Nach der Zinssenkung Die EZB kann nur scheitern

Die EZB hat die Druckgeschwindigkeit ihrer Notenpressen erhöht. Die einen begrüßen die Geldflut als Doping für die Wirtschaft, die anderen befürchten eine Enteignung der Sparer. Beide Lager sind in einem Irrtum gefangen: Dass Geldpolitik noch etwas bewirkt.
Neubau der EZB in Frankfurt: Die Gefahr einer Deflation ist realistisch - in einem Umfeld massiver Überschuldung wirkt die Geldpolitik der EZB nicht mehr

Neubau der EZB in Frankfurt: Die Gefahr einer Deflation ist realistisch - in einem Umfeld massiver Überschuldung wirkt die Geldpolitik der EZB nicht mehr

Foto: Boris Roessler/ dpa

Jetzt hat sie es also endlich getan, die EZB. Seit Monaten drängen Experten der Banken und internationalen Institutionen wie der IWF die Europäische Zentralbank dazu, doch endlich mitzumachen im globalen Wettlauf in der Druckgeschwindigkeit der Geldruckmaschinen. Als könnte man mit etwas mehr Geld alle Probleme lösen. Schmerzfrei und über Nacht.

Und die Reaktionen auf diese Entscheidung sind wie erwartet: Die angelsächsischen Medien begrüßen den Entscheid und bemängeln zugleich, die EZB sei zu spät und zu zaghaft. Die deutschen Medien sprechen von der Enteignung der Sparer und Wittern den Einstieg in die ungebremste Inflationierung.

Beide haben dabei Recht und Unrecht zugleich.

Und beide sind gefangen in einem Gedankenmodell der Volkswirtschaftslehre, welches in die heutige Welt einfach nicht mehr passt. Beide glauben daran, dass Geldpolitik etwas bewirkt. Nämlich entweder, dass die Wirtschaft wieder auf Trab kommt (Angelsachsen) oder aber es zu einer raschen Geldentwertung kommt (Deutsche), wobei letzteres die Angelsachsen durchaus nicht stören würde. Und hier irren beide Lager.

In einem Umfeld der massiven Überschuldung wirkt Geldpolitik nicht mehr. Die Gefahr einer Deflation ist deshalb realistisch und nicht mit den Instrumenten der EZB alleine abzuwenden. Ursache ist die hohe Schuldenlast mit der wir es zu tun haben. Der Blick auf die Fakten ist ernüchternd. Allen vermeintlichen Sparbemühungen zum trotz ist die Schuldenlast in der westlichen Welt seit Beginn der Krise weiter gewachsen.

Nicht nur die Staaten haben in enormen Umfang weiter Schulden gemacht, sondern auch die privaten Haushalte und Unternehmen. Lediglich den USA ist es gelungen, den Schuldenstand auf hohem Niveau zu stabilisieren und in Deutschland gibt es einen geringfügigen Rückgang der Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt seit 2010.

Schulden wirken deflationär - und die Deflation versärkt die Krise

Gegenüber dem Jahr 2008 verzeichnet aber auch Deutschland einen Anstieg der Verschuldung von Staat, Haushalten und Unternehmen relativ zum BIP. In den Krisenländern Europas sind die Schulden weiterhin deutlich schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung: Irland hat 84 Prozent mehr Schulden relativ zum BIP als 2008, Portugal 69 Prozent, Griechenland 55 Prozent Spanien 40 Prozent, Frankreich 34 Prozent und Italien 27 Prozent. Selbst die vermeintlich soliden Holländer haben 24 Prozent mehr Schulden.

Doch Schulden können nicht dauerhaft schneller wachsen als das Einkommen und vor allem wirken sie deflationär. Zum einen können jene, die schon hohe Schulden haben, immer weniger neue Schulden machen, um Zusatznachfrage zu generieren. Zum anderen dient ein immer größerer Anteil der neuen Schulden nur noch dazu, die alten Schulden zu "bedienen" - man leiht sich das Geld, um die Zinsen auf die bestehenden Schulden zu zahlen.

Sobald man anfängt, wirklich zu sparen, sinkt die Wachstumsrate der Wirtschaft zusätzlich, was man an Italien beobachten kann.

Ein Heraussparen geht nicht und verstärkt nur den ohnehin vorhandenen deflationären Druck. Dabei wirkt die Deflation krisenverstärkend , weil sie die reale Schuldenlast steigert. Im heutigen Umfeld ist genau dies die Gefahr.

Wie anderweitig diskutiert, haben wir es mit geringem fundamentalen Wachstum (schrumpfende Erwerbsbevölkerung und Produktivität! ) zu tun. Bei hohen Schulden führt Deflation direkt in die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.

Wächst die Deflationsgefahr in Europa?

Die Mahner vor Deflation wie auch jene, die die Warnung für unbegründet halten, denken, es wäre in der Hand der Wirtschaftspolitik, namentlich der Zentralbanken, eine Deflation zu verhindern. Alle glauben dem ehemaligen Fed-Chef Ben Bernanke , der schon 2003 in einer Rede betont hat, dass die Notenbank nur genug Geld drucken muss, um eine Deflation zu verhindern.

Doch stimmt das wirklich?

