Henrik Müller

Konjunktur Deutschland geht's besser, als wir glauben

Trotz Euro-Krise und globalem Abschwung: Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich viel besser als gedacht - weil wir von der Krise der anderen profitieren.
Einkaufzentrum in Leipzig: Aus deutscher Perspektive ist die Geldversorgung viel zu reichlich. Nicht nur der Export, auch Investitionen und Konsum treiben das Wachstum

Einkaufzentrum in Leipzig: Aus deutscher Perspektive ist die Geldversorgung viel zu reichlich. Nicht nur der Export, auch Investitionen und Konsum treiben das Wachstum

Foto: Waltraud Grubitzsch/ dpa

Eines vorweg: Die gängigen Konjunkturprognosen sind viel zu pessimistisch, jedenfalls für Deutschland. Wir stecken in einer expansiven Dynamik, die noch lange nicht zu Ende ist, die sogar noch Jahre andauern kann. Falls es nicht zu einem großen Unfall kommt - einer Staatspleite in Europa oder einem Zerbrechen des Euro oder einem Krieg im Nahen Osten - segelt die Bundesrepublik mit sattem Rückenwind.

Der manager-magazin-Konjunkturindikator, ermittelt vom privaten Forschungsinstitut Kiel Economics, zeigt wieder nach oben. 1,2 Prozent sagt er derzeit für 2012 vorher. Tendenz: weiter steigend. Gut möglich, dass Deutschland auch das laufende Jahr mit einer zwei vor dem Komma abschließen wird.

Diese Prognose steht in krassem Gegensatz zu den meisten anderen Vorhersagen. Viele Experten gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Winterhalbjahr eine milde Rezession - zwei Quartale Schrumpfung - durchleidet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat gerade die Wachstumsrate für 2012 um einen Prozentpunkt gesenkt; nun rechnen die Washingtoner Experten nur noch mit einem Plus von 0,3 Prozent - Stagnation.

So sehen es viele: Danach ist Deutschland dabei, sich mit dem Virus der Schuldenkrise anzustecken. Schließlich hängen wir mit drin, über die Rettungsschirme und die Risiken, die sich inzwischen in der aufgeblähten Bilanz der Europäischen Zentralbank (EZB) verbergen. Und wenn ein Nachbarland nach dem anderen sich in die Rezession sparen muss - der IWF sagt Spanien und Italien zwei Jahre der Schrumpfung vorher -, sollte sich die exportlastige Bundesrepublik kaum entziehen können.

Die Wirkung des Geldes wird dramatisch unterschätzt

Das klingt plausibel, aber es unterschätzt dramatisch die Wirkung des Geldes. Und Geld ist in Deutschland äußerst üppig vorhanden. Gerade weil die übrigen Euro-Staaten tief in der Krise stecken.

Die EZB hält die Zinsen extrem niedrig. Womöglich wird Zentralbankpräsident Mario Draghi bei der Pressekonferenz am Donnerstag weitere Liquiditätsspritzen verkünden. Aus Euro-Land-Sicht ist das richtig - aus deutscher Perspektive ist die Geldversorgung viel zu reichlich. Statt eines Leitzinses von 1 Prozent würde ein für Deutschland angemessener Leitzins wohl zwischen 3 und 4 Prozent liegen. Auch der Wechselkurs müsste aus nationaler Perspektive höher sein.

Die Folgen dieser außergewöhnlichen monetären Stimulation sind überall in der deutschen Wirtschaft zu sehen. Seit den 60er Jahren waren die langfristigen Zinsen real nicht so niedrig wie derzeit. Auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Rest der Welt ist so vorteilhaft wie seit mehr als vier Jahrzehnten nicht mehr, wie Kiel Economics berechnet hat. Während in anderen Euro-Staaten die Banken mit der Kreditvergabe knausern, kommen deutsche Unternehmen so leicht an Geld wie nie zuvor im abgelaufenen Jahrzehnt; die "Kredithürde" des Ifo-Instituts ist so niedrig wie noch nie seit sie erhoben wird (Startjahr war 2003).

Neues Muster in Deutschland

Entsprechend aufgekratzt ist die Stimmung in der Wirtschaft. Während die Mehrheit der Konjunkturforscher in einen Wachstums-Blues verfällt, steigt das Geschäftsklima wieder. Die Zukunftserwartungen der vom Ifo-Institut befragten Unternehmen sind so positiv, dass der Geschäftsklimaindex bereits fast Boomniveau erreicht. Offenbar wissen die Manager mehr als die meisten Forscher. Und sie handeln entsprechend: Die Investitionsdynamik ist 2011 nur leicht abgeflaut. 2012 scheint es ähnlich weiterzugehen.

Die großzügige Zufuhr an monetären Stimulanzien dürfte in den kommenden Jahren zu einem neuen Muster führen: Nicht mehr der Export, sondern die Binnenwirtschaft - Investitionen und Konsum - treiben das deutsche Wachstum.

Im Moment sind wir in der besten aller Wirtschaftswelten: Die Wirtschaft brummt, die Zahl der Arbeitslosen sinkt immer weiter. Aber klar ist auch, dass es nicht so weitergehen wird. Entweder weil ein externer Schock die Entwicklung abrupt zum Stehen bringt. Oder weil irgendwann das passiert, was stets passiert, wenn zuviel Geld in die Wirtschaft gepumpt wird: Die Inflation steigt. Aber wie gesagt: Noch ist davon nicht viel zu sehen.

Lehnen Sie sich also zurück und genießen Sie die Fahrt - solange sie dauert.

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