Hilfe für Griechenland - aber ohne Hilfspaket Wie man den griechischen Bürgern statt den Banken hilft

Von Christian Scholz
Griechisches Drama:

Griechisches Drama:

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An diesem Mittwoch wird im Bundestag über das dritte "Hilfspaket" für Griechenland abgestimmt. Hierbei geht es eigentlich nicht um die Frage, ob wir dem vielzitierten griechischen Durchschnittsbürger helfen wollen - darüber sind wir uns zum Glück weitgehend einig. Es sollte um die Art der Hilfe gehen.

Und genau darüber wird nicht gesprochen. Es gibt allenfalls die populistisch-simple Frage "Grexit: Ja oder Nein?". Jeder, der hier zögert, ist sofort ein Unmensch, der griechische Kinder verhungern lässt. Und nachdem inzwischen selbst Wolfgang Schäuble in den Fanclub von Alexis Tsipras eingetreten ist und das "Hilfspaket" positiv bewertet, sollte man das Thema ruhen gelassen und die Rechnung stillschweigend dem deutschen Steuerzahler in die Tasche stecken.

Anders als England, Finnland und der Internationale Währungsfonds hat Deutschland offenbar keine andere Wahl als die ganze Situation schön zu reden: Zunächst spielte Alexis Tsipras geschickt mit dem an anderer Stelle ausführlich gewürdigten Counter-Strike-Experten Yanis Varoufakis auf "Konfrontation". Jetzt läuft ergebnisidentisch die brave "Kooperation". Auch hier hat der griechische Ministerpräsident ein geniales Beraterteam, darunter angeblich Glenn Kim als ehemaliger Geschäftsführer der Pleite-Bank Lehman Brothers für das symbolisch niedrige Monatshonorar von 125.000 Euro.

Christian Scholz
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Christian Scholz ist Experte für Personalwirtschaft und war bis 2018 Professor an der Universität des Saarlandes . Sein Schwerpunkt ist die Erforschung der Arbeitswelt, 2003 entstand die Trendstudie "Spieler ohne Stammplatzgarantie", 2014 das Nachfolgebuch zur Generation Z . Der Titel seines aktuellen Buches lautet "Mogelpackung Work-Life-Blending: Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen¿.

An dieser Stelle bietet es sich für einen Ökonomen an, auf die Zahlen zu schauen: Nach optimistischer Schätzung belaufen sich die drei Hilfspakete auf mindestens 400 Milliarden Euro. Bei einem deutschen Anteil von unterstellten 25 Prozent trägt rechnerisch davon jeder der rund 81 Millionen Einwohner Deutschlands über 1.000 Euro.

Bei rund 11 Millionen Griechen würden die 400 Milliarden Euro eigentlich für jeden Griechen einen Anteil von über 35.000 Euro bedeuten, die aber bei kaum einem dort angekommen sind. Bereits jetzt wird klar, dass unsere Hilfsgelder allenfalls im politischen System, bei einigen reichen Griechen sowie bei Banken landen, definitiv aber nicht bei den 11 Millionen Griechen, die dringend Unterstützung brauchen.

Das neue "Hilfspaket" folgt dem gleichen Prinzip: Die Schulden werden weiter steigen, nicht aber die Wirtschaftskraft, weil das Geld nicht dort ankommt, wo es gebraucht wird. Stattdessen werden diejenigen, die von den bisherigen Hilfspaketen prächtig profitiert haben, erneut prächtig profitieren.

Wenn noch die deutsche Fraport AG im Zuge der von Deutschland forcierten Privatisierung die profitabelsten griechischen Flughäfen übernehmen sollte, darf man nicht vergessen, dass Fraport mehrheitlich der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen gehört. Hier kann man wohl nicht von "Privatisierung" sprechen, sondern allenfalls von einer schizophrenen zwischenstaatlichen Vermögensübertragung.

Die ökonomische Logik einer echten Hilfe für Griechenland

Die aktuelle Diskussion wird primär von Politikern und Banken geführt. Das war schon bei der Lehman-Pleite so und sorgte dafür, dass Spekulationsverluste der Banken beim Steuerzahler landeten. Auch damals kamen die Berater der Politik aus Banken und Versicherungen. Genau das passierte auch jetzt wieder: Europäische Bankenmanager erhielten erst ihre Bonuszahlungen für Geschäfte mit Griechenland und danach dafür, dass sie diese Posten aus ihrem Portfolio in den öffentlichen Sektor verschieben konnten.

