
Detroit Kommunale Finanzkrisen bedrohen Amerikas Demokratie
Detroit/USA - Es ist eine letzte, scheinbare Entscheidungsfrist: Seit der Übernahme der Stadtfinanzen von Detroit durch den Gouverneur von Michigan sind vier Tage vergangen, die ehemalige Autometropole hat jetzt noch genau eine Woche Zeit, gegen die Ausrufung des Finanznotstands Einspruch zu erheben. Lehnt Detroits schwarzer Bürgermeister Dave Bing die drakonische Maßnahme von Gouverneur Rick Snyder ab, dann wird ein dreiköpfiges Gremium - komplett ernannt vom Gouverneur - die endgültige Entscheidung treffen, ob ein Schulden-Sheriff nach Detroit entsandt wird.
Der Einmarsch des Schulden-Sheriffs wäre die letzte Instanz vor der Bankrotterklärung Detoits. Und die Finanzdaten der Stadt sind tatsächlich erschütternd: Detroit droht ein Defizit im kommunalen Budget von 327 Millionen Dollar. Die Stadt sitzt auf langfristigen Verbindlichkeiten von 14 Milliarden Dollar. Die Aussichten für Detoit sind unter Regie des Finanz-Sheriffs allerdings ähnlich erschütternd:
Der fiskalische Feuerwehrmann genießt auf Zeit Vollmachten wie ein Insolvenzrichter. Er kann Tarifverträge einseitig kündigen, Stadtvermögen veräußern und teure Verträge mit Lieferanten der Stadt eigenhändig aufheben. Die lokalen Volksvertreter haben erst nach 18 Monaten das Recht, ihn zu ersetzen. Was für ein Niedergang einer einst stolzen Stadt.
Detroit war einst die viertgrößte Stadt der USA und Hochburg der größten Industrie des Landes. Doch seit den 70er Jahren hat sich die Zahl der Einwohner auf 700.000 halbiert. Das Durchschnittseinkommen der privaten Haushalte liegt offiziell nur noch bei 27.862 Dollar, verglichen mit einem Schnitt von 48.669 für den Bundesstaat Michigan.
Satte 36 Prozent der Menschen in der Stadt gelten als arm. Auch das ist zwei Mal so hoch wie im Bundesstaat. Die Zahl der Morde - im Verhältnis zur Bevölkerungszahl - ist elf Mal so hoch wie in New York. Die Arbeitslosenrate liegt bei 18 Prozent. Im Schnitt der USA sind es 7,9 Prozent.
Bitteres Fazit: Fallende Immobilienpreise, ein gravierender Schwund der Bevölkerung sowie eskalierende Pensions- und Zinsverpflichtungen drohen die Stadt jetzt endgültig zu strangulieren. Nach Jahren des Niedergangs.
Es geht um mehr als Geld
Detroits öffentliche Schulen stehen bereits seit 2008 unter fiskalischer Zwangsverwaltung. 40 Prozent der Beleuchtung von Straßen und öffentlichen Plätzen sind ausgefallen. Die Feuerwehren sind von Sparmaßnahmen und Entlassungen derart ausgezehrt, dass verschiedene Standorte im Wechsel temporär geschlossen werden. Mit 47 Prozent hat fast die Hälfte der 305.000 Hausbesitzer der Stadt im vergangenen Jahr keine Steuern auf ihre Immobilien gezahlt. Damit gingen Detroit knapp eine Viertelmilliarde Dollar Einnahmen verloren.
Folglich gibt es kaum jemanden, der Gouverneur Rick Snyder widerspricht, wenn dieser nun fordert, "Detroit kann nicht mehr warten, wir müssen die Probleme sofort lösen, weil die Bürger der Stadt nicht die Dienstleistungen bekommen, die sie brauchen."
Selbst Bürgermeister Bing musste in einem Statement am Wochenende eingestehen, dass "die Berufung eines Finanzmanagers die Stadt fiskalisch stabilisieren und die Bemühungen für eine Restrukturierung fördern würde." Auch der Vorsitzende der Detroit Regional Chamber of Commerce, Sandy Baruah, stimmt ein: "Unser Motto war immer: Bewegt etwas, und diese Maßnahme stellt eine positive Botschaft dar, dass die Stadt ihre Probleme in Angriff nimmt."
Warnsignal für die ganze USA
Selbst im Michigan Chronicle, einer medialen Stimme der Schwarzen am Ort, wird eingeräumt: "Ja, die Stadtfinanzen sind ziemlich aus dem Ruder gelaufen, der Bürgermeister und der Stadtrat haben uns nicht weiter gebracht, es ist schwer, auch nur eine einzige große Initiative ausfindig zu machen, die den Bürgern wirklich geholfen hat."
