Streit um TTIP und internationalen Handelsgerichtshof Wenn Investoren Regierungen abstrafen

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmstrom schlug im Rahmen der TTIP Verhandlungen einen internationalen Handelsgerichtshof vor: Konzerne können Regierungen verklagen, wenn sie sich etwa durch neue Klimaschutzgesetze benachteiligt fühlen
Foto: © Francois Lenoir / Reuters/ REUTERSBeim geplanten Handelsabkommen zwischen der EU und den USA könnte es bald darum gehen, ob Investoren Regierungen bestrafen können, wenn sie im Interesse ihrer BürgerInnen handeln. Denn genau das bedeutet der Vorschlag für die Konzernklagerechte im TTIP, den EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström jüngst vorgelegt hat. Das Thema steht vermutlich im Januar wieder auf der Agenda einer Verhandlungsrunde.
Zwei Jahre lang lagen die Gespräche über den Investitionsschutz auf Eis. Zu heftig waren die Konflikte zwischen EU-Mitgliedstaaten und Kommission. Zu vehement die öffentliche Kritik an der "Schattenjustiz im Nobelhotel" ("Die Zeit").
Die Kommission versprach, nachzubessern. Im September schlug Malmström nun eine öffentliche Investitionsgerichtsbarkeit für TTIP vor, einen internationalen Handelsgerichtshof. Er soll die bisherigen privaten Schiedsgerichte ersetzen.
Einige Medien und Teile der Politik waren begeistert. Von "großem Fortschritt" war die Rede. Laut der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist "ein Missbrauch des Investorenschutzes" in Form von Klagen gegen Umwelt- und Gesundheitspolitik mit dem EU-Vorschlag "faktisch ausgeschlossen". Und damit der Beweis erbracht, dass die Kommission die Sorgen der Menschen ernst nehme.

Pia Eberhardt ist Politikwissen-schaftlerin und arbeitet bei der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory (www.corporateeurope.org ) zum Unternehmenseinfluss auf die europäische Handels- und Investitionspolitik.
Tatsächlich enthält Malmströms Papier Reformen. Investor-Staat-Klagen würden von auf sechs Jahre berufenen RichterInnen entschieden. Die Verfahren wären transparent. Es gäbe einen Berufungsmechanismus. Die Prozesse würden also rechtsstaatlicher ablaufen.
Aber: Die Kernprobleme der Klagerechte bleiben von diesen Verbesserungen im Prozedere unberührt. Der EU-Vorschlag ist brandgefährlich - für öffentliche Haushalte, staatliche Regulierung und die Demokratie.
Tabakkonzern klagt gegen Enteignung der Marke
So schlägt die EU dieselben Investorenrechte vor, die bereits Teil bestehender Abkommen sind. Investoren beziehen sich schon heute auf diese unschuldig klingenden Klauseln - wie das Recht auf "faire und gerechte Behandlung" und den "Schutz vor Enteignung" -, wenn sie Milliardenentschädigungen fordern für Gesetze zum Schutz von Umwelt oder Gesundheit.
So wie Philip Morris. Der Tabakkonzern klagt gegen Australiens Gesetz zu Einheitsverpackungen für Zigaretten - laut Weltgesundheitsorganisation WHO ein Meilenstein für den Nichtraucherschutz. Philip Morris sieht darin eine Enteignung. Denn wo das Unternehmen seine Marke nicht mehr darstellen kann, sei der Wert seines geistigen Eigentums zerstört. Zudem fühlt sich Philip Morris nicht "fair und gerecht" behandelt. Das australische Gesetz habe seine "legitimen Interessen und Erwartungen" verletzt, ihn zum Einheitswarenhersteller verdammt und sein Geschäftsmodell untergraben. Dafür möchte man aus Steuergeldern entschädigt werden.
So könnte die Tabakindustrie auch auf Basis des EU-TTIP-Vorschlags argumentieren, sollte die EU ähnliche Maßnahmen ergreifen. Auch Klagen wie die des Energieriesen Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg bzw. Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg wären möglich. Denn der EU-Vorschlag enthält Rechte für Investoren, mit denen sie so ziemlich jedes Gesetz, jedes Gerichtsurteil, jeden Verwaltungsakt angreifen könnten, die ihre Gewinne schmälern.
Unkalkulierbare Risiken
Aufgrund der breiten Definition von schützenswerten Investitionen im EU-Text und der massiven transatlantischen Geldströme ist der Kreis potentieller TTIP-Kläger völlig unüberschaubar. Laut der Verbraucherorganisation Public Citizen könnten mehr als 50.000 US-Unternehmen gegen die EU und ihre Mitglieder klagen.

Der Tabakkonzern Philip Morris klagt gegen Australiens Gesetz zu Einheitsverpackungen für Zigaretten - laut Weltgesundheitsorganisation WHO ein Meilenstein für den Nichtraucherschutz
Foto: Gero Breloer/ picture-alliance/ dpaRegierungen könnten zu Schadenersatz in Milliardenhöhe verdonnert werden. Nicht einmal Entschädigungen für entgangene zukünftige Gewinne schließt die EU in ihrem Papier aus. Und die sind in Investor-Staat-Klagen keine Seltenheit. So wurde Libyen 2013 zur Zahlung von 935 Millionen Dollar verurteilt, darunter 900 Millionen Dollar für zukünftige Gewinne aus einem Tourismusprojekt, in das nur 5 Millionen Dollar investiert worden waren.
Der EU-Vorschlag könnte auch nicht verhindern, dass die Politik "freiwillig" geplante Gesetze zurücknehmen oder abschwächen würde, wenn ein finanzkräftiges Unternehmen eine TTIP-Klage einreichen oder damit drohen würde. So hat zum Beispiel die Regierung Neuseelands erklärt, dass sie ihre Nichtraucherschutz-Politik nicht umsetzen wird, solange Philip Morris' Klage gegen Australien läuft. Das ist heute die Hauptfunktion des Investorenschutzes: Er wirkt wie eine Zwangsjacke für Politik.
Keine Sonderklagerechte
In der "Süddeutschen Zeitung" wurde das Reformgerede um den Investorenschutz einmal als "weiße Pfote von TTIP" bezeichnet. Wie im Märchen der sieben Geißlein, wo der Wolf seine Pfote mit Mehl bestäubt, um ins Haus gelassen zu werden, versucht die Kommission, von den Gefahren der Konzernklagerechte abzulenken. Im Märchen klappt die Täuschung, die Katastrophe beginnt.
Der Vorschlag der Kommission wird in den nächsten Wochen in Parlamenten und EU-Regierungen diskutiert. Sie sollten nicht auf die weiße Pfote hereinfallen. Die Sonderklagerechte bleiben eine Gefahr für öffentliche Haushalte, staatliche Regulierung und die Demokratie.