Argentinien als Vorbild Wie ein Grexit Griechenland retten kann

Von Arvid Kaiser
Große Probleme, aber kein Weltuntergang: Straßenszene im Finanzdistrikt von Buenos Aires

Große Probleme, aber kein Weltuntergang: Straßenszene im Finanzdistrikt von Buenos Aires

Foto: MARCOS BRINDICCI/ Reuters

Argentinien macht selten positive Schlagzeilen in der Weltpresse. Wenn das südamerikanische Land auf sich aufmerksam macht, dann mal mit Skandalen um den Umgang der politischen Führung mit Justizbehörden, mal mit dem schier endlosen Gerangel um Altschulden des Staates, die auch schon deutsche Gerichte beschäftigten. Und dann steckt Argentinien auch noch in einer Rezession - mal wieder, wie es scheint; Argentinien, der ewige Krisenfall.

Weniger beachtet wird, dass zwischen der aktuellen (milden) Rezession und der vorangegangenen (schweren) Krise ganze zwölf Jahre liegen, in denen die argentinische Wirtschaft zumeist regelrecht boomte. Diese Erfahrung könnte bald für Griechenland interessant werden, wenn die festgefahrenen Verhandlungen mit den Euro-Partnern tatsächlich scheitern und nur noch ein Grexit, ein Ausstieg aus dem Euro, bleibt.

Auch Argentinien musste eine untragbare Währungsunion aufgeben

Ein ähnliches Ereignis markierte zum Jahreswechsel 2001/2002 - ein Jahr nach Griechenlands Euro-Beitritt - den Wendepunkt für Argentinien: Das Land musste die Eins-zu-eins-Bindung seiner Währung Peso an den US-Dollar, eine ähnlich untragbare Währungsunion, aufgeben. Unmittelbar zuvor ließ es mit der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit auch den Großteil seiner Altschulden und die harten Sparauflagen des IWF, der weitere Zahlungen verweigerte, hinter sich.

Was folgte, war zwar zunächst Chaos: Der Peso wertete binnen Kürze um drei Viertel ab, Argentinier verloren einen Großteil ihrer Ersparnisse, teils notwendige Importe bis hin zu Medikamenten wurden schlagartig unbezahlbar, auf den Straßen herrschte Unruhe - das ist das Schreckgespenst, das die Kreditgeber den Griechen für den Grexit-Fall vorhalten.

Doch gemessen an den vorangegangenen drei Krisenjahren, in denen die argentinische Wirtschaft ähnlich abstürzte wie die griechische es bereits hinter sich hat, war der Schmerz nach dem Dollar-Exit nur kurz.

Nach nur einem Quartal ging es wieder aufwärts

"Die Realwirtschaft begann nach nur einem Quartal wieder zu wachsen, obwohl der Finanzsektor noch in Unruhe war", erklärt der Ökonom Mark Weisbrot vom Washingtoner Center for Economic and Policy Research. Argentinienkenner Weisbrot wirbt seit Jahren dafür, Griechenland und andere Euro-Krisenstaaten sollten sich an den Südamerikanern ein Beispiel nehmen: Die unkonventionelle Politik, wenn auch aus der Not geboren, habe sich als Erfolg erwiesen.

Schon Ende 2002 habe die Zentralbank wieder am Devisenmarkt interveniert - damit der Peso nicht zu stark werde. Dennoch habe die durch den Wechselkurs verbesserte Wettbewerbsfähigkeit höchstens für das erste halbe Jahr des Aufschwungs eine Rolle gespielt. Argentiniens Wachstumsraten von durchschnittlich 7 Prozent in den Jahren 2003 bis 2011 seien kaum mit dem Export von Soja und Rindfleisch im globalen Rohstoffboom zu erklären. Zentral sei die Erholung der - vom Welthandel relativ isolierten - Binnenwirtschaft mit Konsum und Investitionen.

Für den Aufschwung habe Argentinien zwar zweistellige Inflationsraten in Kauf genommen, dafür aber Massenarmut und Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen. "Im Nachhinein die richtige Entscheidung", findet Weisbrot.

Damals waren die Durchschnittseinkommen der Argentinier laut IWF-Daten weniger als halb so hoch wie die der Griechen, heute erreichen sie 87 Prozent des griechischen Niveaus. Die Wirtschaft müsste also nochmals gewaltig abstürzen, um das Erreichte wieder zunichte zu machen.

Selbst Varoufakis sieht die Vorteile einer massiven Abwertung

Auch andere Ökonomen wie Paul Krugman oder Nouriel Roubini zitierten den harten Schuldenschnitt Argentiniens als mögliches Beispiel für Griechenland, ebenso wie die etwas weichere Abwertung Islands in Verbindung mit der Streichung von Schulden des Finanzsektors.

Bislang scheint die griechische Regierung noch entschlossen, um fast jeden Preis am in der Bevölkerung immer noch beliebten Euro festzuhalten. Finanzminister Giannis Varoufakis ging bereits vor Jahren, damals noch als Ökonom ohne politisches Mandat, auf die Debatte ein.

"Argentinien liefert tatsächlich ein brilliantes Beispiel, wie eine massive Abwertung einem Land helfen kann, dem Zyklus einer Schuldendeflation zu entkommen", schrieb Varoufakis damals in seinem Blog . Nur, leider, leider, sei das Beispiel nicht auf Griechenland anzuwenden.

Der Hauptunterschied liege darin, dass Griechenland keine eigene Währung zum Abwerten habe, sondern eine neue erst einmal aus dem Nichts erschaffen müsste. Die Frage ist nur, wie lange der Einwand noch gilt, wenn Griechenland innerhalb der Währungsunion zahlungsunfähig wird.

Dann wäre der Schaden für das Finanzsystem schon da, ohne die von Argentinien gewonnene Freiheit einer eigenen Wirtschaftspolitik. Schon kursieren mehrere Vorschläge für Parallelwährungen, um das Wirtschaftsleben aufrecht zu erhalten. Solche "Patacónes" gab es 2001 in Argentinien auch - damals der Einstieg in den Ausstieg aus der Peso-Dollar-Union.

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