Krieg in Osteuropa Russlands Angriff auf die Ukraine hat begonnen

Kiew am Morgen nach Beginn des russischen Angriffs: Viele Menschen fliehen aus der Stadt
Foto: Chris McGrath / Getty ImagesDer russische Angriff auf die Ukraine hat begonnen – und er gilt offenbar dem ganzen Land. Kurz nachdem der russische Präsident Wladimir Putin in einer TV-Ansprache den Start der Militäraktion angekündigt hatte, gab es Meldungen über Gefechte und Explosionen in mehreren Landesteilen und Städten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, Explosionen seien in vielen ukrainischen Städten zu hören gewesen. Russland habe die Infrastruktur des Landes sowie Grenzposten angegriffen. Selenskyj rief das Kriegsrecht aus.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba spricht von einem »großangelegten Krieg gegen die Ukraine«. Kremlchef Wladimir »Putin hat gerade eine große Invasion der Ukraine gestartet. Friedliche ukrainische Städte werden attackiert. Das ist ein Angriffskrieg«, teilte der Minister bei Twitter mit. Das Innenministerium meldete, Raketen seien auf Militärflughäfen, Depots, in mehreren Großstädten sowie in Grenzregionen eingeschlagen.
So waren nach Berichten von Personen vor Ort in der Hauptstadt Kiew Explosionen zu hören. Nahe dem Flughafen der Stadt sei es ebenfalls zu Schüssen gekommen, berichtete die Agentur Interfax. Das ukrainische Innenministerium bestätigte, Kiew sei mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen angegriffen worden.
Gefechte in allen Landesteilen
Explosionen erschütterten zudem die Stadt Donezk im Osten des Landes, die unmittelbar in der Nähe des bislang schon von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebietes liegt. Auch aus der Stadt Charkiw nahe der russischen Grenze meldeten Augenzeugen Explosionen. Dort sollen russische Truppen bereits in die Ukraine vorgedrungen sein.
Meldungen über Gefechte gab es auch aus anderen Landesteilen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters soll in der Hafenstadt Odessa eine Landungsoperation von Einheiten der russischen Schwarzmeerflotte begonnen haben. Auch in der Hafenstadt Mariupol sollen russische Einheiten an Land gegangen sein. Berichte über Einschläge gab es auch aus Dnipro, Berdjansk und Kramatorsk, wie die staatliche Nachrichtenagentur Ukrinform meldete.
Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte laut der Nachrichtenagentur Ria mit, Russland greife die militärische Infrastruktur der Ukraine mit »Hochpräzisionswaffen« an. Kommandozentralen des ukrainischen Militärs in der Hauptstadt Kiew und der Millionenstadt Charkiw würden mit Raketen angegriffen, zitierte die ukrainische Zeitung »Prawda« auf ihrer Website einen Vertreter des ukrainischen Innenministeriums.
Als Reaktion auf den russischen Angriff schloss dir Ukraine ihren gesamten Luftraum.
Kurz vor der erwarteten Invasion hatte der Selenskyj an die russische Bevölkerung appelliert, einen Krieg zu verhindern. Entlang der über 2000 Kilometer langen Grenze stünden fast 200 000 russische Soldaten mit schwerer Technik zum Einmarsch bereit. Selenskyjs Versuch, mit Putin zu telefonieren, um eine Eskalation im letzten Moment abzuwenden, schlug fehl.
Uno-Generalsekretär António Guterres sagte nach einer Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrates: »Präsident Putin, im Namen der Menschlichkeit: Bringen Sie Ihre Truppen zurück nach Russland.« Guterres sprach von dem möglicherweise schwersten Konflikt in Europa seit Jahrzehnten und seinem »traurigsten Tag« als Uno-Generalsekretär.
USA kündigen weitere Sanktionen an
US-Präsident Joe Biden, die westlichen Verbündeten und die Nato verurteilten Putins Vorgehen scharf und kündigten weitere Sanktionen an. Russland hat nach den Worten von Biden "vorsätzlich" einen "Krieg" gegen die Ukraine begonnen.
Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Der Kremlchef plant zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine.
Der Westen wirft Putin vor, gegen Völkerrecht zu verstoßen. Russland allein sei verantwortlich für Tote und menschliches Leid, erklärte Biden am Mittwochabend (Ortszeit). Die USA und ihre Verbündeten würden Russland entschlossen dafür "zur Rechenschaft ziehen".