Doch es geht nicht allein um das Geld der Steuerzahler im Hinterland der USA.
Was vordergründig wie eine Provinzposse um verwüstete Stadtfinanzen aussieht, birgt reichlich Zündstoff für das ganze Land. Denn Detroit ist die sechste Stadt in Michigan, der eine finanzielle Zwangsverwaltung durch den Bundesstaat droht.
Weil 83 Prozent der Bevölkerung von Detroit Schwarze sind, würde bei der Berufung eines Finanzabwicklers die Hälfte der Afroamerikaner in Michigan nicht mehr von demokratisch gewählten Repräsentanten regiert, sondern von ernannten Finanz-Sheriffs.
Die Schuldenkrise in den Rathäusern entwickelt sich damit zu einem Problem für die Demokratie insgesamt. "Wie kann es sein, dass ein einziger Politiker alle lokal gewählten Volksvertreter aushebelt, das ist mehr oder weniger eine Diktatur und widerspricht allem, worauf Amerika aufgebaut ist", kritisiert Wendell Anthony. Er ist der lokale Repräsentant der National Association for the Advancement of Colored People, die älteste und größte Bürgerrechts-Organisation der USA.
Droht Austerität die Demokratie auszuhöhlen?
Bei der lokalen Niederlassung der Rainbow-Push-Koalition, die der Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson anführt, drückt man sich noch deutlicher aus: "Diese Entwicklung wird zu den wachsenden Spannungen in Michigan beitragen. Wir werden sehen, ob die Austerität die Demokratie aushöhlen kann", warnt der Repräsentant der Organisation in Detroit, Alexander Bullock.
Und der farbige Abgeordnete John Conyers, der seit 1965 in Washington den 13. Wahlbezirk von Michigan vertritt, fragt irritiert: "Wie kommt es eigentlich, dass alle Kommunen, die von einem Finanz-Sheriff verwaltet werden, eine Afroamerikanische Mehrheit haben? Ist das jemandem aufgefallen?"
Die Konfrontation zwischen dem Gouverneur und der Autostadt hat noch eine zweite brisante Qualität, die nichts mit ethnischen Gruppen zu tun hat. Es geht um das aus Washington bekannte Parteiengezänk über einen Abbau der Schulden: Zwischen Republikanern, die drastischere Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben verlangen, und Barack Obamas Demokraten, die weitere Einschnitte im Haushalt von steigenden Steuereinnahmen aus den Taschen besser verdienender Amerikaner begleitet sehen wollen.
Der für drastische Einsparungen votierende Gouverneur Rick Snyder ist ein reicher Republikaner. Die verschärfte Austerität, die er Detroit nun verschreiben will, ist eine Zwangsmaßnahme gegen eine seit 50 Jahren von Demokraten regierte Stadt. Der letzte Republikaner an der Spitze des Rathauses von "Motown" verlor 1961 den Wahlkampf für die Wiederwahl. Insofern droht der Machtkampf zwischen dem Gouverneur von Michigan und der Stadtverwaltung von Detroit zu einem Stellvertreterkrieg in der amerikanischen Autoprovinz zu eskalieren.
Detroit droht das Ausbluten
Die politischen und sozialen Spannungen rund um die Stadtkasse von Detroit könnten sich angesichts der Bremsspuren, die die große Rezession in den USA mit hoher Arbeitslosigkeit und wachsenden Schulden hinterlassen hat, zu einem Zündfunken entwickeln.
Mit politisch unabsehbaren Konsequenzen. Denn im bislang erfolglosen Bemühen um eine Bereinigung der Stadtfinanzen wurden der Bevölkerung von Detroit bereits enorme Opfer abverlangt.
Detroit hat mit die höchsten Sätze für Immobiliensteuern in den USA. Bürgermeister Bing hat seit 2009 die Ausgaben der Stadt laut der jüngsten Regierungserklärung von Mitte Februar um 22 Prozent auf 1,1 Milliarden Dollar gekürzt. Er hat die Zahl der Stadtbeamten in diesem Zeitraum drakonisch um 28 Prozent auf 9700 reduziert. Zahlreiche städtische Dienstleistungen wurden an private Anbieter ausgelagert, um weitere Ausgaben zu kürzen. Doch laut einer Umfrage der Zeitung Detroit News wollen 40 Prozent der Einwohner binnen fünf Jahren aus Detroit wegziehen.
Eine Ausblutung droht. Dabei würden nur ein massiver Zuzug von Neubürgern sowie viele neue Jobs die dringend benötigte Sanierung der Stadtfinanzen ermöglichen. Detroit hatte 1967 die schlimmsten Rassenunruhen des Jahrzehnts in den USA erlebt.