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Fotostrecke: Amerikas radikale Griechenland-Forderungen

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Griechenland-Chaos USA fordern den Insolvenzverwalter

Amerika fordert die Europäer auf, Griechenland zu einem Schuldenschnitt zu zwingen. Eine Umschuldung sei selbst dann sinnvoll, wenn das griechische Bankensystem dabei vor die Hunde gehe. Die radikale Forderung des Weltschuldnerlands USA hat einen Grund.
Von Markus Gärtner

Vancouver - Wenn US-Medien über die Schuldenkrise in Europa berichten, klingt zwischen den Zeilen oft Unverständnis durch. Als das Wall Street Journal vor wenigen Tagen die Lage in Spanien analysierte und der Frage nachging, ob das Land sich im Schuldendrama am Ende als "Domino oder als Damm" entpuppt, konnte sich das respektierte Blatt einen Seitenhieb auf EU-Währungskommissar Olli Rehn nicht verkneifen. Der hatte gerade zu Protokoll gegeben, dass eine Umschuldung für Griechenland "keine Option" sei.

"Er hat gar nicht erklärt", so das Blatt, "wie ein Land das auf zweijährige Anleihen 18 Prozent Zinsen zahlt, und dessen Bruttoinlandsprodukt (BIP) jährlich um 3 Prozent schrumpft, sich aus dieser Schuldenfalle befreien kann". Auch die jetzt verstärkt diskutierte Möglichkeit, die Laufzeiten für Griechenlands Schulden zu strecken, wird vom Tisch gewischt. CNBC zitiert Andrew Bosomworth, Manager beim größten Anleihefonds der Welt, Pimco, mit dem Hinweis: "Eine spätere Fälligkeit löst nicht Griechenlands Einnahmen- und Schuldenproblem, es wird die Schulden des Landes nicht reduzieren und damit den Märkten keinen Appetit auf den Kauf weiterer Anleihen machen".

So oder so ähnlich lautet der Befund in den meisten großen Zeitungen Nordamerikas: Ein Schuldenschnitt sei am Ende gar nicht abzuwenden.

Dabei werden dann gerne Wall-Street-Gurus und im TV-Geschäft erfahrene Professoren wie Nouriel Roubini von der New York University zitiert: "Im Fall Griechenland geht es nicht darum ob, sondern wann es einen Schuldenschnitt gibt", sagt Roubini, dessen Prognose der Finanzkrise ihm den Spitznamen "Dr. Doom" eintrug. Kein Verständnis hat man auf der anderen Seite des Atlantiks auch für die Erleichterungen, die den Griechen auf ihre Schulden aus dem Bailout gewährt wurden, darunter niedrigere Zinsen.

Über den wichtigsten Grund für die Misere scheinen sich auch die meisten einig zu sein: "Europas Politiker haben schlicht die Diagnose falsch gestellt", zitiert Marketwatch eine ganze Reihe von Experten. Die europäischen Abgeordneten hätten im Falle Griechenlands "ein Liquiditätsproblem, das man durch den Verkauf von Anleihen beheben kann, mit einem Solvenzproblem". Folgerichtig werden auch die Rettungsversuche seit dem Mai 2010 als erfolglos bezeichnet. "Die Bailout-Formel der europäischen Politiker zeigt keine Wirkung", kommentiert die New York Times. Ein Entkommen aus der Schuldenfalle, so die liberale Zeitung, "erfordert normalerweise eine Abwertung, aber die kommt ja hier nicht infrage".

Sinkender Lebensstandard, eisernes Sparen

Am Jahrestag des Bailouts für Griechenland im Mai schrieb der Christian Science Monitor, die bisher verteilten Finanzfallschirme für Griechenland, Irland und Portugal würden diese Länder zu fiskalischen Grausamkeiten verdonnern. Die Folge seien jahrelang eisernes Sparen, weniger öffentliche Dienstleistungen, geringere Lebensstandards sowie Schneckentempo beim Wachstum.

Dafür, so der Monitor, gebe es jedoch eine Alternative: Der Schuldenschnitt. Er habe zwar Proteste zur Folge, würde aber am Ende klare Verhältnisse schaffen und wieder Wirtschaftswachstums ermöglichen. In Europa jedoch habe man sich dagegen entschieden. "Man will die Besitzer von Anleihen und die Aktionäre der Banken schonen, zu Lasten der Steuerzahler". Die Kommentatoren des Blatts haben den Eindruck, dass es darum ging, "den Euro und die Banken zu schützen".