Deutschland kündigte schwere Konsequenzen an. "Die russische Aggression wird politisch, wirtschaftlich und moralisch einen beispiellosen Preis haben", sagte die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse bei einer kurzfristig anberaumten Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York am Mittwochabend (Ortszeit).
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Angriff auf das Schärfste. Der "rücksichtslose und unprovozierte" Angriff bringe "die Leben zahlloser Zivilisten" in Gefahr, erklärte Stoltenberg am Donnerstag. "Einmal mehr, trotz unserer wiederholten Warnungen und nimmermüden diplomatischen Bemühungen hat Russland den Weg der Aggression gegen ein souveränes und unabhängiges Land gewählt."
US-Präsident Biden kündigt Ansprache an
Biden erklärte weiter, er werde die Situation im Laufe der Nacht weiter im Weißen Haus beobachten und von seinem Sicherheitsteam unterrichtet werden.
Am Morgen (Ortszeit/ 15.00 Uhr MEZ) wollte er sich wie bereits geplant mit seinen Amtskollegen aus der Gruppe der sieben wichtigsten Wirtschaftsnationen über die weitere Vorgehensweise beraten. Im Anschluss werde er sich ans amerikanische Volk wenden, um die weiteren Maßnahmen der USA und der Verbündeten gegen Russland "für diesen unnötigen Akt der Aggression gegen die Ukraine und den weltweiten Frieden und die Sicherheit" anzukündigen, erklärte Biden.
"Die Gebete der ganzen Welt sind heute Nacht beim ukrainischen Volk, während es unter einem unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff durch die russischen Streitkräfte leidet", erklärte Biden. "Präsident Putin hat sich vorsätzlich für eine Krieg entschieden, der katastrophale Todesfälle und menschliches Leid bringen wird. Russland alleine "ist für den Tod und die Zerstörung, die dieser Angriff bringen wird, verantwortlich", erklärte Biden weiter. "Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen."
Die USA, die EU und weitere Verbündete haben wegen Russlands Vorgehen in der Ukraine bereits Sanktionen verhängt. Biden hatte am Dienstag betont, bei den Strafmaßnahmen habe es sich nur um erste Sanktionen gehandelt, die deutlich ausgebaut würden, falls Russland in die Ukraine einmarschieren sollte.
Frankreich warf Russland vor, einen Krieg in der Ukraine erzwingen zu wollen. "Frankreich verurteilt aufs Schärfste die Strategie der Kriegsprovokation des russischen Präsidenten", sagte der französische UN-Botschafter Nicolas de Rivière.
Putin versucht sich zu rechtfertigen
In Moskau rechtfertigte Putin sein Vorgehen. Er habe einer schriftlichen Bitte der Chefs der Volksrepubliken Luhansk und Donezk um Beistand entsprochen, um Angriffe von der ukrainischen Armee abzuwehren.
Putin hatte sich nach der Anerkennung der "Volksrepubliken" vom Föderationsrat in Moskau vorsorglich eine Erlaubnis für den Einsatz russischer Streitkräfte im Ausland erteilen lassen.
Die russische Staatsagentur Tass veröffentlichte die Briefe der Chefs der "Volksrepubliken", die um Hilfe Russlands baten, um Opfer in der friedlichen Bevölkerung und eine humanitäre Katastrophe in der Region zu vermeiden. Zugleich dankten sie Putin für die Anerkennung als unabhängige Staaten.
China hofft auf Diplomatie
Es gebe nun eine militärische Aggression seitens der ukrainischen Streitkräfte, es werde Infrastruktur zerstört, darunter Schulen und Kindergärten, hieß es. "Die Handlungen des Regimes in Kiew zeugen von der Weigerung, den Krieg im Donbass zu beenden", hieß es in dem Schreiben. Die Ukraine weist zurück, Krieg gegen den Donbass zu führen. Sie sieht Russland als Aggressor und verhängte einen Ausnahmezustand im ganzen Land.
Trotz der Militäroperation hat China noch Hoffnung auf eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise. "Wir glauben, dass die Tür zu einer friedlichen Lösung der Ukraine-Frage nicht vollständig geschlossen ist", sagte der chinesische UN-Botschafter Zhang. "Chinas Position zur Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten ist konsistent, die Ziele und Prinzipien der UN-Charta sollten allesamt aufrechterhalten werden."