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Vorspiel

In der Währungsunion verschieben sich die wirtschaftspolitischen Machtverhältnisse.
aus manager magazin 8/1998

Die Devise scheint klar: Europa bekommt eine Währung. Und das war's. Mit Ausnahme von Euro-Geld und Euro-Bank bleibe alles beim alten, verkünden vor allem Bonner Regierende, wenn es um die künftige Wirtschaftspolitik geht.

Doch das ist nur die offizielle Lesart. In der Praxis setzt der Euro Politik und Verbände schon jetzt unter Anpassungsdruck. Im neuen Geldzeitalter werden sich Kompetenzen womöglich kräftig verschieben.

Vornweg marschieren die Notenbanker. Die Euro-Bank gilt als erste föderale EU-Institution; die nationalen Behörden sind zu Zweigstellen heruntergestuft. Allein im Euro-Tower wird künftig über Leitzinsen entschieden.

Manche Politbeziehung gerät dadurch ins Wanken. Ihre Ansprechpartner suchen sich die Euro-Hüter nicht in erster Linie in Bonn oder Paris, sondern in Brüssel oder Straßburg.

EZB-Chef Wim Duisenberg reiste Anfang Juli erstmals zum Treffen der Euro-11-Gruppe, dem Gremium der Finanzminister. Seine Leute sitzen derweil im Brüsseler Wirtschafts- und Finanzpolitischen Ausschuß. Der wiederum liefert den Ministern monatlich Analysen zur Konjunktur.

Das Europa-Parlament sieht sich im Sog der neuen Geldmacht kräftig aufgewertet. Selten war das Medieninteresse an den Abgeordneten so groß wie bei der Anhörung Duisenbergs im Mai. Laut Vertrag mußten sich alle Kandidaten für das EZB-Direktorium vor ihrer Ernennung von den Volksvertretern begutachten lassen.

Der EZB-Chef wird künftig alle drei Monate seine Geldpolitik vor dem Parlament erklären. Ein Ereignis ganz neuer Qualität, das auf den Märkten mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden dürfte.

Und nicht nur dort: Europas Arbeitgeber streben an, den Kontakt zur Notenbank künftig gemeinsam über den Brüsseler Dachverband UNICE zu pflegen. Unabhängige Ökonomen haben sich in grenzüberschrei-

tenden Think- Tanks zusammengeschlossen, um die Politik der Euro-Hüter künftig regelmäßig zu kommentieren.

Es ist absehbar, daß es nicht bei Debatten über Zinsniveaus und Geldmengen bleiben wird. Im Juni legten fünf Konjunkturinstitute aus Kiel, Paris, Bologna, London und Den Haag erstmals eine gemeinsame Konjunkturprognose für die Euro-Staaten vor - samt wirtschaftspolitischer Vorschläge.

Das gegenseitige Interesse steigt. Bis vor kurzem konnte es deutschen Anlegern relativ egal sein, wie solide die Haushaltspolitiker in Rom oder Madrid wirtschafteten (und vice versa). In der Euro-Union gefährden stabilitätspolitische Ausreißer dagegen die gemeinsame Währung aller. Und dies schafft gänzlich neue Interessen.

Die Bundesbank zog daraus im März eindrucksvoll Konsequenzen. Frei von diplomatischer Vorsicht prangerten Deutschlands Währungsbeamte die Staatsschulden Italiens und Belgiens an. Vor ein paar Jahren hätte so etwas noch Stoff für diplomatische Prostestnoten liefern können.

Im Oktober werden Vertreter nationaler Finanzausschüsse nach Straßburg reisen, um mit den Euro-Parlamentariern zu beraten. Die Finanzexperten des Bundestags arbeiten derweil an einer regelmäßigen Kooperation mit den Kollegen in Frankreich.

Die offizielle Aufsicht über das Haushaltsgeba-

ren liegt künftig in Brüssel. Laut Stabilitätspakt müssen die Euro-Staaten regelmäßig über ihre Finanzlage berichten. Stichwort: multilaterale Überwachung. Die Daten laufen in Brüssel zusammen, die nationalen Prognosen werden von der Kommission geprüft. Dem Rat obliegt es, Sanktionen zu verhängen, falls die Schuldenlimits überschritten werden.

Dem Brüsseler Druck werden sich die nationalen Finanzpolitiker kaum mehr entziehen können. Zumal vorgesehen ist, daß die Ausrichtung der gesamten Wirtschaftspolitik künftig auf Euro-Ebene koordiniert werden soll.

Daß Europa enger zusammenrückt, könnte auch für jene Bereiche gelten, die mit dem Euro auf den ersten Blick wenig zu tun haben: für Steuer-, Sozial- oder Tarifpolitik. Dort wächst mit dem Wegfall der Währungsgrenzen die Transparenz - und damit für viele der Wunsch nach Kooperation.

Seit kurzem wird in Brüssel wieder ernsthaft darüber verhandelt, wie sich unlauterer Steuerwettbewerb in der EU unterbinden läßt. In der Sozialpolitik können Europas Arbeitgeber und Gewerkschafter laut Maastrichter Vertrag bereits Vereinbarungen treffen - etwa über die Rahmenbedingungen für befristete Arbeitsverträge.

In der Tarifpolitik setzen vor allem die Arbeitnehmervertreter auf den Austausch. So waren in Nordrhein-Westfalen an den Stahl-Tarifverhandlungen 1997 erstmals Gewerkschaftsbeobachter aus den Benelux-Staaten beteiligt. Ähnliche Kooperationen mit Österreichern oder Franzosen könnten in Bayern oder Baden-Württemberg bald folgen.

Die Nachbarn haben am Austausch großes Interesse. De facto hängen die Lohnabschlüsse oft von deutschen Daten ab. In Belgien müssen sich die Metaller sogar offiziell an den Vorgaben der Nachbarn orientieren.

Für die Arbeitgeber sind solche Euro-Pläne bislang tabu. Allerdings macht sich auch hier die Erkenntnis breit, daß stärkerer Austausch die eigene Schlagkraft erhöhen kann. Die Arbeitgeberverbände der westeuropäischen Metallindustrie (WEM) eröffnen aus diesem Grunde in Kürze ein eigenes Büro in Brüssel.

Sicher: Von einer politischen Union ist Europa noch weit entfernt; für Schritte dorthin fehlt selbst Euro-Kanzler Kohl im Wahlkampf der Mut. Weder ist eine gemeinsame Finanz- politik in Sicht, noch ist bislang etwa geklärt, wie Euroland in internationalen Organisationen wie dem IWF auftreten soll.

Die Richtung ist dennoch eindeutig: "Der Euro bringt eine Integration von unten", sagt Elke Thiel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (siehe Graphik oben). Und: Zu den Gewinnern werden eher die Euro-Zentren Brüssel, Straßburg oder Frankfurt zählen als Berlin oder Rom.

Was bei den Nachbarn passiert, wird nach dem Euro-Start 1999 mehr denn je von Interesse sein. Mit Stammtischweisheiten über angebliche italienische Schludrigkeit oder französische Steuerungswut ist dann kaum mehr geholfen. Thomas Fricke

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Umfrage: Länderbeziehungen

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