Chinas Bosse - Teil 3 Der undurchsichtige Herr Chen von der HNA

Kein "einfaches" Leben: HNA-Chef Chen Feng, der so rätselhaft und undurchsichtig wirkt wie die HNA-Gruppe selbst, beschreibt sein Kaufverhalten, als stünde er auf dem Wochenmarkt: "Du siehst so viel frisches Gemüse, du probierst und kaufst dieses und jenes."
Foto: Jason Lee/ REUTERSDie 38-stöckige Hauptverwaltung der HNA Group hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem ruhenden Buddha. Kein Zufall: Hausherr Chen Feng, der Gründer der Gruppe, ist Buddhist. "Ich führe ein einfaches Leben", sagte er vor ein paar Jahren der South China Morning Post, "ich trinke nicht, rauche nicht, gehe nicht zu Banketten, zum Karaoke oder Massagen."
Entweder ist seine Definition von einfachem Leben etwas anders, als gemeinhin so angenommen wird, oder es hat bei ihm in den vergangenen Jahren ein Sinneswandel stattgefunden.
Er fliegt mit einem Privatjet der Marke Gulfstream 550 durch die Gegend. Die Gruppe hat auch eine Boeing 787 Dreamliner, die für 100 Millionen Dollar mit viel Liebe zu teuren Details umgebaut wurde: Baderäume aus Marmor, Besteck von Hermes, Leuchter von Baccarat. Sie wird auf Dienstreisen benutzt, aber auch an reiches Klientel vermietet.
Ach ja, eine ganze Etage (die 86.) im luxuriösen One57 Tower (Spitzname: The Billionaire Building) in New York mit freiem Blick auf den Central Park gehört auch noch zu den Räumlichkeiten, in denen Chen Feng sein einfaches Leben genießt.
Ende Juni 2017 feierte er in Paris seinen 64. Geburtstag im Petit Palais. Sie delektierten sich an Lobster und kandierter Ente, zubereitet von Spitzenkoch Joël Robuchon. Dazu gab es Vorstellungen der Peking Oper. Ein paar Wochen später wurde wieder jubiliert, diesmal in London. Grund: HNA war auf Platz 170 unter den Forbes 500 geklettert. Zum Abendempfang im Hampton Court Palace kamen die ehemaligen Regierungschefs David Cameron und Nicolas Sarkozy.
Es war für Chen Feng (1953) ein weiter Weg ins westliche Establishment. Er ist in Beijing als Sohn eines Parteifunktionärs aufgewachsen. Zu Zeiten der Kulturrevolution diente er in der Volksbefreiungsarmee in der Luftwaffe. Nachdem der maoistische Spuk vorbei war, arbeitete er erstmals in der Luftverkehrsbehörde. Während dieser Zeit, Mitte der 80er Jahre, bekam er auch ein Stipendium im Lufthansa-Schulungszentrum in Seeheim. Es folgten ein paar Bürokratenjobs auf der chinesischen Tropeninsel Hainan.
Dort wollte die Provinzregierung eine eigene Fluglinie aufbauen. Man wollte die Insel, die auf der Höhe des nördlichen Vietnams liegt, als Touristenziel aufbauen. Eine kluge Idee, denn Hainan hat schöne Strände und die dazu passenden Temperaturen. Eine eigene Airline könnte - so das sinnvolle Kalkül - hilfreich sein. Leider setzte die Regierung das Projekt in den Sand, rief aber noch rechtzeitig Chen Feng um Hilfe.
Er gründete 1993 Hainan Airlines, startete mit einer Boeing 737. 1995 schon flog die junge Airline in die ersten Turbulenzen. Liquiditätskrise. Die lokale Regierung wollte nichts zuschießen, erlaubte aber Chen, dass er nach ausländischen Geldgebern suchen dürfe. 1995 flog er nach New York, trieb sich drei Monate an der Wall Street herum, bis er schließlich bei George Soros vorsprach und diesen überzeugen konnte, 25 Millionen Dollar in die Airline zu investieren. Das war der Durchbruch. Mit einem solch renommierten Investor im Rücken konnte er weitere Investoren gewinnen (Soros stieg übrigens 2011 mit einem guten Schnitt wieder aus).
Heute ist Hainan Airlines eine respektierte, mit vielen Preisen überhäufte Airline. Sie ist die einzige private Fluglinie Chinas, die mit den drei großen staatlichen Carriern mithalten kann. (Sie fliegt übrigens direkt Berlin-Beijing.) So weit - so gut. Eine respektable Erfolgsstory eines Highflyers.
Auch die nächsten Schritte des Unternehmens waren nachvollziehbar. Der Kauf von Caterern (Gategroup), Duty-free-Shops (Dufry), Flughäfen (unter anderen Frankfurt-Hahn und Rio de Janeiro) und Hotels (Hilton, Radisson) ließ sich noch unter dem Thema Tourismus fassen. Auch die Ein-Milliarden-Dollar-Übernahme der Logistikgruppe CWT in Singapur hat ja noch etwas mit dem Stammgeschäft einer Airline zu tun.
Aber dann wurde es unverständlich. Fragen über Fragen gilt es zu stellen ...
IT, Banken, Immoblien, Flughäfen - warum das alles?
Warum die Übernahme des amerikanischen IT-Konzerns Ingram Micro für 6 Milliarden Dollar? Warum der Kauf des Gebäudes 245 Park Avenue für 2,2 Milliarden Dollar, eine der höchsten Summen, die je für einen Wolkenkratzer in New York bezahlt wurde? Warum das sündhaft teure Überbieten bei den Grundstückskäufen auf dem Gelände des alten Hongkonger Flughafens Kai Tak? Warum erwarben sie eine 25-Prozent-Beteiligung an Old Mutual Asset Management für 445 Millionen Dollar?
