
Folgen des Ukraine-Krieges China gegen den Westen - der neue ökonomische Großkonflikt


Außenministerin Baerbock, Chinas Chefdiplomat Wang Yi: Nicht wirklich beste Freunde
Foto: SVEN HOPPE / AFPWorte können Waffen sein. Gelegentlich kommen sie als Dolche daher, die in hübsch verzierten Etuis stecken: scharfe Klingen in harmlos wirkender Verpackung – Instrumente der Täuschung.
Was gesagt und was eigentlich gemeint ist, sind dann mitunter ganz verschiedene Dinge.
So liest sich das chinesische Zwölf-Punkte-Papier, vom Pekinger Außenministerium zum Jahrestag der russischen Ukraine-Invasion am Freitag vorgelegt, wie diplomatische Dichtkunst. Statt eines Friedensplans, wie im Vorfeld mal in Aussicht gestellt, handelt es sich um ein Dokument der Täuschung. Es steht in einer Reihe von Deklarationen, mit denen die chinesisch-russische Allianz versucht, die Weltöffentlichkeit zu verwirren. Und zwar mit ausgesprochen kurzbeinigen Realitätsverdrehungen.
So heißt es unter Punkt eins des neuen chinesischen Papiers : "Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss unbedingt aufrechterhalten werden", egal ob "klein oder groß, stark oder schwach, reich oder arm". Klingt wie eine Breitseite gegen Wladimir Putin. Nimmt man diesen Satz wortwörtlich, kann man ihn als Aufforderung lesen, unverzüglich sämtliche Truppen aus der Ukraine abzuziehen und von nun an die international anerkannten Staatsgrenzen zu achten. Aber: Dies schreibt eine Regierung, die selbst das kleine, demokratische Nachbarland Taiwan bedroht.
Was "Länder" im oben zitierten Satz bedeutet, ist demnach Auslegungssache: Wenn man einem Staat seine Unabhängigkeit und sein Recht auf Selbstbestimmung abspricht – so wie China dies im Fall Taiwan tut und Russland im Fall Ukraine –, dann braucht man sich auch nicht um dessen "territoriale Integrität" zu scheren. Worte als Waffe, Täuschung als Drohung.
Achtung! Dies ist Deutschlands größter Handelspartner. Waren für knapp 300 Milliarden Euro haben China und Deutschland 2022 ausgetauscht , meldete kürzlich das Statistische Bundesamt. Für deutsche Konzerne wie Volkswagen und Mercedes Benz ist China längst der wichtigste Markt. Diverse deutsche Konzerne sitzen in der China-Falle. Und Peking weiß das. (Achten Sie auf den chinesischen Volkskongress ab Sonntag.)
Gern präsentiert sich China als Garant des freien Handels. So geißelt das Peking-Papier unter Punkt 10 die Sanktionen des Westens gegen Russland. Man sei "gegen unilaterale Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat autorisiert sind". Abgesehen davon, dass Peking und Moskau als Vetomächte jede Entscheidung im Sicherheitsrat verhindern können, übersieht diese Forderung, dass China selbst in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Ländern mit Sanktionen überzogen hat, darunter Litauen, Australien, Japan und Kanada, weil sie Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren kritisiert oder die Unabhängigkeit Taiwans unterstützt haben. Dass Peking im Ukraine-Krieg eine "konstruktive Rolle" zu spielen gedenkt, klingt vor diesem Hintergrund reichlich hohl.
"Tausend Jahre Demokratie"?
Kurz bevor der vermeintliche Friedensplan herauskam, war übrigens Chinas oberster Außenpolitiker Wang Yi in Moskau . Nach dem Gespräch mit Kriegsherr Putin vermeldete Wangs Ministerium, die felsenfeste Partnerschaft beider Länder. Im Übrigen wolle man "mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen” – eine Tarnformulierung für weniger westlichen Einfluss. Außerdem: die "strategische Koordination stärken, die praktische Kooperation ausbauen und die legitimen Interessen beider Länder verteidigen". Wenige Tage später meldete der SPIEGEL, China sei offenbar bereit, Kamikaze-Drohnen für russische Angriffe in der Ukraine zu liefern – scharfe Klingen in harmlos wirkender Verpackung.