Seit fünf Jahren bekämpfen die Notenbanken der westlichen Welt die Finanz- und Wirtschaftskrise. Alle haben ihre Bilanzen massiv ausgeweitet, nur bei der EZB ist sie seit einigen Monaten rückläufig und sie versucht nun gegenüber den anderen Notenbanken aufzuholen. Nicht zuletzt in der Hoffnung, den Euro zu schwächen. Nun wird behauptet, dass gerade in Europa wegen dieser rückläufigen EZB-Bilanz die Gefahr einer Deflation wächst.

Doch ist dies der Grund?

Auch in den USA, wo die Fed fast ungebremst weiter expandiert, ist die Inflation immer geringer geworden. In der Schweiz ist von Inflation keine Spur, in Japan gibt es zwar erste Anzeichen aber deutlich unter dem eigentlich angestrebten 2 Prozent-Ziel. Nur in England scheint das mit der Inflation zu klappen.

England: Das Kreditvolumen an die reale Wirtscahft wächst wieder

Schaut man genauer hin, wird klar, dass nur in England das Kreditvolumen an die Realwirtschaft wieder wächst. Damit ist auch die Hauptvoraussetzung für Inflation klar: wachsende Kredite. Ohne diese ist Inflation nicht möglich.

Wenn nun aber alle sparen, also versuchen bestehende Schulden abzutragen, ist Deflation das Thema, nicht Inflation. Dann fließt das "frische Geld" der Notenbanken eben nicht in die Realwirtschaft sondern in die Finanzmärkte wo es die Vermögenspreise treibt . Kein Wunder, dass der Dax gestern die 10.000-Punkte-Hürde geknackt hat. Auch eine Art der Inflation, aber eben nicht von der Sorte die den Schuldnern hilft.

Billiges Geld hilft nur dann, wenn die potentiellen Schuldner noch über beleihbares Eigentum  verfügen und diese auch bereit sind, dieses Eigentum zu beleihen, weil sie attraktive Investitionsmöglichkeiten sehen. In einem Umfeld der Rezession sehen Unternehmen dies nicht und private Haushalte werden sich ebenfalls mit Schulden zurückhalten, wenn Arbeitslosigkeit droht und die Preissteigerung gering ist.

Kein Grund zur Eile. Einige Beobachter gehen gar so weit zu sagen, dass die tiefen Zinsen als solche deflationär wirken, signalisieren sie doch Investoren geringe zu erwartende Renditen und zwingen Sparer mehr zu sparen, um für ihr Alter vorzusorgen.

Geordnete Restrukturierung der Schulden

Was die EZB macht ist somit irrelevant für die Realwirtschaft. Die Geldpolitik wirkt nicht im Umfeld der Überschuldung. Alles was sie erreichen kann, sind weitere Blasen in einzelnen Vermögenswerten, deren Platzen die Wirtschaft in erneute Krisen und damit noch größere Deflationsgefahr stürzt. Damit würde die Geldpolitik das befördern, was sie eigentlich zu verhindern trachtet.

Folgt man dieser Argumentation wird klar, dass die Notenbanken alleine eben eine Deflation nicht verhindern können. Es fehlt der Schuldner, der bereit ist mehr Schulden zu machen und damit die Nachfrage anzuheizen. Der Ruf nach aggressiver Geldpolitik mag erhört werden. Aber er alleine wird keine Deflation verhindern und schon gar nicht den Berg an faulen Schulden aus der Welt schaffen.

Wer Inflation möchte, muss zusätzlich nach aggressiver Neuverschuldung rufen. Und diese kann nur vom Staat kommen. Nur dieser kann sich ohne Rücksicht auf die eigentlichen Schuldner seiner Schulden - die Steuerzahler - in weitere Schulden stürzen. Dann direkt finanziert von den Notenbanken.

Die Folgen wären klar: Über Zeit kommt es zu einer Inflation. Und angesichts der derzeit tiefen Umlaufgeschwindigkeit - ein Euro/Dollar wird viel weniger pro Jahr eingesetzt als im historischen Durchschnitt - ergibt sich ein deutliches Inflationspotential. Dann wäre in der Tat Weimar nicht weit.

Was wirkt, ist die Zerrüttung des Geldwesens durch ungehemmten Staatskonsum auf Notenbankkredit. Wer das versteht und sieht, kann nur für geordnete Schuldenrestrukturierung sein.

Wer hingegen alleine auf die Geldpolitik setzt, wird feststellen müssen, dass diese nicht greift, sondern in letzter Konsequenz die deflationären Tendenzen eher fördert als bekämpft. Dies wird sich allerdings erst nach einigen Jahren der Enttäuschungen und Stagnation zeigen, in denen die Wirtschaft nicht richtig auf die Beine kommt, die Arbeitslosigkeit hoch bleibt und die Schulden weiter steigen.

Und wenn jetzt der eine oder andere Leser meint, uns in Deutschland muss das angesichts der guten Wirtschaftslage doch nicht kümmern, sei erinnert: Unsere Wirtschaft profitiert enorm von den Stabilisierungsbemühungen anderer Staaten und den Vermögenspreisblasen die international angefacht werden. Beides wird nicht ewig andauern.

Diesen Text veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Daniel Stelter, beyond the obvious .

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