Raus oder nicht? Die Frage über den Verbleib Großbritanniens in der EU entzweit die Menschen in der zuletzt zweitstärkste Volkswirtschaft.
Foto: Getty ImagesDer Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht neben drohenden unmittelbaren Folgen wie schwächerem Wachstum und weniger Handel auch die Gefahr, dass andere Länder später ebenfalls aus der Union ausscheren könnten. "Großbritannien könnte der erste Dominostein sein", sagte der DIW-Chef.
Ähnliche Referenden in Euro-Staaten wie Italien und Frankreich würden aus seiner Sicht eine noch gefährlichere Unsicherheit bringen als ein Abschied des Vereinigten Königreichs, das nicht zu den Mitgliedern der Eurozone zählt. Gefährliche Ansteckungseffekte zwischen der zuletzt zweitgrößten Volkswirtschaft Europas und den übrigen EU-Ländern schließt der Ökonom nicht aus. "Dann hat man wieder einen Mechanismus, der letztlich Europa und auch Deutschland wieder in die Rezession führen kann, so wie in der globalen Finanzkrise 2008 und 2009."
Der DIW-Chef verwies auf Studien, nach denen die britische Wirtschaft in den nächsten 15 Jahren um drei bis vier Prozent schrumpfen würde. Aber: "Meine größte Sorge gilt der Nachhaltigkeit des Euro. Andere Länder könnten fragen: Wollen wir eigentlich auch in der EU bleiben?"
In den mächtigen Zentralbanken steigt die Unruhe mit Blick auf die britische Abstimmung am 23. Juni. Nachdem sich schon der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, für einen Verbleib Londons in der EU ausgesprochen hatte, betonte Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau in der "Welt am Sonntag": "Falls es unglücklicherweise zu einem Brexit kommen sollte, wird dies kurzfristig für Instabilität auf den Finanzmärkten sorgen."
Später stelle sich die grundsätzliche Frage, wie Finanzgeschäfte im Binnenmarkt überhaupt weiter abliefen. Auch über die Eurozone hinaus sind der innereuropäische Handel und Kapitalverkehr eng vernetzt.
Ifo-Chef Clemens Fuest rechnet in Deutschland mit einem Wachstumsverlust im Fall eines britischen EU-Austritts. Langfristig könnte das Bruttoinlandsprodukts in Deutschland um bis zu 3 Prozent sinken, sagte der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung der "Rheinischen Post" (Montag).
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Schäden für die Konjunktur des gesamten Kontinents befürchtet auch der Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach. "In Großbritannien leben 13 Prozent der Einwohner von Europa, und Großbritannien macht 17 Prozent der Wirtschaftskraft aus", sagte er. "Ein Ausstieg wird nicht leicht zu verkraften sein." Und Vorbilder für ein solches Szenario gebe es bisher nicht.
Die in Großbritannien stark vertretene deutsche Autobranche hofft, dass der Brexit-Fall nicht eintritt. "Sollten auf beiden Seiten des Ärmelkanals wieder Zollschranken hochgezogen werden, würde diese Erfolgsstory sicherlich einen empfindlichen Dämpfer erhalten", sagte Verbandschef Matthias Wissmann dem Magazin "Börse Online". Der Präsident der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, stellte im "Tagesspiegel" (Montag) Risiken für die Banken und die Londoner City heraus: "Die größten Institute bekämen die größten Probleme."
Einige Dax -Konzerne rüsten sich für den Flurschaden, den ein Brexit anrichten könnte. "Extreme Positionen gewinnen in vielen Ländern an Bedeutung", meinte Henkel-Chef Hans van Bylen in der "Rheinischen Post". "Das ist kein gutes Umfeld für die Stabilität in der Gesellschaft und Wirtschaftswachstum."
In Hannover warnte der Finanzvorstand des Autozulieferers Continental die Briten davor, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. "Wir würden eine Fortsetzung der EU-Mitgliedschaft begrüßen, da ein Austritt die EU und auch Großbritannien schwächen würde", sagte Wolfgang Schäfer.
