
Einfluss per Scheckbuch: Wie US-Konzerne die Demokratie verbiegen
Lobbyismus Revolte gegen Scheckbuchmacht der US-Firmen
Vancouver- Große Unternehmen haben in den USA einen selten erlebten Einfluss auf die Entscheidungsbildung in der Politik erreicht. Vor allem den großen Banken der Wall Street gelang es, sich in der Finanzkrise mit Geld der Steuerzahler retten zu lassen und anschließend strengere Finanzmarktreformen weitgehend zu unterlaufen. Der Einfluss von Unternehmen in den USA hat ein Ausmaß erreicht, das zunehmend Gegenreaktionen provoziert.
Die Protestbewegung Occupy Wall Street ist nur eine davon. Kampagnen wie der "Bank Transfer Day" im November, als es darum ging, von den Wall Street-Banken möglichst viele Girokonten zu Sparkassen und Kredit-Kooperativen abzuziehen, sind eine andere.
Jetzt kommt eine Initiative in Gang, die dem Vormarsch mächtiger Firmen einen schweren Rückschlag versetzen könnte. In der vergangenen Woche hat Los Angeles als erste Stadt der USA beschlossen, sich in Washington für eine Änderung der Verfassung stark zu machen: Firmen sollen nicht mehr als Personen anerkannt werden. Laut der Stadträtin Mary Beth Fielder, die den Beschluss beantragt hatte, ist das Ziel, "das Geld aus der Politik heraus zu halten".
Vordergründig hört sich das an wie ein lapidarer Stadtratsbeschluss im Hinterland von Washington. Doch das Ergebnis der anonymen Abstimmung im Rathaus von L. A. hat enorme Brisanz. Los Angeles konfrontiert damit offen einen Beschluss des Obersten Bundesgerichts der USA aus dem Jahr 2010. Darin urteilten die Verfassungsrichter mit 5:4 Stimmen, dass Firmen, Gewerkschaften und andere Organisationen unlimitiert die Werbung von Wahlkampagnen finanzieren können.
Das Gericht behandelte damit Firmen wie Personen, denen das Recht auf freie Meinungsäußerung zusteht. Das Urteil, so die Kritiker, gibt Firmen jedoch freie Fahrt, sich mit dicken Schecks die Gunst von Politikern zu sichern.
"Machtbalance zugunsten der Reichen und der Firmen verschoben"
Zu diesen Kritikern gehört auch der Senator Bernie Sanders aus Vermont. Sanders präsentierte dem US-Senat in Washington am vergangenen Donnerstag eine Vorlage, die Firmen von bürgerlichen Grundrechten ausschließen soll. Es ist derselbe Vorstoß, den auch der Stadtrat von Los Angeles auf den Weg gebracht hat. "Macht Euch nichts vor, das Urteil des Obersten Bundesgerichts hat das Wesen unserer Demokratie völlig verändert", sagt Sanders, "es hat die Machtbalance weiter zu den Reichen und den Firmen verschoben". Doch Unternehmen, so findet Sanders, haben keine Verfassungsrechte, sie werden von Behörden reguliert. Und die Gesetze dafür macht der Kongress. Zu ihnen zählt auch die Wahlkampffinanzierung.
Die Vorlage von Sanders hat im Senat jedoch ebenso wenig Chancen auf eine Mehrheit wie ein ähnliches Papier, das dem Repräsentantenhaus vorliegt. Doch darum geht es gar nicht. Im Rathaus von Los Angeles - wie auch im Senat in Washington - soll die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit auf die Macht großer Firmen gelenkt werden.
Ein zentraler Punkt, den auch Occupy Wall Street im Terminkalender für künftige Aktionen vermerkt hat. Das Strategiebuch der Protestler sieht für den 20. Januar daher Besetzungen von Bundesgerichten in ganz Amerika vor, darunter auch in Los Angeles.
Ganz überraschend kommen solche Initiativen nicht. In der Finanzkrise und der Großen Rezession verschob sich die Machtbalance zwischen Regierungen und großen Firmen dramatisch. Während international agierende Firmen dank der Globalisierung in führenden Industrieländern und Schwellenmärkten schon so stark aufgestellt sind, dass sie ganze Standorte gegeneinander ausspielen können, haben schuldengeplagte Regierungen viel von ihrer Macht eingebüßt.
Druckmittel Abwanderung - und riesige Summen für Lobbyarbeit
Mit hoch defizitären Budgets - und oft von einer schwindenden Steuerbasis geschwächt - müssen sie sparen und öffentliche Leistungen einschränken. Ohne die Anhebung von Steuern können die riesigen Etatlöcher nirgends dauerhaft gestopft werden. Doch Manager in den großen Firmen wissen, dass sie mehr Einfluss als je zuvor haben, um sich dagegen zu wehren.
