WHO verzweifelt über "Impfnationalismus" Europa sichert sich möglichen Moderna-Impfstoff

Teilnehmerin der Phase-III-Studie zum Moderna-Impfstoff im US-Staat New York.
Foto: Hans Pennink/ AP
Teilnehmerin der Phase-III-Studie zum Moderna-Impfstoff im US-Staat New York.
Foto: Hans Pennink/ APDie Europäische Union will sich bei einem weiteren Hersteller Millionen Dosen eines potenziellen Corona-Impfstoffes sichern. Mit dem US-Biotechunternehmen Moderna, das zu den führenden Firmen im Rennen um einen Impfstoff gehört, schloss die Europäische Kommission am Montag Sondierungsgespräche über die Lieferung von 80 Millionen Dosen ab. Darüber hinaus besteht die Option zum Erwerb von weiteren 80 Millionen Dosen. Finanzielle Details wurden nicht genannt.
Damit ziehen die Europäer im Wettkampf um die Bestände eines möglichen Corona-Impfstoffs nach. Erst kürzlich hatten die USA, die sich mit ihrer "Operation Warp Speed" besonders aggressiv eindecken, mit Moderna einen Vertrag über die Lieferung von 100 Millionen Dosen im Wert von rund 1,5 Milliarden Dollar geschlossen.
Der Impfstoffkandidat von Moderna befindet sich als einer von derzeit acht Impfstoffkandidaten bereits in der dritten und damit entscheidenden Phase der klinischen Entwicklung. Seit Mitte Juli und bis in den September hinein sollen rund 30.000 Menschen mit dem Stoff geimpft werden. Parallel erweitert das Unternehmen unter Führung von CEO Stephane Bancel derzeit seine weltweiten Produktionskapazitäten, um etwa 500 Millionen Dosen pro Jahr und ab 2021 dann möglicherweise bis zu eine Milliarde Dosen pro Jahr liefern zu können.
Für die EU-Kommission ist es nicht der einzige angestrebte Deal. Sie hat bereits mit einer Reihe von Unternehmen Sondierungsgespräche über den Kauf derer Corona-Impfstoffe geführt. Erst am Donnerstag hatte sie entsprechende Gespräche mit dem Tübinger Biotechnunternehmen CureVac abgeschlossen, das wie Moderna und die Mainzer Biontech einen Impfstoff auf Basis der sogenannten Boten-RNA (mRNA) entwickelt. Diese soll den menschlichen Zellen die Information zur Produktion von Proteinen und damit zur Bekämpfung der Krankheitserreger vermitteln.
Beim Pharmakonzern AstraZeneca hat sich die Europäische Union bereits 300 Millionen Einheiten gesichert, mit der Option zum Kauf von weiteren 100 Millionen. Das britisch-schwedische Unternehmen vermarktet einen klassischen Impfstoff, der von der Universität Oxford entwickelt wurde und laut Zwischenstand der Weltgesundheitsorganisation am weitesten in der Entwicklung fortgeschritten ist. Mit den auf dem Impfmarkt führenden Konzernen Sanofi und GlaxoSmithKline sowie dem US-Arzneimittelhersteller Johnson & Johnson wurden ebenfalls Sondierungsgespräche geführt.
"Wir investieren in Unternehmen, die auf unterschiedliche Technologien setzen, um unsere Chancen auf Impfstoffe zu erhöhen, die sicher und wirksam sind", kommentierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (61). Es gehe darum, der europäischen Bevölkerung einen raschen Zugang zu einem Impfstoff gegen das Coronavirus zu ermöglichen. Finanziert werden die Geschäfte über ein im Kampf gegen die Coronakrise geschaffenes Soforthilfeinstrument. Es ist mit insgesamt 2,7 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt ausgestattet.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt es derzeit 169 Impfstoffprojekte, davon werden 30 in klinischen Studien an Menschen getestet. Acht davon befinden sich in der entscheidenden dritten Phase, davon die von Moderna, Biontech oder auch AstraZeneca. Zum Teil gibt es einen Konkurrenzkampf bei der Frage, welchem Land in welchem Umfang ein Impfstoff zuerst geliefert wird.