Beobachtern in Nordamerika will es nicht einleuchten, dass die volle Rückzahlung von Anleihen trotz des für Investoren bekannten Risikos garantiert sein soll. Ein Argument, das den USA als größter Schuldner gegenüber dem Rest der Welt leichter fällt als anderen. Man könnte ja irgendwann selbst in die Verlegenheit kommen, von den Gläubigern einen Verzicht zu verlangen. Der simple Befund, auf dessen Basis in Amerika das Problem auf der anderen Seite des Atlantiks erörtert wird, lautet jedenfalls so: "Je länger gewartet wird, desto tiefer das Loch, in dem sich Griechenland befindet".

Für die Position der Deutschen, die im Gegensatz zum Rest Europas laut über eine Umschuldung für Griechenland nachdenken, hat man in Nordamerika aufgrund dieser Betrachtung offen Sympathie. Auch die politischen Zwänge in Deutschland werden gesehen: "Die Deutschen schreiben bei Europas Bailouts die größten Schecks", konstatiert die kanadische Globe and Mail, "daher wagen sich Politiker unter dem Druck ihrer Wähler, die es leid sind ständig die Rechnungen zu begleichen, weiter aus dem Fenster". Gleich mehrmals wird der Analyst der amerikanischen Citigroup, Stefan Nedialkov, mit den Worten zitiert, "der Haircut für Griechenland sollte so schnell wie möglich über die Bühne gehen".

Rasanter Anstieg des deutschen Selbstbewusstseins

Dass es im Rest von Europa weit verbreitete und erhebliche Widerstände gegen eine baldige und schmerzhafte Lösung gibt, hat man in Nordamerika verstanden. Auch das wichtigste Motiv, die Banken zu schonen, wird erkannt: Die Banken haben in der Euro-Zone einen viel größeren Anteil an der Kreditschöpfung, die die Konjunktur antreibt, analysiert CNN Money auf Basis von Zahlen des Internationalen Währungsfonds. Die Europäische Zentralbank wird derweil jenseits des Atlantiks als die größte Hürde gegen die Verlängerung von Fälligkeiten oder einen Forderungsverzicht gesehen. Sie habe seit Mai 2010 für 100 Milliarden Euro Anleihen der Euro-Staaten mit derzeit besonders starken Schuldenproblemen erworben und müsse bei einem Gläubigerverzicht deshalb selbst Verluste hinnehmen.

Dass die griechische Regierung sich mit Händen und Füßen gegen eine Restrukturierung ihrer Schulden sträubt, wundert in Nordamerika niemanden. "Ein Haircut von 50 bis 60 Prozent des geborgten Geldes, mit dem die Schulden auf eine beherrschbare Größenordnung gestutzt werden könnten, würde das komplette Bankensystem im Land auslöschen", informiert die Webseite MarketWatch ihre Leser. Kein Wunder: Auch in Amerika wurden die Zahlen von Goldman Sachs herumgereicht, wonach 80 Prozent des Tier 1-Kapitals der griechischen Banken ausgelöscht würden, käme es zu 60 Prozent Forderungsverzicht.

Bei der Globe and Mail vergleicht man Griechenland mit einer ganz normalen Firma: "Die Insolvenzverwalter hätten schon längst die Gläubiger einbestellt und ihnen gesagt, dass die einzige Möglichkeit zur Vermeidung einer Liquidation längere Tilgungsfristen sind sowie der Verzicht auf 30 bis 40 Prozent der Forderungen". Für die Position der Griechen, dass ihre Schuldenposition verkraftbar sei und ein Schuldenschnitt vermeidbar, gibt es in den USA und Kanada nicht allzu viel Sympathie. Auch der Faktor Zeit wird in Nordamerika recht gut eingeschätzt. "Was eine schnelle Lösung verhindert", heißt es im kanadischen Fernsehen, "ist die Festlegung, bis 2013 keinen Gläubigerverzicht zu erzwingen". Das sei auch der Grund, warum man in Berlin "mildere Optionen prüft".

Als große Gefahr bei einem drastischen Schnitt im Falle Griechenlands wird in Nordamerika nicht nur eine mögliche Bankenkrise gesehen, sondern auch das, was darauf folgen würde: Eine Rekapitalisierung der Geldhäuser mit Steuergeld. Im Zusammenhang mit der langen Serie von Wahlen in Deutschland wird Berlin zugestanden, einem größeren Druck ausgesetzt zu sein als andere Regierungen im Euro-Raum.