David Cameron ist als Premierminister nicht nur Gesicht des Landes, sondern auch der Regierungskampagne gegen den Brexit. Die hat nicht nur inhaltlichen Ärger. "Es ist falsch, in Zeiten der Sparpolitik neun Millionen Pfund an Steuergeldern für einseitige Propaganda zu vergeuden", sagte Justizminister Michael Gove am Donnerstag. Gove ist einer von 4 Ministern, die für einen EU-Austritt Großbritanniens stimmen wollen.
George Osborne : Er muss der EU die Stange halten, weil der Finanzminister seinen Premier David Cameron im Amt halten will. Deswegen tüncht er das Bild der Folgen eines Brexits in düsteren Farben. Der Entschluss würde das Land ärmer zurücklassen, die Wirtschaft würde bis 2030 um 6 Prozent sinken. Jeden Haushalt würde das das Äquivalent von 4.300 Pfund kosten, heißt es zum Beispiel im "Guardian".
Nigel Farage dürfte der bekannteste Gegner Osbornes sein. Er sieht das Inselreich am liebsten außerhalb der Europäischen Union. Zu Osbornes Grimm nicht nur er. Denn der Ausgang des Referendums wird knapp erwartet. Farages Partei UKIP hat entsprechend Ende 2015 eine Kampagne gestartet, um die Waagschale zu ihren Gunsten zu senken. Für Farage offensichtlich eine Art Notwehr. Er wisse, dass die Ja-Kampagne sehr aktiv sei. In den vergangenen Monaten hätte man Richard Branson, Tony Blair und Peter Mandelson gesehen, grollte er. Farage, Kampagnenmann und Politiker.
Es ist übrigens nicht die einzige Nein-Kampagne. Zwei weitere durchpflügen das Land. Die eine nennt sich Business for Britain, die andere The Know.eu.
Business for Britain ist eine überparteiliche Vereinigung, die Großbritannien von der EU losreißen will. Von Geschäftsleuten für Geschäftsleute, wäre das Inselreich der beste Ort der Welt, um Geschäfte zu machen. Heißt es auf der Homepage der Kampagne. An deren Spitze steht übrigens John Longworth. Er war lange in führenden Positionen bei der Supermarktkette Asda beschäftigt.
Etwas bunter geht es bei The Know.eu zu, inzwischen Leave.eu genannt. Zum Beispiel mit einer Karikatur von EZB-Chef Mario Draghi als fliegendem Händler von Armbanduhren. Ein Brexit würde das Leben teurer machen? Nonsens! Jeder Haushalt habe 1000 Pfund mehr zum Ausgeben, so die Kampagne. Pro Jahr. Immerhin würden zum Beispiel die Kosten für Regulierungen sinken. An der Spitze der Bewegung steht Liz Bilney . Beruf? Geschäftsfrau. Und auf jeden Fall Gesicht der Kampagne.
Boris Johnson ist in aller Regel eine Art lautstarker Kampagne für sich selbst. Und der blonde Bürgermeister von London ist Gegner der EU-Mitgliedschaft seines Landes. Übrigens eine bizarre Konstellation, denn die Finanzindustrie, die zum Großteil ihren Sitz in London hat, ist in der Mehrheit gegen den Brexit. Weil Finanzprodukte nun einmal grenzüberschreitend verkauft werden und neue Grenzen den Verkaufsprozess erschweren würden. Das wäre auf jeden Fall disruptif, sagt David Kneale von Mirabaud Asset Management. Wie es ausgehen wird, weiß er auch nicht.
Deutlicher für den Verbleib werden andere. Eine Umfrage des Fondshauses Fidelity ergibt zum Beispiel, dass zwei Drittel der britischen und europäischen Entscheider glauben, ein Brexit habe negativen Folgen für ihr Geschäft. Nur 2 Prozent erklärten, der Schritt würde ihrem Geschäft helfen.
Aber längst nicht alle in der Finanzindustrie sind Anhänger der EU. Helena Morrissey (Mitte) sieht in Norwegen ein Modell, wie es Großbritannien außerhalb der EU wohlergehen könne. Morrissey ist CEO des Finanzhauses Newton Investment Management.
