Henrik Müller

Finanzcrash und Inflation Das Ende der Banken, wie wir sie kennen

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Die Wiederkehr der Finanzkrise stellt grundsätzliche Fragen an die Funktionsweise des Geldwesens. Braucht es eine grundlegende Kehrtwende in der Finanzwirtschaft?
Wie soll es weitergehen? Fed-Chef Jerome Powell steht vor einer der schwierigsten Entscheidungen seiner Karriere

Wie soll es weitergehen? Fed-Chef Jerome Powell steht vor einer der schwierigsten Entscheidungen seiner Karriere

Foto: JONATHAN ERNST / REUTERS

Eigentlich wollte die US-Notenbank Federal Reserve kommenden Mittwoch abermals die Zinsen anheben. Die Inflationsdynamik hält sich hartnäckig auf hohem Niveau, Arbeitskräfte sind knapp, die Löhne sind zuletzt wieder kräftiger gestiegen. Seit einem Jahr versucht die Fed, die Preissteigerungen durch ein entschlossenes Bremsmanöver wieder in den Griff zu bekommen. Die Arbeit sei längst nicht getan, sagte Notenbankchef Jerome Powell (70) kürzlich vor dem US-Parlament . Weitere Zinserhöhungen stünden bevor. Die Inflation müsse wieder auf 2 Prozent herunter, "der Weg dahin wird lang sein, und er wird vermutlich holprig werden."

Das kann man wohl sagen. Wenige Tage nach Powells Auftritt brach die kalifornische Silicon Valley Bank (SVB) zusammen und löste ein Beben an den Finanzmärkten aus, das auch europäische Banken erfasste, insbesondere die schweizerische Credit Suisse.

Seither ist unklar, ob und wie schnell die Fed weiter die Zinsen nach oben schleusen kann, ob sie die Inflation auf absehbare Zeit auf ihren Zielwert drücken kann – oder ob sie letztlich zur Geisel eines aus den Fugen geratenen Finanzsystem wird, das sie selbst mitkreiert hat.

Knicken die Notenbanken vor der Macht des Finanzsektors ein?

Die Spekulanten reagierten jedenfalls postwendend: Kurz nach Powells Rede hatten sie noch darauf gewettet, dass die Leitzinsen im Sommer einen Höchststand von 5,5 Prozent erreichen und dann nur ganz langsam sinken würden. Nach dem Bankencrash haben sie ihre Erwartungen drastisch nach unten korrigiert. Nun gehen sie ab Sommer von sinkenden Zinssätzen aus – unterhalb des derzeitigen Satzes von rund 4,5 Prozent. Genügt das, um die Inflation zu bremsen?

Währenddessen sind auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB) die Alarmlampen angegangen. Angesichts all der Dinge, die auf dem holprigen Weg zur Preisstabilität noch schiefgehen können, müsse man auf Sicht fahren, sagte Präsidentin Christine Lagarde (67) nach der Ratssitzung vorigen Donnerstag . Das EZB-Führungsgremium hob den Leitzins nochmal um 0,5 Prozentpunkte an, allerdings mit einigen Gegenstimmen. Wie es weitergeht, muss sich erweisen.

Weitere Zinserhöhungen? Fraglich. Fed-Chef Powell hatte vor dem Kongress noch den Eindruck erweckt, man könne bei der Sitzung des Gouverneursrats kommenden Mittwoch den Leitzins um einen halben Prozentpunkt anheben. Inzwischen gehen die Erwartungen in Richtung eines Viertel Prozentpunkts. Aber selbst das ist offen. Knicken die Notenbanken vor der Macht des Finanzsektors ein?

Zinsen in den 70ern zu früh wieder gesenkt

Bis vorige Woche hatten sich die Notenbanken in Washington, Frankfurt, London (achten Sie auf die Entscheidungen der Bank of England kommenden Donnerstag) und anderswo darum bemüht, keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, dass es ihnen mit der Inflationsbekämpfung wirklich ernst ist. Immer wieder beschworen sie die Erfahrungen der 70er und frühen 80er Jahre und versprachen, daraus gelernt zu haben.

Damals hatte die Fed die Inflation erst nach mehreren missglückten Anläufen unter Kontrolle bekommen, weil sie immer wieder zu früh den Fuß von der Bremse genommen hatte. Erst drastische Zinserhöhungen auf mehr als 20 Prozent, vom damaligen Notenbankchef Paul Volcker durchgeboxt, konnten letztlich die inflationäre Eigendynamik brechen. Der Preis war allerdings hoch: eine Rezession und jahrelang grassierende Arbeitslosigkeit. Soweit sollte es diesmal nicht kommen. Lieber gleich entschieden die Zinsen anheben, um erst gar keine Zweifel an der Entschlossenheit der Notenbanken aufkeimen zu lassen.

