidung, die uns gefällt. Dies liegt unter anderem daran, dass unser persönlicher Zeithorizont nicht unendlich ist.
Ein Blick auf Japan unterstreicht diesen Befund. Angesichts leicht fallender Preise in den letzten 25 Jahren, müssten die Japaner immer weniger nachfragen, zumindest in der Theorie. In Praxis ist die Sparquote jedoch von Werten um die 20 Prozent auf Null gefallen. Konsumzurückhaltung sieht anders aus. Im 19. Jahrhundert gab es lange Phasen der Deflation bei gleichzeitig hohem Wirtschaftswachstum.
Deflation ist in Wahrheit nur für eine Gruppe eine Gefahr: die Schuldner. Schulden können nur aus Einkommen bedient werden. Es kommt darauf an, wie viele Euro der Schuldner nominal zur Verfügung hat. Sinkt sein Einkommen nutzt es ihm herzlich wenig, wenn es mehr Kaufkraft hat. Er muss einen nominal festgelegten Geldbetrag zurückzahlen. Wie fatal eine geringe Inflation für Schuldner ist, zeigt sich am Beispiel des italienischen Staates. Allen echten Sparbemühungen zum Trotz, steigt die Schuldenquote ungebremst an, weil die Wirtschaft nicht wächst.
Reales Wachstum gibt es bedingt durch mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und verkrustete Strukturen faktisch nicht. Stagniert oder fällt das Preisniveau, ist es für die Schuldner unmöglich, einen weiteren Anstieg der Schuldenquoten zu verhindern. Versuchen sie es doch, ist tatsächlich die von Volkswirten befürchtete Abwärtsspirale die Folge. Je mehr die Schuldner sparen, desto höher ist ihre Verschuldung relativ zum fallenden Einkommen. Eine Dynamik, die Irving Fisher schon in den 1930er Jahren in seiner Schulden-Deflations-Theorie beschrieben hat.
Deflation bedeutet damit nichts anderes als Pleite. Ermöglicht es die Inflation den Schuldnern, leichter ihren nominalen Verpflichtungen nachzukommen, legt die Deflation offen, wer nackt schwimmt. Und dies tun heute viele und rufen nach der EZB, die doch bitte dafür sorgen soll, dass der Wasserspiegel wieder steigt.
EZB machtlos
Wenn die EZB nun über unkonventionelle Maßnahmen nachdenkt, um die Inflationsrate auf das Mindestziel von zwei Prozent zu bringen, so tut sie dies ausschließlich mit Blick auf die Schuldner in der Eurozone. Die angedachte Ausweitung der EZB-Bilanz um eine Billion Euro durch den Aufkauf von Staatsanleihen soll das Zinsniveau weiter drücken und damit die Nachfrage nach Krediten, die Wirtschaft und letztlich die Preissteigerung beleben. So zumindest die Forderung und die Hoffnung derjenigen, die lauthals nach diesen Maßnahmen rufen.
Selbst wenn man die Zielvorstellung teilt, so ist es zweifelhaft, dass die EZB überhaupt etwas bewirken kann.Geldpolitik wirkt nicht im Umfeld der Überschuldung:
- Das Zinsniveau ist in allen Ländern der Eurozone schon deutlich gefallen. Selbst Krisenstaaten wie Spanien, Italien, Portugal und Frankreich zahlen so wenig Zinsen wie teilweise seit Jahrhunderten nicht mehr. Was bringt hier ein Rückgang um ein paar Zehntel Prozentpunkte?
- Tiefere Zinsen für Finanzminister bedeuten nicht auch tiefere Zinsen für private Haushalte und Unternehmen. Im Unterschied zu den USA dominiert in Europa die Finanzierung über Banken und tiefere Zinsen werden nicht auf bestehende Kreditvereinbarungen angewandt. Der spanische Hypothekenschuldner zahlt weiterhin den ursprünglich vereinbarten Zins.
- Inflation setzt zwingend eine höhere Nachfrage voraus. Neue Kredite werden angesichts der schon hohen Verschuldung und unsicheren Wirtschaftsaussichten wenig nachgefragt. Nur wenn das zusätzliche Geld tatsächlich in die Realwirtschaft flösse, beispielsweise wenn Staaten mit frischem Notenbankgeld Investitionsprogramme finanzierten, käme es zu den gewünschten Effekten. Dies ist bis jetzt nicht geplant.
Umgekehrt kann aggressive Geldpolitik sogar die Deflationsgefahren erhöhen:
- Tiefere Zinsen bewirken nicht unbedingt mehr Nachfrage. Im Gegenteil. Wir müssen alle mehr sparen, wollen wir im Alter ausreichend Reserven haben. Kurzfristig mögen die tiefen Zinsen den Konsum beleben. Mittel- und längerfristig sinkt der Konsum jedoch, gerade bei einer zunehmend überalterten Gesellschaft.
- Die tiefen Zinsen verhindern die dringend erforderliche Bereinigung in Realwirtschaft und Bankensystem. Ähnlich wie in Japan in den 1990er-Jahren werden Unternehmen am Leben erhalten, die eigentlich insolvent sind. Diese investieren jedoch nicht und erhöhen mit ihrem kurzfristig auf Liquidität ausgerichteten Denken den Druck auf die eigentlich gesunden Unternehmen zusätzlich.