Aber auch abseits der Finanzindustrie spricht sich eine ganze Reihe prominenter Wirtschaftskapitäne deutlich und vehement für den Brit-In aus, den Verbleib des Landes in der EU. Michael O'Leary zum Beispiel, wortgewaltiger Ire und Vorstand von Ryan Air. Keine Frage, für eine Fluglinie ist ein offenerer Himmel über Europa essentiell. Je offener, umso besser.
Wie öffentlichkeitswirksam O'Leary auftreten kann, zeigt dieses Bild im Robin-Gewand. Wo indes Batman ist und warum er ihm das Lenkrad überlassen hat, ist noch offen. Gleichviel, in einer Kampagne muss O'Leary sich nicht organisieren, er wird auch so gehört.
Pro-EU ist auch Alan Joyce , gleichfalls ein Ire aus der Luftfahrtbranche. Er plädiert für einen Verbleib, weil ihn als Vorstand der Quantas Airway die gleichen Sorgen umtreiben wie O`Leary.
Raoul Ruparel ist Berater von Downing Street Nr. 10 und Co-Director des Instituts Open Europe - und als solcher der Pro-EU-Einstellung verpflichtet. Man könne natürlich bilaterale Abkommen schließen. Aber so ganz einfach ist das offenbar nicht. Die Schweiz habe neulich ein Freihandelsabkommen mit China geschlossen, berichtet er. China steht der Schweizer Markt nun offen, während die Zölle auf Schweizer Uhren in Kraft bleiben. Ein Kampagnenmann ist Ruparel nicht, eher ein bedeutender Einflüsterer.
Arron Banks ist ein Geschäftsmann, der die Leave.EU-Kampagne finanziert. Er ist Gründer der Brightside Group, eines Versicherungsmaklers mit rasanten Zuwachszahlen. Der Mann also hinter einer der Kampagnen.
Bleibt noch Barack Obama : Der US-Präsident, was hat er mit der britischen Entscheidung über einen Brexit zu schaffen? So einiges, denn er will ein starkes Europa, wie er erst wieder in Hannover betonte. Und ohne die Briten wäre die Europäische Union, der Kern Europas, nun einmal nicht so stark.
David Cameron ist als Premierminister nicht nur Gesicht des Landes, sondern auch der Regierungskampagne gegen den Brexit. Die hat nicht nur inhaltlichen Ärger. "Es ist falsch, in Zeiten der Sparpolitik neun Millionen Pfund an Steuergeldern für einseitige Propaganda zu vergeuden", sagte Justizminister Michael Gove am Donnerstag. Gove ist einer von 4 Ministern, die für einen EU-Austritt Großbritanniens stimmen wollen.
Foto: Stefan Rousseau/ APGeorge Osborne : Er muss der EU die Stange halten, weil der Finanzminister seinen Premier David Cameron im Amt halten will. Deswegen tüncht er das Bild der Folgen eines Brexits in düsteren Farben. Der Entschluss würde das Land ärmer zurücklassen, die Wirtschaft würde bis 2030 um 6 Prozent sinken. Jeden Haushalt würde das das Äquivalent von 4.300 Pfund kosten, heißt es zum Beispiel im "Guardian".
Foto: JOEL GOODMAN/ AFPBusiness for Britain ist eine überparteiliche Vereinigung, die Großbritannien von der EU losreißen will. Von Geschäftsleuten für Geschäftsleute, wäre das Inselreich der beste Ort der Welt, um Geschäfte zu machen. Heißt es auf der Homepage der Kampagne. An deren Spitze steht übrigens John Longworth. Er war lange in führenden Positionen bei der Supermarktkette Asda beschäftigt.
Foto: PHILIPPE WOJAZER/ REUTERSDeutlicher für den Verbleib werden andere. Eine Umfrage des Fondshauses Fidelity ergibt zum Beispiel, dass zwei Drittel der britischen und europäischen Entscheider glauben, ein Brexit habe negativen Folgen für ihr Geschäft. Nur 2 Prozent erklärten, der Schritt würde ihrem Geschäft helfen.
Foto: © Eddie Keogh / Reuters/ REUTERS