Los Angeles Times: "Das Undenkbare ist zum Unvermeidbaren geworden"

Im Blog Forex-Street, der sich Ende April über den "Schlamassel in Europa" auslies, wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als erkenntnisgetriebener Politiker dargestellt: "Das Unvermögen, die Schuldenkrise mit Sparen und noch mehr Schuldenaufnahme zu beenden, bringt Schäuble zu dem Schluss, dass Plan B nicht verhindert werden kann", heißt es dort. Bei der Einnahme seiner umstrittenen Position helfe Deutschland ein rasanter "Anstieg seines Selbstbewusstseins, kombiniert mit der Einsicht, dass diese Konjunktursträhne nicht für immer anhält".

Die Skepsis in Nordamerika in Bezug auf den Erfolg der bisherigen Rettungsmaßnahmen wurde vor wenigen Tagen auf neue Höhen getrieben. Grund war die Meldung, dass Griechenland mit einem aktuellen Defizit von 10,5 Prozent des BIP schon wieder mit unerwartet schlechten Zahlen enttäuschte. An der wachsenden Skepsis ändern selbst die vom griechischen Finanzminister George Papaconstantinou im April präsentierten zusätzlichen Sparpläne und der geplante Verkauf staatlicher Immobilien nichts. "Das Undenkbare ist in der europäischen Schuldenkrise schon drei Mal zum Unvermeidbaren geworden", urteilt die Los Angeles Times.

Vereinzelte Kommentatoren, wie die im Business Insider - einem der führenden Finanzblogs in Amerika - unterstellen den Deutschen mit Blick auf Griechenland auch eine handfeste politische Motivation, die den zeitlichen Druck auf Berlin erhöht: "Berlin denkt auch über die politischen Kosten nach", heißt es dort, "die jüngste Wahl in Finnland gefährdet den Bailout-Mechanismus, weil eine Euro-skeptische, rechte und populistische Partei - die Wahren Finnen - in die Regierung eintritt".

Schuldenstaat Amerika sieht sich selbst nicht betroffen

Demnach macht sich "Angela Merkel Sorgen über das Aufkommen von anti-europäischem Populismus in Deutschland". Politisch gesehen sei ein Schuldenschnit für Griechenland daher "als ein Stoppschild für die schnell wachsende anti-europäische Bewegung" zu interpretieren.

Eine "Lösung" des griechischen Schuldenproblems nach dem Muster der amerikanischen Notenbank wird in den USA nicht als realistisch betrachtet. Die Fed unter Ben Bernanke versucht, durch die Hinnahme begrenzter Inflation die Schuldenlast der USA zu reduzieren. In Amerika fürchten viele, dass sich die Schuldenkrise in Europa zu schnell zuspitzt, um diesen Hebel mit Aussicht auf Erfolg anzusetzen. "In Europa macht sich die Einsicht breit", heißt es in der Zeitschrift Monthly Review, "dass diese Krise schneller eskaliert, als eine inflationäre Politik helfen könnte".

Der Review weist auf einen globalen Aspekt hin, der die deutsche Position noch schwieriger macht, als sie schon ist. Ein exportorientiertes Land könne nicht ignorieren, dass viele Bonds von Banken in Übersee gehalten werden. Das habe bei einem Haircut zur Folge, dass diese ebenfalls mit Steuergeld rekapitalisiert werden müssten. Das Resultat wären weniger öffentliche Großrpojekte und damit weniger Aufträge für deutsche Lieferanten.

Eher selten kommt es in amerikanischen Medien vor, dass aus dem Schuldenproblem der Euro-Zone Lehren für die USA gezogen werden. In Washington macht die Schlammschlacht zwischen Republikanern und Demokraten über ein wirksames Sparpaket derzeit kaum Fortschritte. Binnen Tagen droht das Anstoßen an die Schuldengrenze. "Schuldenprobleme zu lösen ist ein hässliches, schmerzhaftes und Wachstum dämpfendes Geschäft", heißt es in einem Kommentar des Magazins Time. Mehr noch: "Wenn der Schuldengeist erst einmal aus der Flasche gekrochen ist, kann man ihm kaum wieder reinstecken".

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