China und Russland bemühen das Vokabular des liberalen Westens und wenden es gegen ihn. Währenddessen laufen die west-östlichen Geschäfte weiter – solange es denn gutgeht.
Im Februar 2022, unmittelbar vor Kriegsbeginn, holte sich Putin Rückendeckung von Chinas Führer Xi Jinping. In ihrer "gemeinsamen Erklärung" wimmelt es von großen liberalen Begriffen, deren Bedeutung sie bis zur Unkenntlichkeit verdrehen. So beschwören Xi und Putin "Frieden, Entwicklung, Gleichheit, Recht, Demokratie und Freiheit" sowie eine "rechtsbasierte Weltordnung". Klingt alles vernünftig, vordergründig jedenfalls. Etwas weiter unten in der Erklärung vernachlässigen die beiden Herrscher jedoch streckenweise ihre sprachliche Tarnung. Natürlich handele es sich auch bei ihren Ländern um Demokratien, heißt es da, und zwar um solche "mit langer Tradition". Man habe schließlich "tausendjährige Erfahrung" damit, die "Bedürfnisse und Interessen der Bürger" zu erkennen und zu befriedigen.
Man muss nach solchen Sätzen erst mal durchatmen und sich schütteln, denn sie stammen von Regimen, die sich offenkundig in einer ungebrochenen Tradition sehen mit Figuren wie Iwan dem Schrecklichen, Mao Tse-tung und Josef Stalin – Gewaltherrschern, die Hunger und Krieg auch gegen die eigene Bevölkerung als legitime Mittel der Machtausübung erachteten.
"Mit Volldampf in die falsche Richtung"
Währenddessen in Deutschland. Dass man China nicht "dämonisieren" dürfe, ist zu einer Art Kehrvers bei der Rechtfertigung der engen Wirtschaftsbeziehungen geworden. Man versucht es mit business as usual. Olaf Scholz reiste kurz nach Xis Ernennung zum Dauerherrscher vorigen Herbst nach Peking. Konzerne wie BASF bauen unverdrossen ihr China-Geschäft aus. Die Direktinvestitionen stiegen voriges Jahr mit rekordverdächtigem Tempo. Der Handel legt weiter zu. Die Verflechtungen werden noch enger. Es gehe "mit Volldampf in die falsche Richtung", kritisiert das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) .
Eine Studie des Berliner China-Thinktanks Merics kommt zu der ernüchternden Einschätzung , dass China inzwischen weniger eine "wirtschaftliche Chance" für den Westen, denn ein "Sicherheitsrisiko" sei. Während Pekings Emissäre gern von Multilateralismus und Freihandel redeten, schütze China seine eigene Wirtschaft massiv und stelle sie in den Dienst des Staates. Die Globalisierung verändert damit fundamental ihren Charakter. Doch in den Geschäftsmodellen vieler Konzerne spiegelt sich das noch nicht wider.
So warnt denn auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor immer mehr Abhängigkeit. Strategieberater dienen Konzernen ihre Dienste an und fordern sie dazu auf, sich schleunigst auf ein "decoupling" zwischen China und dem Westen einzustellen: Rückzug aus China, Diversifizierung von Produktion, Beschaffung und Vermarktung – oder wahlweise die Bildung weitgehend autonom agierender Tochterfirmen. Deutsche Konzerne müssten dringend ihr China-Geschäft so aufstellen, "dass auch dessen Kollaps nicht das gesamte Unternehmen in Existenznot bringt", so IW-Forscher Jürgen Matthes.
Nach dem Russland-Debakel droht der China-Schock
Während viele Mittelständler sich aus China zurückziehen, weil ihnen die Lage zu heiß wird, sind Großunternehmen nach wie vor auf einem anderen Trip. Mercedes-Chef Ola Källenius gab kürzlich zu Protokoll: "Von China abzurücken, weil irgendetwas passieren könnte, wäre die falsche Richtung."
Martin Brudermüller, der BASF-Vorstandsvorsitzende, mahnte, Deutschland müsse "vom China-Bashing" wegkommen. Allianz-Boss Oliver Bäte meint : "Wir sollten gar nicht erst so tun, als ob wir uns von Ländern wie China als Partner verabschieden könnten."
Schon klar: Wenn die China-Falle zuschnappt, kann es rasch sehr teuer werden. Nach dem Ende der Russland-Deals und dem Energiedebakel droht der nächste Genickschlag – und wieder wäre es ein Schock mit Ansage.