Und - in Deutschland heiß diskutiert - warum der scheibchenweise Einstieg bei der Deutschen Bank? Erst 3, dann 4,8 und schließlich 9,92 Prozent. Man blieb wohl bewusst unter der 10-Prozent-Marke, denn jenseits dieser Grenze hat die Aufsichtsbehörde Bafin das Recht, den Einsteiger etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Bafin-Chef Felix Hufeld urteilt hier ziemlich blauäugig: "Wir halten das grundsätzlich für eine positive Geschichte." Es gebe keine schwarze Liste für bestimmte Investoren, auch nicht für solche aus China.
Lesen Sie auch: HNA gefährdet das Finanzsystem - warnt der Finanzier von HNA
Aber immerhin prüft die Europäische Zentralbank, ob sie HNA einem sogenannten Inhaberkontrollverfahren unterziehen soll. Mittlerweile ist selbst dem Topmanagement der neue Großaktionär HNA ziemlich suspekt. Deutsche-Bank-Chef John Cryan weigerte sich bislang, CEO Tan Xiangdong (Adam Tan) zu treffen.
Solange die Investments im Bereich der Luftfahrt und der Touristik blieben, konnte man die Strategie ja noch nachvollziehen. Das ergab ja alles Sinn. HNA war auf dem Weg zu einem globalen Touristik- und Logistikkonzern. Aber was soll das Engagement bei der Deutschen Bank? Hat das HNA-Topmanagement eine Strategie?
Unternehmensberater Edward Tse sagt: "Wenn es bei HNA eine Strategie gibt, dann die, möglichst viel im Ausland zu kaufen.
Kaufverhalten wie auf dem Wochenmarkt
"CEO Tan Xiangdong, der einen amerikanischen MBA besitzt, hat eine einfache Erklärung: "Wir bewegen Leute - das ist unser Luftfahrt- und Tourismusgeschäft. Dann bewegen wir Waren, das ist unser Logistikgeschäft. Und als Nächstes bewegen wir Kapital, deshalb der Einstieg in den Finanzbereich."
Chen selber vergleicht sein Kaufverhalten mit dem auf einem Wochenmarkt: "Du siehst so viel frisches Gemüse, du probierst und kaufst dieses und jenes." Eine neue Theorie? Management by Wet Market?
Offenbar wird einfach nur Umsatz gekauft. Harvard-Professor William Kirby, der Chen seit Jahren kennt, sagt: "Dies ist ein unglaublich ambitiöses Unternehmen. Chens Ziel ist es, 2025 zu den Top-Ten-Unternehmen der Welt zu gehören." Über 30 Milliarden Dollar gab HNA in den vergangenen Jahren für Übernahmen und Beteiligungen aus. Da muss die Frage erlaubt sein: Woher kommt das viele Geld? Ein erfahrener ausländischer Banker sagte gegenüber der Financial Times: "Wir verstehen nicht, woher das Geld kommt." Die größten Kreditgeber sind wieder mal die zwei großen staatlichen Entwicklungsbanken China Development Bank und Exim-Bank. Aber auch die China Construction Bank ist dabei. Laut New York Times haben Chinas Staatsbanken dem Unternehmen 60 Milliarden Dollar geliehen.
Der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet, dass sich HNA auch auf dem Markt der Schattenbanken mit Krediten eingedeckt habe. Das ist an sich nicht illegal, aber für ein Unternehmen dieser Größenordnung ist es ungewöhnlich, sich dort zu bedienen.
Inzwischen sind viele Banken vorsichtig: Goldman Sachs stieg aus einem IPO-Projekt für HNA aus. Die Bank of America entschied, keine Geschäfte mit HNA zu machen. Auch chinesische Banken werden zurückhaltender. Drei von ihnen gaben an, an HNA keine weiteren Kredite zu geben. Eine vierte reduzierte ihre Kreditlinie.
Der Rückzug der Banken hatte auch mit der zunehmenden Kritik an dem undurchsichtigen Gebilde HNA zu tun. Bis heute ist eigentlich unklar, wer genau die Eigner sind. Das Konglomerat besteht aus einem Geflecht von vielen Unternehmen. The Beijing News berichtet von 454 Töchtern in der ganzen Welt. The New York Times hat nach einer umfangreichen Recherche etwas Klarheit geschaffen: Nicht weniger als 18 börsennotierte Gesellschaften sind unter dem Dach der HNA Group versammelt. Aber: "Zu verstehen, wie diese Firmen zusammenarbeiten und wer diese HNA Group kontrolliert, ist eine Herausforderung", schreibt die Zeitung.
Ende Juli 2017 lüftete HNA selbst das Geheimnis: 47,5 Prozent der Gruppe werde von einer Gruppe von zwölf Spitzenmanagern, einschließlich des Gründers Chen Feng und Wang Jian - kontrolliert, 52 Prozent von zwei Stiftungen - eine in China, die andere in New York - namens Cihang. 29,5 Prozent von Hainan Cihang Charity Foundation (New York), 22,75 Prozent von Hainan Province Cihang Foundation (China).
Seit Ende 2017 leitet der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler die New Yorker Dependance dieser Stiftung. Ist er nur ein Strohmann? Denn: Wer hinter diesen Stiftungen steckt, ist weiterhin unklar.