Und das tun sie auch zunehmend: Die US-Firmen verzögern derzeit die Repatriierung von mindestens 1,2 Billionen Dollar Auslandsgewinnen. Unter dem wohlklingenden Namen "Win America Coalition" wollen sie die Obama-Administration dazu bewegen, ihnen für die Rückkehr der internationalen Gewinne Steuerferien zu garantieren.
Weltweit nehmen die Proteste von Firmen gegen höhere Steuern oder das Streichen von Privilegien zu. Coca-Cola reagierte im September in Frankreich auf eine angekündigte Steuer für zuckerhaltige Erfrischungsgetränke mit einem Investitionsstopp. Der Bau einer 17 Millionen Dollar teuren Dosenfabrik bei Marseille wurde verschoben. Der Chemieriese Bayer gehört zu jenen Firmen, die in Deutschland nach dem Beschluss zum Atomausstieg mit Abwanderung drohten. "Es ist wichtig, dass wir im Vergleich mit anderen Ländern wettbewerbsfähig bleiben. Ansonsten kann sich ein globales Unternehmen wie Bayer überlegen, seine Produktion in Länder mit niedrigeren Energiekosten zu verlagern", sagte Bayer-Chef Marijn Dekkers im August.
Währenddessen drohen Firmen, Kalifornien wegen neuer Umweltbestimmungen zu verlassen, während die Kaufhauskette Sears und die
CME-Gruppe - der Betreiber der Chicago Mercantile Exchange - dem Bundesstaat Illinois wegen neuer Steuern die Verlegung der Zentrale androhen. Als das Parlament von Illinois in diesem Jahr eine Gesetzesvorlage durchpauken wollte, um mit geringeren Steuern auf Börsentransaktionen CME entgegen zu kommen, bekam das Papier keine Mehrheit. Prompt schickte das Management von CME den Beschäftigten eine
Email: "Wir sind enttäuscht, dass das Parlament nicht in der Lage ist ein Gesetz zu verabschieden, das uns helfen würde, eine Firma von Illinois zu bleiben".
Lobbyarbeit statt Drohungen
Drohungen sind indes nicht das wichtigste Mittel, mit dem Firmen in Washington Einfluss nehmen. Ihr effektivstes Instrument ist Lobbyarbeit. Und dafür werden riesige Summen aufgewendet. Laut dem "Center for Responsive Politics" in Washington geben General Electric , ConocoPhillips , AT&T sowie Boeing und Verizon im laufenden Jahr am meisten Geld aus, um Politiker für ihre Ziele und Projekte einzunehmen.
Die höchste Summe stemmt mit mehr als 21 Millionen Dollar General Electric . Doch es geht nicht nur um Schecks. Mindestens ebenso wichtig ist es, Lobbyisten zu beschäftigen, die das Parlament gut kennen. Hier gilt der Telekomriese AT&T als Paradebeispiel. Dessen Chef-Lobbyist ist James Cicconi, ein ehemaliger persönlicher Mitarbeiter von George H.W. Bush, der auch schon unter Ronald Reagan im Weißen Haus arbeitete.
Um für die 39 Milliarden Dollar teure Übernahme von T-Mobile die Unterstützung von Kongress und Regulierern zu sichern, heuerte AT&T zusätzlich sieben ehemalige Parlamentarier an und startete eine 40 Millionen Dollar teure Anzeigenkampagne. Dass ausgerechnet dieser Deal sich nun enorm schwer tut, liegt laut Insidern in Washington daran, dass AT&T diesmal zu aggressiv vorging und Gegenreaktionen provozierte.
Wie viel Aufwand Firmen mit ihrer Lobbyarbeit im Kongress betreiben, geht aus dem neuen Bericht "For Hire" ("Job zu vergeben") der Public Campaign hervor. Die Organisation hat sich dem Ziel verschrieben, den Einfluss von Interessengruppen im Kongress zu begrenzen. Der Think Tank untersuchte 30 der größten US-Konzerne, darunter die Bank Wells Fargo, den Flugzeughersteller Boeing und General Electric . Resultat: Von 2008 bis 2010 zahlten diese Firmen mehr für Lobbyisten als an das Finanzamt. Obwohl sie in den drei Jahren bis 2010 zusammen 164 Milliarden Dollar Gewinne auswiesen, konnten die 30 Firmen zusammen elf Milliarden Dollar Steuernachlass geltend machen.
Bericht über Steuergeschenke: "Die Amerikaner wundern sich"
In den drei Jahren wandten sie zusammen mit 476 Millionen Dollar auf, um den Kongress günstig zu stimmen. In dieser Zeit gaben die beobachteten Firmen zusätzlich 22 Millionen Dollar in Form von Wahlkampfspenden aus. "Die Amerikaner wundern sich", heißt es in dem Bericht der im Dezember herauskam, "warum der Kongress Gesundheitsleistungen und soziale Leistungen kürzt und gleichzeitig Steuergeschenke an Firmen verteilt, deren Chefs sich überzogene Boni auszahlen und Jobs nach Übersee verlegen".
