Europas Schuldenkrise Das Banken-Länder-Domino

Banken in Frankfurt am Main: Vor allem deutsche Banken sollen die europäische Schuldenkrise mit ausgelöst haben, urteilt eine Studie
Foto: DPAFrankfurt am Main - Es ist die klassische Kettenreaktion: Als 2007 in den USA die Blase am Immobilienmarkt platzt, geraten auf der anderen Seite des Atlantiks plötzlich die Banken in Not, allen voran deutsche, aber auch schweizer oder französische Institute. Sie haben massenhaft Wertpapiere gekauft, denen wiederum faule "Subprime"-Darlehen zugrunde liegen, die von ihren Kreditnehmern - Amerikanern aus der Unter- und Mittelschicht - plötzlich nicht mehr bedient werden.
Renditegier und der Mangel an gut verzinsten Anlagen in der Heimat hatte die Europäer einst über den Großen Teich getrieben. Viele deutsche Landesbanken sind dabei, auch die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB. Vor allem die Landesbanken haben sich damals in einer Art Torschlusspanik mit Kapital vollgesogen, weil sie wissen, dass ab Sommer 2005 die Ausfallgarantie des deutschen Staates für diese Papiere wegfällt.
Mit vollen Taschen sind sie ins Kasino gegangen, doch jetzt müssen sie die Zeche für ihre Abenteuer in Übersee zahlen: Die Giftpapiere reißen Milliardenlöcher in ihre Bilanzen und zehren das Eigenkapital auf, das Einspringen des Staates verhindert den Systemzusammenbruch in letzter Minute.
IMK: Kreditgeber der Südstaaten treten auf die Bremse
Doch die eigentlichen Leidtragenden des Desasters sind nicht die deutschen Steuerzahler. Sondern jene Länder, die kurze Zeit später unter der wenig schmeichelhaften Abkürzung "Piigs" für Schlagzeilen sorgen werden: Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. In einer aktuellen Analyse zeichnen die Forscher nach, wie die Immobilienkrise vom Mittleren Westen der USA nach Europa schwappte und hier beinahe den Währungsraum gesprengt hätte.
Der Zusammenhang ist im Prinzip simpel: Bis zum Ausbruch der Krise waren französische und deutsche Banken die wichtigsten Kreditgeber gegenüber Regierungen und Banken der Piigs-Länder, heißt es in der Studie. So hielten Mitte 2008 französische und deutsche Geldhäuser 60 Prozent aller ausländischen Bankforderungen gegenüber Italien. In Spanien betrug ihr Anteil 45 Prozent, in Griechenland 42 Prozent, in Irland 37 Prozent und in Portugal 33 Prozent.
Vollbremsung bei der Finanzierung
Dann platzte die US-Immobilienblase, und die Banken in Deutschland und Frankreich mussten in Windeseile ihre Bilanzen sanieren und ihr Eigenkapital entlasten. Am leichtesten fiel ihnen das, indem sie sogenannte Interbankenkredite abzogen, die sie an Geldhäuser in Südeuropa vergeben hatten - schließlich müssen Banken für Kredite in der Regel Eigenkapital bereithalten, um für Zahlungsausfälle gewappnet zu sein.
Je weniger Kredite eine Bank also vergibt, desto weniger Eigenkapital benötigt sie. Und da das Eigenkapital bereits von den Abschreibungen auf faule US-Papiere verbraucht war, war es für die Institute am einfachsten, rasch ihre Positionen im Interbankenmarkt zurückzufahren.
Hinzu kamen Auflagen der Finanzaufseher und der EU-Wettbewerbsbehörde, die auf Bilanzschrumpfung und höhere Eigenkapitalquoten pochten - fertig war der Teufelskreislauf.
Dass sie zugleich auch noch Staatsanleihen der Piigs-Ländern verkauften, beschleunigte den Niedergang der Euro-Peripherie noch. "In den betroffenen Ländern wirkte das als Vollbremsung bei der Finanzierung", heißt es in der Studie, die unter anderem auf Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) basiert.
Gewaltiges Deleveraging
Das Ausmaß dessen, was Fachleute "Deleveraging" nennen und in einer Kreditklemme mündete, ist gewaltig. Zwischen dem zweiten Quartal 2008 und dem vierten Jahresviertel 2012 verringerten die von der BIZ befragten Banken ihre Forderungen gegenüber den Krisenländern um sagenhafte 42 Prozent - und glatt die Hälfte davon geht allein auf die Flucht französischer und deutscher Institute zurück.
Dieser Finanzierungsstopp traf Banken, Realwirtschaft und Regierungen der Piigs-Länder mit voller Wucht. Vor allem die Regierungen stecken noch immer im Dilemma: Einerseits brauchen sie dringend Geld, um ihre kranken Banken aufzufangen. Andererseits ist es für sie noch immer schwierig bis unmöglich, dieses Geld durch den Verkauf von Staatsanleihen hereinzuholen - westliche Banken, die natürlichen Käufer von einst, scheuen diese Papiere wie der Teufel das Weihwasser.
Einzig die Zusage der Europäischen Zentralbank (EZB), im Notfall als Käufer von Staatsanleihen einzuspringen - was sie bereits im Umfang von über 200 Mrd. Euro getan hat - sorgt einstweilen für etwas trügerische Ruhe in der Eurozone.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Während Deutschland weit entfernt ist von einer Kreditklemme, knausern die Banken in den Krisenländern mit Darlehen und würgen so ihre ohnehin darbende Wirtschaft ab.
Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, daran hat auch die Krisenpolitik der EZB nichts geändert. Die aktuellen Bemühungen der deutschen Staatsbank KfW und der Europäischen Investitionsbank (EIB), die dem Süden Europas mit Förderkrediten auf die Beine helfen wollen, wirken angesichts des gewaltigen Umfangs, in dem die dortigen Geschäftsbanken ihr Engagement zurückgeschraubt haben, wie der sprichwörtliche Tropfen im Atlantischen Ozean. Jenem Gewässer, über den einst die Krise von den USA nach Europa schwappte.