Die WHO stemmt sich mit ihrer Impfstoffinitiative Covax verzweifelt gegen den Trend, um einen fairen Zugang zu möglichen Covid-19-Impfstoffen zu gewährleisten. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus (55) sagte am Montag, die Initiative sei entscheidend für ein Ende der Pandemie und bündele nicht nur das Risiko für Länder, die Impfstoffe entwickeln und kaufen. Sie stelle auch sicher, dass die Preise "so niedrig wie möglich" gehalten würden. "Impfstoffnationalismus hilft nur dem Virus", sagte er. Allerdings zögern Länder wie etwa Deutschland, wie sie sich beteiligen wollen. Es gebe noch keine Position in der Bundesregierung, hieß es.
Wohlhabende Staaten wie die USA, Japan, Großbritannien und eben auch EU-Länder haben sich bei Pharmafirmen bereits Millionen Einheiten künftiger Impfstoffe gesichert und dafür Milliarden ausgegeben. Die Pandemie breitet sich derzeit vor allem in Lateinamerika, Süd- und Südostasien aus. Einige schwer betroffene Länder wie die Philippinen zeigen sich begeistert von dem umstrittenen russischen Vorstoß, einen Impfstoff zuzulassen, bevor dessen Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien bestätigt ist.
Europas Politiker stellen sich indes auf einen Verteilungskampf ein. Solange es nur ein begrenztes Angebot gebe, sei es zwar zunächst wichtig, jene mit einem Impfstoff zu versorgen, die weltweit dem höchsten Risiko ausgesetzt seien. Das wären eher die Menschen in den ärmeren Staaten. Dies beiße sich aber durchaus mit den Erwartungen in reicheren Ländern, dass die dortigen Regierungen ihre eigene Bevölkerung versorgen sollten, sagten EU-Diplomaten.
Die Covax-Initiative soll für mehr Fairness sorgen. Länder, die Teil der Initiative sein wollten, hätten bis zum 31. August Zeit, Interessensbekundungen einzureichen und diese bis zum 18. September zu bestätigen, teilte die WHO am Montag mit. Erste Zahlungen müssten bis zum 9. Oktober folgen. Covax wird von der WHO, der Impfstoffallianz Gavi und der internationalen Impfinitiative CEPI geleitet.
Das wohl begehrteste Produkt des Jahres: Zum Jahresbeginn läuft die Impfung gegen das Coronavirus wie hier in Israel auf Hochtouren. Mehrere Millionen Menschen haben bereits ihre erste Spritze erhalten. Von weit mehr als hundert Impfstoffprojekten sind bislang zehn in einzelnen Ländern zugelassen (Stand: 11. März)
Eine Pionierrolle hat die von Uğur Şahin (55) geführte Mainzer Firma Biontech. Der gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer entwickelte Impfstoff gegen Covid-19 ist der erste zugelassene der sogenannten mRNA-Technik überhaupt. Nach überzeugenden klinischen Daten - 95 Prozent Schutz gegen Erkrankung, keine schweren Nebenwirkungen - startete die Impfkampagne am 2. Dezember 2020 in Großbritannien. Inzwischen haben 27 Länder (wobei die EU als eines zählt) sowie die Weltgesundheitsorganisation das Mittel zugelassen. Zwei Milliarden Dosen sollen 2021 produziert werden. Da jede Person zwei Dosen bekommt, reicht das für ein Achtel der Menschheit. Größter Nachteil: Das Mittel muss auf minus 70 Grad gekühlt werden. Doch es kommen ja noch Alternativen hinzu.
Die US-Biotechfirma Moderna begann Mitte März 2020 als erste mit klinischen Studien. Auch diese konnten eine Wirksamkeit von gut 94 Prozent belegen. Weiterer Vorteil: Das Mittel ist bei deutlich weniger aufwendiger Kühlung haltbar. Und vor allem: Moderna-Chef Stéphane Bancel (48) hat die Operation "Warp Speed" mit logistischer Hilfe des US-Mililtärs im Rücken. Die Firma setzt wie Biontech auf die mRNA-Technologie. Nach den USA am 18. Dezember setzen auch Kanada, Israel, Großbritannien, die EU und die Schweiz das Vakzin ein.