Ebenfalls in diesem Monat kam eine Studie des Institute on Taxation and Economic Policy heraus. Das Institut hat untersucht, wie große Unternehmen für sich in den einzelnen US-Bundesstaaten immer mehr Steuerferien herausschlagen. Der Bericht deckt auf, dass von den 280 profitabelsten Firmen in der Fortune 500-Liste im jüngsten Finanzjahr nur 265 ihre lokalen Steuerzahlungen an Bundesstaaten auswiesen.
Im Schnitt zahlten die Firmen in den Bundesstaaten 3,0 Prozent Gewinnsteuer, obwohl der Steuersatz in den US-Staaten im Schnitt bei 6,2 Prozent liegt. Mehr als die Hälfte der Gewinne ist demnach völlig unversteuert geblieben. Allein von diesen Firmen seien den US-Bundesstaaten 39,9 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verloren gegangen.
Gelegentlich bekämpfen große Firmen US-Politiker auch direkt und unter der Gürtellinie. Wal-Mart , der größte Retailer der Welt - und traditionell einer der führenden Wahlkampfspender der Republikaner - briefte im Präsidentschaftswahlkampf 2008 seine Manager, dass eine Stimme für den Demokraten Barack Obama einer Einladung der Gewerkschaften in das Unternehmen gleichkäme. Als das Wall Street Journal auf der ersten Seite darüber berichtete, war die Verlegenheit riesig.
Lobbyforum Alec: Verhindern von Gesetzen ist eine Spezialität
Manchmal gehen große Unternehmen in den Korridoren des US-Parlaments auch direkt aufeinander los. Das zeigt das aktuelle Duell zwischen Hollywood und dem Silicon Valley. Silicon Valley-Giganten wie Yahoo , Google und Ebay haben über ihre Lobbyisten im Kongress den sogenannten Open Act auf den Weg gebracht, eine Gesetzesvorlage, die Internetfirmen besser vor Klagen schützen soll, indem sie ihre Verantwortung für dritte Webseiten wie Porno-Portale limitiert. Dagegen bringen die führenden Hollywood-Studios die Gesetzesvorlage "Stop Online Piracy" (Sopa) in Stellung. Sie fordert drastischere Strafen für Plagiate.
Meist jedoch wird im Vorfeld - und im Hintergrund - direkt mit den Parlamentariern zusammen gearbeitet. Das wichtigste Forum hierfür in Amerika ist derzeit der American Legislative Exchange Council (Alec). Alec wird vom Progressive States Network in den USA als Frontorganisation führender Unternehmen bezeichnet, in der 2400 Abgeordnete aus den Parlamenten der Bundesstaaten - jeder dritte in den USA - mitarbeiten.
Die Firmen finanzieren den mehr als fünf Millionen Dollar teuren Etat von Alec überwiegend mit großzügigen Mitgliedsbeiträgen, bringen Experten, Think Tanks, Lobbyisten und Juristen zusammen und schmieden in Ausschüssen, die nach Industrien organisiert sind, maßgeschneiderte Gesetzesvorlagen für ihre Anliegen. Die "Modellentwürfe" für neue Gesetze werden zuvor in den Think Tanks der Organisation aufgesetzt.
Lobbyforum Alec: Verhindern von Gesetzen ist eine Spezialität
Die wichtigste Stoßrichtung von Alec: Das Schwächen von Aufsichtsbehörden, seichte Umweltgesetze, niedrige Steuern, weniger Auflagen und industriefreundliche Gesetze. Für die mitarbeitenden Abgeordneten springen großzügige Einladungen, Golfturniere und andere Annehmlichkeiten heraus. Ganz zu schweigen die Chance, nach der politischen Karriere eine hochdotierte Lobbytätigkeit in der Industrie zu übernehmen.
Unter Alecs Direktoren finden sich Finanzchefs und ehemalige CEOs von Wal-Mart, Coors, BellSouth und Verizon. Eine Analyse des Progressive States Network aus dem Jahr 2006 zeigt, dass 2004 und 2005 allein im Parlament des Bundesstaates Georgia von Alec 43 Gesetzesvorlagen eingefädelt und sieben davon durchgebracht wurden. Auch die Verhinderung von Gesetzen ist eine Spezialität dieser Organisation. Als die Stadt Boston Mitte des vergangenen Jahrzehnts einen Plan ankündigte, um für die 14.000 Beschäftigten der Stadt billigere Medizin aus Kanada zu importieren und damit Geld zu sparen, drohte Alec den Stadträten schriftlich, sie wegen Nachlässigkeit vor Gericht zu ziehen.