Die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Abkopplung wären tragbar
Ich fürchte, wir laufen hier auf einen innerdeutschen und -europäischen Großkonflikt zu – Big Business gegen den Rest. Denn die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer vollständigen China-Abkopplung des Westens wären durchaus verkraftbar: Nach Berechnungen des ifo-Instituts würde das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Szenario um lediglich 0,76 Prozent niedriger ausfallen als bei der Fortsetzung des Status quo. Am stärksten betroffen wäre die Autoindustrie.
Einzelne Konzerne jedoch könnten bei einer Zuspitzung der Sicherheitslage große Teile ihres Auslandsgeschäfts verlieren und stünden womöglich vor der Pleite. Wir sollten uns darauf vorbereiten – und Instrumente der Täuschung als solche enttarnen.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der bevorstehenden Woche
Montag
Frankfurt – Auferstehungsstory – Nach Fast-Pleite und Teilverstaatlichung kehrt die Commerzbank in den "Leitindex" Dax zurück. Man feiert.
Barcelona – Funky – Beginn der Mobilfunk-Messe Mobile World Congress.
London – Winter of Discontet – Streik von Beschäftigten an britischen Hochschulen. Es geht um höhere Löhne im Brexit-Land.
Dienstag
Fulda – Inflationsausgleich – Zweite Runde der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der deutschen Kautschukindustrie.
Tokio – Rezession oder Aufschwung? – Japans Regierung legt vorläufige Daten zur Industrieproduktion im Januar vor.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von Bayer, Aixtron, HP, Adecco, Borussia Dortmund,
Mittwoch
Wiesbaden – Das wird teuer – Das Statistische Bundesamt legt eine erste Schätzung für die Inflationsrate im Februar vor.
Frankfurt – Nie wieder Gewinne? – Die Bundesbank legt ihren Geschäftsbericht vor. Durch die Anleihekäufe der vergangenen Jahre stehen nun angesichts von steigenden Zinsen Wertberichtigungen bei den Notenbanken bevor.
Peking – Fernöstliche Konjunktur – Neue Umfragedaten zur Stimmung bei Chinas Industriemanagern (Einkaufsmanagerindex, PMI).
Berichtssaison II – Geschäftszahlen von Beiersdorf, Puma, GLS Bank, Aston Martin, EDP, Telefonica Deutschland, Kuehne & Nagel, Swiss Life, Reckitt Benckiser.
München – Wo sind all die Euros hin? – Fortsetzung des Wirecard-Prozesses. Vernommen wird immer noch der frühere Vorstandschef Markus Braun.
Delhi – Unsichere Weltlage – G20-Außenminister-Treffen in Indien. Es gibt viel zu besprechen: Ukraine-Krieg, Nahrungsmittelknappheit, Klimawandel…
London – Winter of Discontent II – Britische Pflegekräfte beginnen einen 48-Stunden-Streik. Die Gewerkschaften fordern eine Lohnerhöhung um 10,1 Prozent.
Stockholm – Panzerfragen – Informelles Treffen der EU-Verteidigungsminister. Eine Frage wird sein, wer Deutschland und Portugal bei der Lieferung von Panzern folgt.
Donnerstag
Luxemburg – Datum für Lagarde – Die EU-Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht eine erste Schätzung für die Inflation im Euroraum.
Berichtssaison III – Geschäftszahlen von Merck KGaA, Sixt, Kion, Hapag-Lloyd, GFT, ProSiebenSat.1, Dell, Anheuser-Busch InBev, Clariant, Vallourec, Veolia Environnement, BAE Systems.
Freitag
Washington – Test the West – US-Präsident Biden empfängt Bundeskanzler Scholz im Weißen Haus.
Wiesbaden/Frankfurt – Deutsche Konjunktur – Das Statistische Bundesamt legt neue Zahlen zu den deutschen Exporten im Januar vor. Der Maschinenbauverband VDMA veröffentlicht Daten zu den Auftragseingängen im Maschinenbau.
Berichtssaison IV – Geschäftszahlen von Lufthansa.
Sonntag
Peking – Die Inszenierung von Demokratie – Auftakt zur Jahrestagung des chinesischen Volkskongresses. Der Premier legt das Wachstumsziel sowie den Haushaltsentwurf vor.