Am 4. Januar kam - im Beisein von Premierminister Boris Johnson (56) - auch ein von der Universität Oxford und dem britischen Konzern Astrazeneca entwickelter Impfstoff in britischen Krankenhäusern zum Einsatz. Laut EU-Behörde EMA ist dieses Vakzin zu rund 60 Prozent wirksam, mit anderer Dosierung wurden aber auch mehr als 90 Prozent erreicht. Es handelt sich um einen Vektorimpfstoff - nicht ganz so revolutionär wie mRNA, diese Technik ist aber auch erst seit 2016 im kommerziellen Einsatz.
Die Uni Oxford hat Astrazeneca zu einem Non-Profit-Betrieb verpflichtet. Der Impfstoff ist mit rund zwei Euro pro Dosis deutlich günstiger als die mRNA-Mittel von Biontech und Moderna, mit Lagerung zu Kühlschranktemperaturen leichter zu handhaben - und vor allem steht eine Produktionskapazität von drei Milliarden Dosen bereit, ein Großteil davon in Indien für arme Länder. Doch der Hoffnungsträger sorgt immer wieder für Enttäuschungen, zuletzt setzten Dänemark und Norwegen die Impfungen sogar wegen eines Todesfalls aus. Deutschland hatte die knappen Dosen zunächst nur an die unter 65-Jährigen verimpft, am 4. März hat die Ständige Impfkommission das Vakzin aber auch für ältere Menschen empfohlen. Neue Studiendaten belegen zudem, dass das Mittel bei einem Abstand zwischen der Erst- und Zweitimpfung von zwölf Wochen noch wirksamer ist.
In den USA hat der Impfstoff von Johnson & Johnson (J&J) bereits am 27. Februar eine Notfallzulassung erhalten. In der EU gab die zuständige Behörde dann am 11. März die Empfehlung zur Zulassung.
Im Vergleich zu Biontech/Pfizer sowie dem Impfstoff von Moderna und Astrazeneca bietet das Mittel den Vorteil, dass eine Dosis ausreichen soll statt zwei. Zudem muss das Präparat nicht tiefgefroren gelagert werden, was die Verteilung erleichtert. J&J hatte Ende Januar für das Mittel eine Wirksamkeit von 66 Prozent beim Schutz vor mittelschweren bis schweren Covid-19-Verläufen in seiner weltweiten Untersuchung mit rund 44.000 Teilnehmern gemeldet. Bei der Vorbeugung einer Krankenhauseinweisung war das Vakzin 14 Tage nach der Impfung zu 85 Prozent wirksam und zu 100 Prozent nach 28 Tagen.
Dem Astrazeneca-Produkt sehr ähnlich (Vektorimpfstoff) ist der Impfstoff "Sputnik-V" des staatlichen russischen Gamaleya-Instituts. Der ebenfalls auf Adenoviren - die herkömmliche Erkältungen auslösen - basierende Stoff wurde von Russland bereits im August zugelassen, ohne die Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Großstudien abzuwarten. Erst zwei Wochen später kam das Vakzin in Phase 3. Für dieses Vorgehen hagelte es Kritik, doch inzwischen trägt der Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 92 Prozent das Siegel der Wissenschaft.
Inzwischen wird das Vakzin in 46 Ländern eingesetzt, Ende Januar wurde auch die EU-Zulassung beantragt, nachdem Gamaleya und Astrazeneca eine Kooperation für einen Superimpfstoff ankündigten und sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (66) für das russische Mittel einsetzte. Einige europäische Länder wollen aber nicht mehr auf die Zulassung warten: In Ungarn, der Slowakei und Tschechien ist Sputnik V bereits zugelassen oder es laufen nationale Zulassungsverfahren.