Heute sind die Schulden deutlich höher

Doch es gibt einen gewichtigen Unterschied zu damals: Um 1980 waren die Schulden niedrig. Die amerikanischen Bundesverbindlichkeiten betrugen gerade mal ein Drittel der US-Wirtschaftsleistung. Heute hingegen liegt der Vergleichswert bei 124 Prozent, so das Washingtoner Finanzministerium . Europa hat in weiten Teilen eine ähnlich schuldengetriebene Entwicklung hinter sich.

Paul Volckers Fed konnte die Zinsen brutal anheben, ohne große Verspannungen im Finanzsektor auszulösen. Es gab keinen Gegensatz zwischen Geldwertstabilität und Finanzstabilität. Das ist heute ganz anders. Ein mit hochbewerteten Schuldenpapieren vollgesogenes Finanzsystem gerät leichter aus dem Gleichgewicht. Weil bei steigenden Zinsen die Bewertungen ausstehender Anleihen sinken, müssen Banken und andere Besitzer dieser Papiere gigantische Abschreibungen vornehmen – entweder unmittelbar, weil die Bilanzierungsregeln ihnen das vorschreiben, oder spätestens dann, wenn sie diese Papiere verkaufen müssen, bevor sie fällig werden, wie das bei der Silicon Valley Bank der Fall war.

Auch wenn EZB-Chefin Lagarde bei ihrer Pressekonferenz in der abgelaufenen Woche immer wieder betonte, es geben keinen "Trade-off" zwischen Geldwert- und Finanzstabilität, vielmehr handele es sich um zwei unterschiedliche Ziele, die jeweils mit speziellen Instrumenten erreicht werden sollten, so sprechen Fachleute wie der deutsch-amerikanische Ökonom Markus Brunnermeier (53), Professor in Princeton, längst von "finanzieller Dominanz". Die private Wirtschaft, vor allem die Kapitalmärkte, hätten sich an die Dauerversorgung mit immer weiter steigender Liquidität gewöhnt. "In einem solchen Umfeld kann die Straffung der Geldpolitik schwere Schäden im Finanzsektor anrichten und die Wirtschaft noch anfälliger machen auch für kleine Störungen", so Brunnermeier .

Verheerende Kollateralschäden

Seit Volckers Zeiten haben die großen Notenbanken, allen voran die Fed, die Zinsen immer weiter nach unten gedrückt, zunächst mit Leitzinssenkungen, dann durch Wertpapierkäufe, sodass auch die langfristigen Zinsen immer weiter fielen. Spiegelbildlich dazu stiegen die Bewertungen von Anleihen, Aktien, Immobilien und anderen Vermögenswerten in lichte Höhen.

In den USA begann diese Strategie der mengenmäßigen Lockerung ("Quantitative Easing") nach der Finanzkrise von 2008. In der Eurozone startete erst 2015 ein systematisches Aufkaufprogramm, also vor ziemlich genau acht Jahren. Damals versuchte ich an dieser Stelle, die Folgen dieser Maßnahmen abzuschätzen und wagte folgende Schlussfolgerung: "Die Anleiheblase wird immer größer – muss immer größer werden. Sobald sich ein Ausstieg der EZB aus dem Aufkaufprogramm ankündigt, droht die Blase zu platzen. Mit verheerenden Kollateralschäden.” Wir erleben derzeit, was diese Entwicklung bedeutet.

Aus den Aufkaufprogrammen wieder auszusteigen, erwies sich in der Tat als schwierig. Als im Frühjahr 2020 dann auch noch die Corona-Krise die Welt und die Wirtschaft erschütterte, öffneten die Notenbanken abermals die Geldschleusen. Seit Anfang 2020 hat die Fed ihren Bestand an staatlichen Anleihen mehr als verdoppelt, auf zuletzt knapp sechs Billionen Dollar . Auch die EZB und andere Notenbanken blähten ihre Bilanzen weiter auf.

Angesichts der übergroßen Unsicherheit, die die Gesellschaften in Zeiten der Pandemie in Atem hielt, war das nicht falsch. Doch die erwähnten Kollateralschäden sind nun umso größer: Die hartnäckige Inflation drängt die Notenbanken, der Wirtschaft Geld zu entziehen. Doch indem sie das Notwendige tun, bringen sie jene Blasen zum Platzen, die sie selbst aufgepumpt haben – mit entsprechend negativen Rückwirkungen auf die Stabilität von Banken und Finanzmärkten.

"Endspiel" für die Weltwirtschaft?

