Eurokrise Griechenland taumelt weiter am Abgrund

Beamtenproteste in Griechenland: Die Rezession des Landes ist noch tiefer als bislang angenommen
Foto: DPAAthen - Hiobsbotschaften aus Griechenland gab es in letzter Zeit mehr als genug. Doch offenbar liegen noch immer nicht alle schlechten Zahlen auf dem Tisch. Nach Informationen der "Welt am Sonntag" aus Verhandlungskreisen läuft Griechenland auf einen Schuldenstand von 140 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu. Die ursprüngliche Vorgabe von 120 Prozent in den nächsten acht Jahren ist Voraussetzung für das zweite Hilfsprogramm.
Offen sei, wie Athen und die Troika der Schuldenkontrolleure aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) darauf reagieren. Deren Bericht ist noch nicht fertig. Die Probleme der Euro-Sorgenkinder Griechenland und auch Spanien dürften auch beim Treffen der Euro-Finanzminister am Montag in Luxemburg zur Sprache kommen.
Zudem steckt die griechische Wirtschaft noch tiefer in der Rezession als bislang angenommen. Das Statistikbüro in Athen revidierte am späten Freitagabend die Zahlen für die vergangenen zwei Jahren. Demnach schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2010 um 4,9 Prozent (bisher minus 3,5 Prozent) und 2011 um 7,1 Prozent (bisher minus 6,9 Prozent).
Als Grund für die Revision führte die Behörde einen massiven Rückgang bei den Konsumausgaben der privaten Haushalte an. Für dieses Jahr erwartet die Regierung in Athen einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6,5 Prozent. 2013 soll sich das Minus auf 3,8 Prozent verringern. Die Daten fließen in die Analyse der griechischen Schuldentragfähigkeit ein, die durch die Troika von Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds erstellt wird.
Merkel-Besuch als Botschaft der Solidarität
Der griechische Regierungschef Antonis Samaras hat bereits um finanzielle Erleichterungen für sein Land gebeten und in dramatischen Worten vor den Folgen einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage seines Landes gewarnt. Am Dienstag trifft er mit Merkel in Athen zusammen. An die Gespräche knüpfen deutsche Politiker derweil hohe Erwartungen.
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, riet Merkel, "die Botschaft zu überbringen, dass wir Deutsche sehr solidarisch sind". Die Kanzlerin müsse vermitteln "dass wir in gegenseitigem Interesse helfen und nicht als reicher Onkel, der alles besser weiß", sagte Schulz der "Leipziger Volkszeitung". Zugleich rief Schulz dazu auf, Griechenland mehr Spielraum bei der Umsetzung der notwendigen Reformen einzuräumen. Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider appellierte an Merkel in der Zeitung "Die Welt", das Land in der Eurozone zu halten.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle wertete in der "Welt am Sonntag" Merkels Reise als ein "Zeichen unserer Solidarität mit Griechenland". Er fügte aber hinzu, es gebe "ein klares Instrumentarium mit festen Regeln für unsere Hilfestellung". Diese Regeln müssten von allen Vertragspartnern eingehalten werden, "auch von unseren griechischen Freunden." Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte der Zeitung, Merkel müsse den Griechen deutlich machen, "dass sie auf dem harten vor ihnen liegenden Weg auf die europäische Solidarität zählen können".
Steuerfahnder filzen Dutzende Politiker
Derweil überprüfen griechische Steuerfahnder Dutzende Politiker im ganzen Land auf Steuerhinterziehung, illegale Bereicherung und Geldwäsche. Dies berichtet die Zeitung "Kathimerini" in ihrer Sonntagsausgabe unter Berufung auf amtliche Quellen. Demnach beläuft sich die Zahl der Politiker, deren Finanzen überprüft werden, auf mindestens 60. Darunter sollen drei Entscheidungsträger in der Regierung sein sowie zahlreiche aktive und ehemalige Parlamentarier des von der Pleite bedrohten Euro-Landes.
Das griechische Finanzministerium hatte in der vergangenen Woche angekündigt, Auslandsüberweisungen von insgesamt rund 22 Milliarden Euro genauer unter die Lupe zu nehmen. Nach Informationen der Zeitung "To Vima" hat die Steuerfahndung bisher für insgesamt 5000 Konten natürlicher und juristischer Personen die Datenfreigabe beantragt. Schon jetzt seien 15 000 Personen ermittelt worden, die ihre Auslandsguthaben nicht rechtfertigen könnten, sagte ein hoher Beamter des Ministeriums der Zeitung.
Darüber hinaus wollen die Steuerfahnder knapp 2000 Griechen überprüfen, die als Inhaber Schweizer Konten gelistet sind. Der USB-Stick mit der Datei war erst jetzt wieder aufgetaucht und sorgt in Griechenland für einigen Wirbel. Wie es heißt, hatte ihn die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde bereits 2010 ihrem griechischen Amtskollegen Giorgos Papakonstantinou übergeben. Von den Daten wurde damals aber nicht Gebrauch gemacht, der Stick verschwand.
Bewegung gibt es auch im angeschlagenen griechischen Bankensektor. wo sich eine große Fusion anbahnt. Am Freitagabend legte das größte griechische Kreditinstitut, die National Bank of Greece (NBG), ein Übernahmeangebot für das zweitgrößte Geldhaus Eurobank vor.
Das neue Institut hätte dann 925 Filialen in Griechenland und ein ausgedehntes Netz von Filialen und Tochtergesellschaften in Südosteuropa haben. Die Leitung der Eurobank kündigte an, das Angebot wohlwollend prüfen zu wollen. Im griechischen Bankensektor gibt es bereits seit längerem Bewegung. Ende Juli hatte die Piraeus Bank einen Teil der ATE Bank übernommen. Derzeit verhandelt die Alpha Bank mit der französischen Crédit Agricole über die Übernahme von deren Tochter Emporiki Bank.
EZB tritt auf die Bremse
Von der Europäischen Zentralbank (EZB) kann Athen derweil kein weiteres Entgegenkommen erwarten. "Wir können weder die Laufzeiten für griechische Anleihen verlängern, noch die Zinsen senken", sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen der "Bild am Sonntag". Beides wäre eine Form von Schuldenerlass und damit eine direkte Finanzierung des griechischen Staates. "Das aber ist der EZB rechtlich nicht erlaubt", sagte Asmussen.
Seine klare Präferenz sei, dass Griechenland im Euro bleibe. Aber der Schlüssel dafür liege in Athen. Die Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Tranche an Griechenland sei, dass das Haushaltsloch für 2013/2014 geschlossen werde und umfangreiche Strukturreformen durchgeführt werden.
Der Chef des dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM, Klaus Regling, warnte derweil vor weiteren Diskussionen über ein mögliches Ausscheiden Athens aus dem Euro: "Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion wäre die teuerste aller denkbaren Lösungen", sagte Regling der "Rheinischen Post".
Die Euro-Finanzminister wollen am Montag den Startschuss für den ESM geben. Nach Einschätzung von Regling ist bereits "mehr als die Hälfte des Weges bei den nationalen Anpassungslasten geschafft". Trotzdem hält Regling weitere Einschnitte in den Krisenstaaten für erforderlich. Seine größte Sorge sei, "dass einige Krisenländer nicht die politische Kraft haben, den schmerzhaften, aber wirksamen Reformkurs bis zum Ende durchzuhalten. Das wäre eine Katastrophe."