In China, wo das Coronavirus im Januar 2020 entdeckt wurde, sind mehrere Impfstoffe bereits seit dem Sommer 2020 im millionenfachen Einsatz an medizinischem Personal und Risikogruppen oder auch dem Militär. Die staatliche Firma Sinopharm hat zwei verschiedene Impfstoffe auf den Markt gebracht. Ein vom Pekinger Institut für Biologische Produkte entwickelter Totimpfstoff erhielt am 31. Dezember die erste Zulassung für die Allgemeinheit in China - nachdem in Studien eine Wirksamkeit von 79 Prozent gezeigt wurde. Beide Impfstoffe von Sinopharm werden in Phase-III-Studien getestet. Nach Angaben aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die das Mittel ebenso wie Bahrain und Ägypten ebenfalls freigaben, sind es gar 86 Prozent. In China selbst gibt es längst nicht mehr genügend Infizierte für die Kontrollgruppe.
Holpriger lief es für die Privatfirma Sinovac, deren Impfstoff in Brasilien nur etwas über 50 Prozent Wirksamkeit zeigte. Die Veröffentlichung der Studienergebnisse wurde mehrfach verschoben. In der Türkei hatten Wissenschaftler einen Wert von 92 Prozent genannt, dafür aber nur eine dünne Datenbasis. In Brasilien ist die Kooperation mit China heftig umstritten, Präsident Jair Bolsonaro versuchte sie zu stoppen. Mangels Alternativen setzen Brasilien, Indonesien und weitere Länder nun auch das Sinovac-Vakzin ein. Indonesien hat dem Impfstoff am 11. Januar als erstes Land außerhalb Chinas eine Notfallgenehmigung erteilt.
Ein Vektorimpfstoff der chinesischen Biotechfirma Cansino Bio und ein weiteres Sinopharm-Produkt aus den Laboren des Wuhan-Instituts - am Ursprungsort der Krise - sind in China und einigen weiteren Ländern ebenfalls vorläufig zugelassen.
Aus Indien kommt neben der massenhaften Auftragsproduktion für westliche Pharmariesen auch eine Eigenentwicklung: Die mit staatlichen Instituten kooperierende Biotechfirma Bharat aus dem "Genome Valley" von Hyderabad startete Ende Oktober in Phase 3, am 3. Januar erteilte die indische Regierung die Freigabe für den Noteinsatz. Ergebnisse der klinischen Studie wurden bis dato nicht veröffentlicht.
Zeitgleich mit Johnson & Johnson meldete auch die US-Firma Novavax Fortschritte, wiederum mit dem Nachteil, dass die südafrikanische Mutation offenbar die Impfung schwächt. In Großbritannien erreichte der Proteinimpfstoff aber 89 Prozent Wirksamkeit, die US-Studie startete wegen Produktionsproblemen trotz Milliardenförderung vom Staat erst Ende Dezember. Novavax hat mit derselben Technik bereits einen Impfstoff gegen Grippe entwickelt. Für die Covid-Impfung haben die Amerikaner früh mit dem Serum Institute of India einen Auftrag zur Massenproduktion von zwei Milliarden Dosen vereinbart. In den USA sei eine Notfallzulassung des Impfstoffs ab Mai möglich, sagte Novavax-Chef Stanley Erck.
Curevac hat sich mit dem Bayer-Konzern für die Impfstoffproduktion zusammengeschlossen - ein Signal, dass die Biotechhoffnung aus Tübingen als Nachzügler doch noch Wucht entfalten könnte. Im Frühjahr 2020 galt Curevac als Vorreiter im Impfstoffrennen, zeitweise ging gar die Angst um, die USA würden die deutsche Biotechfirma kapern.