Hinzu kommt die Dominanz einer eher volkswirtschaftlichen Denkrichtung, bei der es um vermutete Zusammenhänge zwischen Geldmengen und Wirtschaftsleistungen geht. Zudem gibt es die eher buchhalterische Milchmädchenrechnung, in der man lediglich Ziele für Steuereinnahmen erhöht und Ziele für Ausgaben reduziert. Alles das wird nichts ändern. Denn letztlich sind es weder die Banken noch die Verwaltungen und erst Recht nicht die Politiker, die irgendwelche "Werte" schaffen: Es sind die Unternehmen mit ihren Arbeitnehmern. Um sie muss es gehen.

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Daraus leiten sich fünf Forderungen ab, die (abgesehen von der abzulehnenden Privatisierung) zusätzlich zu den aktuell beschlossenen und nur begrenzt wirkungsvollen Maßnahmen erfüllt werden sollten, damit Griechenland zumindest einige Milliarden bekommt.

  • Erstens Arbeitsmarktflexibilisierung: Griechenland braucht einen Arbeitsmarkt, bei dem Arbeit bezahlbar und flexibel ist. Zurzeit sind Löhne und Preise in Griechenland zu hoch. Sie müssen passend zur Produktivität sinken und können dann auch gezahlt werden. Das sollte dann auch zum Einstieg in ein modernes Personalmanagement führen. Die betriebswirtschaftlich plausible Logik, die nichts mit Neoliberalismus zu tun hat, kann eigentlich nur einleuchten: Ein etwas niedrig bezahlter Job ist besser als kein Job, vor allem bei der aktuell geringen griechischen Arbeitslosenunterstützung. Nur ist eine derartige Veränderung mit der aktuellen Regierung in Griechenland nicht durchsetzbar und deshalb erst für "in einigen Jahren mittelfristig" angedacht.
  • Zweitens Liquiditätshilfe: Banken sollten Geld bekommen, aber nur um den Zahlungsverkehr auf einem Minimalniveau abzuwickeln. Wie die Banken ihre Schulden lösen, ist zunächst einmal ihr eigenes Problem. Zu diesem Druck auf Banken wird es allerdings nicht kommen, denn es ist zu befürchten, dass Experten wie der Berater von Lehman Brothers für ihre Klientel vor allem mit Privatisierungserlösen andere Ziele verfolgen. Banken sollten sich vielmehr als Wirtschaftsantreiber verstehen und Unternehmen sowie Gründern Kapital zur Verfügung stellen.
  • Drittens Steuerverwaltung: Wie hoch diverse Steuersätze sind, ist völlig egal, wenn die Steuern sowieso nicht eingezogen werden. Für einen Teil der geplanten Hilfsgelder sollten deshalb Steuerfachleute aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland geschickt und mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet werden. Nur wird das mit der griechischen Oberschicht nicht durchsetzbar sein, wenngleich erstaunlicherweise ein ähnliches Modell mit österreichischen Experten für das Justizwesen in Griechenland angedacht ist.
  • Viertens humanitäre Hilfe: Hier wäre es vernünftig, wenn der Deutsche Bundestag und die EU dafür sorgen, dass unser Steuergeld nicht den Banken und der Regierung zufließt. Es sollte direkt bei denen landen, die es dringend brauchen. Dazu gehört auch, dass man bei der humanitären Hilfe möglichst auf griechische Produzenten und Dienstleister zurückgreift. Nur leider wird man bei den 400 Milliarden, die bisher zu "Hilfspaketen" geschnürt wurden, für humanitäre Hilfe keine Geld mehr haben - glücklicherweise aber zumindest etwas für die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge aus Afrika.
  • Fünftens Direktinvestitionen: Deutsche Hilfsgelder sollen nicht verwendet werden, um irgendwelche Kredite bei irgendwelchen Institutionen zurückzuzahlen. Sie sollten dazu dienen, gemeinschaftlich Industrie, Handel und Dienstleistung in Griechenland aufzubauen. Denkbar wären sogar gemeinsame europäische Universitäten in Griechenland. Nur ist so etwas für Politiker leider nicht spektakulär genug und entspricht zudem nicht der Interessenlage der aktuellen Lobbygruppen.

Geld allein reicht nicht. Wir brauchen den oben beschriebenen strukturellen Wandel zur "sozialen Marktwirtschaft": Mehr Markt, weniger Regierung, mehr soziale Absicherung, weniger Kapitalismus.

Christian Scholz ist Mitglied der MeinungsMachervon manager-magazin.de.

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