Claudio Borio, der Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, sprach bereits im Herbst von einem bevorstehenden "Endgame" . Das inflationäre Umfeld beende eine 40 Jahre währende Phase der sinkenden Zinsen, zunehmenden Verschuldung und steigenden Assetpreise. Die Folge sein eine epochale Kehrtwende, hin zu einem Hardcore-Szenario aus schwachem Wachstum und wackligen Finanzmärkten.

Halten wir das aus – als Gesellschaften, Demokratien, Marktwirtschaften? Nationen, die zwischen Inflation und Finanzcrash taumeln, sind zu erratischen Kurswechseln fähig. Inflation frisst die Demokratie auf.

Instabile Finanzsysteme höhlen das Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen aus. Dazu kommt: Schwäche kann sich der Westen gerade überhaupt nicht leisten. Die Systemauseinandersetzung mit der national-autoritären Russland-China-Achse spitzt sich zu (achten Sie auf den Russland-Besuch Xi Jinpings ab Montag). Wenn man die Weiterungen bevorstehender Krisen mitbedenkt, ist die Neuordnung des Geld- und Finanzwesens auch eine Frage der Selbstbehauptung des Westens. Wie also kann, wie sollte es weitergehen?

Verstaatlichung der Geldschöpfung

Infolge der letzten Finanzkrise erschien 2012 beim IWF ein Arbeitspapier, das einen radikalen Vorschlag aufgriff . Die Staaten sollten zu einem "Vollgeld"-System ("sovereign money") übergehen. Banken und Schattenbanken dürften dann nur noch so viele Kredite vergeben, wie sie Bargeld und Zentralbankguthaben besitzen. Heute kreieren sie jedes Mal Geld, wenn sie einem Kunden ein Guthaben auf seinem Konto zur Verfügung stellen, dem sie zuvor einen Kredit gewährt haben. Im Vollgeldsystem wäre es damit vorbei. Der Staat würde die Kontrolle über das Geldwesen erlangen, der private Finanzsektor gnadenlos geschrumpft. Der Widerspruch zwischen Geldwert- und Finanzstabilität würde aufgelöst.

Ein solches System stand schon einmal ernsthaft zur Debatte, Mitte der 30er Jahre als Reaktion auf die Finanzkrise von 1929 und die folgende Depression. Bekannt wurde das Konzept als "Chicago Plan". Selbst erzliberale Ökonomen wie Milton Friedman konnten sich dafür erwärmen. Eingeführt wurde das Vollgeldsystem nie.

Immerhin zeigt die Idee einen Weg auf, der in eine Ära der stabilen Finanzverhältnisse führen könnte. Es wäre zweifellos lang und holprig. Aber womöglich wäre es die Anstrengung wert.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der bevorstehenden Woche

Montag

Moskau – Achse der Autokraten – Chinas Xi zu Gast beim Kriegsherrn im Kreml, ein demonstrativer Schulterschluss in Zeiten des Krieges.

Dienstag

Hamburg/Kiel – Ärzte im Ausstand – Die Medizinervereinigung Marburger Bund ruft zum Warnstreik in Hamburg und Schleswig-Holstein auf. Es geht darum, im Tarifkonflikt mit den kommunalen Arbeitgebern Entschlossenheit zu demonstrieren.
Berichtssaison I – Geschäftszahlen von RWE, Pfeiffer Vacuum, Kingfisher, Nike.

Mittwoch

Washington – Hawks and Doves and Jay – Die US-Notenbank Fed entscheidet über den weiteren Kurs der Geldpolitik. Chairman Jay Powell und die übrigen Mitglieder des Gouverneursrats stehen vor schwierigen Abwägungen.

Frankfurt – Was nun? – Jährliche Konferenz "The ECB and its Watchers". Zur Eröffnung spricht EZB-Präsidentin Christine Lagarde.

München – Verdammt, wo sind die Gelder hin? – Fortsetzung des Prozesses gegen den früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun.

Donnerstag

Brüssel – Europas Machtzentrum – EU-Gipfel: Der Europäische Rat, das höchste Gremium der Europäischen Union, trifft sich turnusmäßig und berät unter anderem über die Ukraine, die Wettbewerbsfähig, die Energiemärkte und die weitere Integration des Binnenmarkts.

London – Inflation und Abwertung – Die Bank of England tagt und entscheidet über die weitere Geldpolitik.

Washington – Tanz der Bytes Tiktok-Chef Shou Zi Chew soll vor dem Ausschuss für Energie und Handel des Repräsentantenhauses aussagen.

Freitag

LuxemburgDie Laune der Wirtschaft – Neue Zahlen zur Stimmung der Einkaufsmanager von Unternehmen.

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