Es folgten ein Einstieg des Bundes und ein furioser Börsengang an der Nasdaq. Im Oktober 2020, für den Hauptaktionär Dietmar Hopp (80) anfangs schon ein fertiges Produkt verheißen hatte, wurden erst positive Zwischenergebnisse aus Tierversuchen verkündet. Erst im Dezember begannen die klinischen Großversuche der Phase 3 mit 35.000 Teilnehmern - Curevac glaubt aber, mit dem besseren Impfstoff gut im Rennen zu sein, wenn auch nicht mehr rechtzeitig für den nordamerikanischen Markt. Erst Mitte 2021 wird die Zulassung erwartet. Dafür wird mithilfe von Glaxosmithkline gleich die nächste Generation vorbereitet - mutantensicher.
Der von Emma Walmsley (51) geführte weltgrößte Impfstoffhersteller Glaxosmithkline scheint etwas an der Seitenlinie zu stehen - zumal die spektakuläre Kooperation mit dem Branchenzweiten Sanofi im Dezember enttäuschende Ergebnisse brachte und mit einer neuen Phase 1/2-Studie von vorn beginnen muss. Beide Partner haben jedoch neue Aufgaben gefunden: Sanofi hilft bei der Produktion des Biontech-Mittels, Glaxosmithkline verbündet sich mit dem deutschen Hersteller Curevac. Zudem liefern die Briten ihren Wirkstoffverstärker für weitere Impfstoffprojekte, die bereits in Phase 3 sind: eines der chinesischen Firma Clover Biopharmaceuticals und eines der kanadischen Firma Medicago, die den neuen Impfstoff züchtet, indem sie Tabakpflanzen das Erbgut der Viren injiziert. In dieses Projekt hat passenderweise auch der Tabakkonzern Philip Morris investiert.
Das wohl begehrteste Produkt des Jahres: Zum Jahresbeginn läuft die Impfung gegen das Coronavirus wie hier in Israel auf Hochtouren. Mehrere Millionen Menschen haben bereits ihre erste Spritze erhalten. Von weit mehr als hundert Impfstoffprojekten sind bislang zehn in einzelnen Ländern zugelassen (Stand: 11. März)
Foto: MENAHEM KAHANA / AFPEine Pionierrolle hat die von Uğur Şahin (55) geführte Mainzer Firma Biontech. Der gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer entwickelte Impfstoff gegen Covid-19 ist der erste zugelassene der sogenannten mRNA-Technik überhaupt. Nach überzeugenden klinischen Daten - 95 Prozent Schutz gegen Erkrankung, keine schweren Nebenwirkungen - startete die Impfkampagne am 2. Dezember 2020 in Großbritannien. Inzwischen haben 27 Länder (wobei die EU als eines zählt) sowie die Weltgesundheitsorganisation das Mittel zugelassen. Zwei Milliarden Dosen sollen 2021 produziert werden. Da jede Person zwei Dosen bekommt, reicht das für ein Achtel der Menschheit. Größter Nachteil: Das Mittel muss auf minus 70 Grad gekühlt werden. Doch es kommen ja noch Alternativen hinzu.
Foto: FABIAN BIMMER / REUTERSDie US-Biotechfirma Moderna begann Mitte März 2020 als erste mit klinischen Studien. Auch diese konnten eine Wirksamkeit von gut 94 Prozent belegen. Weiterer Vorteil: Das Mittel ist bei deutlich weniger aufwendiger Kühlung haltbar. Und vor allem: Moderna-Chef Stéphane Bancel (48) hat die Operation "Warp Speed" mit logistischer Hilfe des US-Mililtärs im Rücken. Die Firma setzt wie Biontech auf die mRNA-Technologie. Nach den USA am 18. Dezember setzen auch Kanada, Israel, Großbritannien, die EU und die Schweiz das Vakzin ein.
Foto: Bill Sikes / AP PhotoAm 4. Januar kam - im Beisein von Premierminister Boris Johnson (56) - auch ein von der Universität Oxford und dem britischen Konzern Astrazeneca entwickelter Impfstoff in britischen Krankenhäusern zum Einsatz. Laut EU-Behörde EMA ist dieses Vakzin zu rund 60 Prozent wirksam, mit anderer Dosierung wurden aber auch mehr als 90 Prozent erreicht. Es handelt sich um einen Vektorimpfstoff - nicht ganz so revolutionär wie mRNA, diese Technik ist aber auch erst seit 2016 im kommerziellen Einsatz.