- Billiges Geld führt tendenziell zu höheren Preisen für Vermögenswerte. Damit ist es attraktiver, über Spekulation und Leverage Geld zu verdienen, als über Investitionen in der Realwirtschaft. Dies verstärkt zudem die Ungleichverteilung der Vermögen und liefert Forderungen nach mehr Umverteilung zusätzliche Munition.
- Der Zins ist ein wichtiger Indikator für das zu erwartende Wirtschaftswachstum und damit die Attraktivität von Investitionen. Es lohnt sich nicht, nur mit Blick auf eine günstige Finanzierung zu investieren, wenn die Aussichten für das nachhaltige Wachstum gering sind.
Trotz dieser Zweifel, wird die EZB in diesem Jahr beschließen, mehr als das Jahresvolumen neu ausgegebener Staatsanleihen aufzukaufen - warum?
Gefangen im eigenen Versprechen
Die EZB ist gefangen im eigenen Versprechen. Seit Mario Draghis Bekenntnis, alles zu tun, um den Euro zu erhalten, gehen die Kapitalmärkte - und die Politiker! - davon aus, dass die EZB wirklich alles tun wird. Dies beinhaltet auch, dass sie keine Staatspleite in Europa zulässt. Nur so lässt sich erklären, dass selbst Krisenländer wie Spanien, Italien und Frankreich tiefere Zinsen bezahlen als die USA. In den letzten Monaten wurde zudem die Erwartung geweckt, dass die EZB nun allen Käufern von Anleihen einen risikolosen Gewinn ermöglicht.
Tut sie dies wider Erwarten nicht, steigen die Zinsen und der Euro deutlich. Beides ist nicht erwünscht. Schon alleine um dies zu verhindern, wird die EZB kaufen müssen. Und es wird nicht bei dem einmaligen Kauf bleiben. Angesichts der garantierten Wirkungslosigkeit für die Realwirtschaft und der weiter zunehmenden Spekulation an den Kapitalmärkten, werden wir schon bald über die nächsten Maßnahmen sprechen. Übrigens auch in den USA, wo sich alsbald zeigen dürfte, dass auch dort die grundlegenden Probleme der Überschuldung nicht gelöst sind.
Den Akteuren an den Finanzmärkten ist dies nur recht. Ermöglicht die Notenbank doch weitere risikofreie Gewinne - die Party kann weitergehen. Ich bleibe bei meiner schon früher hier dargelegten Meinung:
Wenn man schon Geld verteilt, dann sollte die EZB es besser den Bürgern als Staaten, Banken und Spekulanten geben.Im Ergebnis wird die EZB einen immer größeren Anteil der Staatsschulden Europas auf der eigenen Bilanz halten. Wie in Japan wird die Notenbank der größte Gläubiger des Staates. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns - wie bereits in Japan und England - die Rufe nach einem Schuldenerlass durch die Notenbank immer lauter werden.
Man stelle sich das Szenario vor: nach ein paar weiteren Jahren wirtschaftlicher Stagnation, weiter gestiegener Schuldenquoten und zunehmender politischer Spannungen innerhalb und zwischen den Ländern Europas dürfte die Verlockung groß sein, dass Problem der Schulden über die Bilanz der Notenbank zu lösen. Letztlich kann eine Notenbank niemals zahlungsunfähig werden - sie schafft das Geld ja selbst.
Die Nebenwirkung einer solchen Strategie sind erheblich. Offensichtlich wäre die Umverteilungswirkung innerhalb Europas. Relativ solidere Länder wie Deutschland müssten einen großen Teil der Kosten tragen, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Zudem fehlt diesem Vorgehen jegliche demokratische Legitimierung. Es ist faktisch eine Schuldensozialisierung durch die Hintertür. Fraglich ist auch, ob die von den Befürwortern als gering eingeschätzte Inflationsgefahr wirklich gering bleibt. Zu groß ist das Risiko eines Vertrauensverlustes in Geld.
Allemal ehrlicher wäre es, wenn die Regierungen offen zugeben würden, dass drei bis fünf Billionen Euro der Schulden von Staaten und Privaten in Europa nicht mehr bedient werden können. Diese Schulden müssten in einem offenen, transparenten und fairen Verfahren abgeschrieben werden. Die Gläubiger könnten auf Gegenleistung in Form von echten Reformen und politischen Sympathien hoffen. Der Preis für die Lösung über die Bilanz der EZB ist dagegen hoch.
Die Politik scheut die transparente Lösung. Zu groß ist die - berechtigte - Furcht vor dem Wahlvolk, das die Folgen einer verfehlten Wirtschafts- und Währungspolitik deutlich vor Augen geführt bekäme. Alleine der deutsche Anteil an den Kosten der Eurorettung könnte sich auf eine Billion Euro belaufen.
Beihilfe zur Konkursverschleppung
Indem sich die EZB zum Erfüllungsgehilfen der Politik macht, trägt sie zur weiteren Konkursverschleppung in Europa bei. Keines der Probleme der Eurozone wird dadurch gelöst, im Gegenteil wachsen die unbedienbaren Schulden nur noch weiter an. Bis diese über die Bilanz der EZB bereinigt werden können, werden noch Jahre vergehen. Angesichts der Dauerkrise in wichtigen Ländern wie Italien und Frankreich wächst damit das Risiko politischer Turbulenzen.
Es ist eine große Wette der Politik, dass die Wahlbürger in den Krisenländern den gegenwärtigen Kurs der Verschleppung noch einige Jahre mittragen. Tun sie es nicht, endet das Experiment früher als gedacht mit einem lauten Knall: dem Austritt eines Landes.