Die Uni Oxford hat Astrazeneca zu einem Non-Profit-Betrieb verpflichtet. Der Impfstoff ist mit rund zwei Euro pro Dosis deutlich günstiger als die mRNA-Mittel von Biontech und Moderna, mit Lagerung zu Kühlschranktemperaturen leichter zu handhaben - und vor allem steht eine Produktionskapazität von drei Milliarden Dosen bereit, ein Großteil davon in Indien für arme Länder. Doch der Hoffnungsträger sorgt immer wieder für Enttäuschungen, zuletzt setzten Dänemark und Norwegen die Impfungen sogar wegen eines Todesfalls aus. Deutschland hatte die knappen Dosen zunächst nur an die unter 65-Jährigen verimpft, am 4. März hat die Ständige Impfkommission das Vakzin aber auch für ältere Menschen empfohlen. Neue Studiendaten belegen zudem, dass das Mittel bei einem Abstand zwischen der Erst- und Zweitimpfung von zwölf Wochen noch wirksamer ist.
Foto: WPA Pool / Getty ImagesIn den USA hat der Impfstoff von Johnson & Johnson (J&J) bereits am 27. Februar eine Notfallzulassung erhalten. In der EU gab die zuständige Behörde dann am 11. März die Empfehlung zur Zulassung.
Im Vergleich zu Biontech/Pfizer sowie dem Impfstoff von Moderna und Astrazeneca bietet das Mittel den Vorteil, dass eine Dosis ausreichen soll statt zwei. Zudem muss das Präparat nicht tiefgefroren gelagert werden, was die Verteilung erleichtert. J&J hatte Ende Januar für das Mittel eine Wirksamkeit von 66 Prozent beim Schutz vor mittelschweren bis schweren Covid-19-Verläufen in seiner weltweiten Untersuchung mit rund 44.000 Teilnehmern gemeldet. Bei der Vorbeugung einer Krankenhauseinweisung war das Vakzin 14 Tage nach der Impfung zu 85 Prozent wirksam und zu 100 Prozent nach 28 Tagen.
Foto: © Sebastien Pirlet / Reuters/ REUTERSDem Astrazeneca-Produkt sehr ähnlich (Vektorimpfstoff) ist der Impfstoff "Sputnik-V" des staatlichen russischen Gamaleya-Instituts. Der ebenfalls auf Adenoviren - die herkömmliche Erkältungen auslösen - basierende Stoff wurde von Russland bereits im August zugelassen, ohne die Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Großstudien abzuwarten. Erst zwei Wochen später kam das Vakzin in Phase 3. Für dieses Vorgehen hagelte es Kritik, doch inzwischen trägt der Impfstoff mit einer Wirksamkeit von 92 Prozent das Siegel der Wissenschaft.
Inzwischen wird das Vakzin in 46 Ländern eingesetzt, Ende Januar wurde auch die EU-Zulassung beantragt, nachdem Gamaleya und Astrazeneca eine Kooperation für einen Superimpfstoff ankündigten und sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (66) für das russische Mittel einsetzte. Einige europäische Länder wollen aber nicht mehr auf die Zulassung warten: In Ungarn, der Slowakei und Tschechien ist Sputnik V bereits zugelassen oder es laufen nationale Zulassungsverfahren.
Foto: RDIF HANDOUT/EPA-EFE/ShutterstockIn China, wo das Coronavirus im Januar 2020 entdeckt wurde, sind mehrere Impfstoffe bereits seit dem Sommer 2020 im millionenfachen Einsatz an medizinischem Personal und Risikogruppen oder auch dem Militär. Die staatliche Firma Sinopharm hat zwei verschiedene Impfstoffe auf den Markt gebracht. Ein vom Pekinger Institut für Biologische Produkte entwickelter Totimpfstoff erhielt am 31. Dezember die erste Zulassung für die Allgemeinheit in China - nachdem in Studien eine Wirksamkeit von 79 Prozent gezeigt wurde. Beide Impfstoffe von Sinopharm werden in Phase-III-Studien getestet. Nach Angaben aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die das Mittel ebenso wie Bahrain und Ägypten ebenfalls freigaben, sind es gar 86 Prozent. In China selbst gibt es längst nicht mehr genügend Infizierte für die Kontrollgruppe.
Foto: Zhang Yuwei / dpaAus Indien kommt neben der massenhaften Auftragsproduktion für westliche Pharmariesen auch eine Eigenentwicklung: Die mit staatlichen Instituten kooperierende Biotechfirma Bharat aus dem "Genome Valley" von Hyderabad startete Ende Oktober in Phase 3, am 3. Januar erteilte die indische Regierung die Freigabe für den Noteinsatz. Ergebnisse der klinischen Studie wurden bis dato nicht veröffentlicht.
Foto: Stringer . / REUTERSZeitgleich mit Johnson & Johnson meldete auch die US-Firma Novavax Fortschritte, wiederum mit dem Nachteil, dass die südafrikanische Mutation offenbar die Impfung schwächt. In Großbritannien erreichte der Proteinimpfstoff aber 89 Prozent Wirksamkeit, die US-Studie startete wegen Produktionsproblemen trotz Milliardenförderung vom Staat erst Ende Dezember. Novavax hat mit derselben Technik bereits einen Impfstoff gegen Grippe entwickelt. Für die Covid-Impfung haben die Amerikaner früh mit dem Serum Institute of India einen Auftrag zur Massenproduktion von zwei Milliarden Dosen vereinbart. In den USA sei eine Notfallzulassung des Impfstoffs ab Mai möglich, sagte Novavax-Chef Stanley Erck.
Foto: ANDREW CABALLERO-REYNOLDS / AFPCurevac hat sich mit dem Bayer-Konzern für die Impfstoffproduktion zusammengeschlossen - ein Signal, dass die Biotechhoffnung aus Tübingen als Nachzügler doch noch Wucht entfalten könnte. Im Frühjahr 2020 galt Curevac als Vorreiter im Impfstoffrennen, zeitweise ging gar die Angst um, die USA würden die deutsche Biotechfirma kapern.
Es folgten ein Einstieg des Bundes und ein furioser Börsengang an der Nasdaq. Im Oktober 2020, für den Hauptaktionär Dietmar Hopp (80) anfangs schon ein fertiges Produkt verheißen hatte, wurden erst positive Zwischenergebnisse aus Tierversuchen verkündet. Erst im Dezember begannen die klinischen Großversuche der Phase 3 mit 35.000 Teilnehmern - Curevac glaubt aber, mit dem besseren Impfstoff gut im Rennen zu sein, wenn auch nicht mehr rechtzeitig für den nordamerikanischen Markt. Erst Mitte 2021 wird die Zulassung erwartet. Dafür wird mithilfe von Glaxosmithkline gleich die nächste Generation vorbereitet - mutantensicher.
Foto: Nasdaq MarketSite / dpaDer von Emma Walmsley (51) geführte weltgrößte Impfstoffhersteller Glaxosmithkline scheint etwas an der Seitenlinie zu stehen - zumal die spektakuläre Kooperation mit dem Branchenzweiten Sanofi im Dezember enttäuschende Ergebnisse brachte und mit einer neuen Phase 1/2-Studie von vorn beginnen muss. Beide Partner haben jedoch neue Aufgaben gefunden: Sanofi hilft bei der Produktion des Biontech-Mittels, Glaxosmithkline verbündet sich mit dem deutschen Hersteller Curevac. Zudem liefern die Briten ihren Wirkstoffverstärker für weitere Impfstoffprojekte, die bereits in Phase 3 sind: eines der chinesischen Firma Clover Biopharmaceuticals und eines der kanadischen Firma Medicago, die den neuen Impfstoff züchtet, indem sie Tabakpflanzen das Erbgut der Viren injiziert. In dieses Projekt hat passenderweise auch der Tabakkonzern Philip Morris investiert.
Foto: HANDOUT / AFP