Henrik Müller

Rettungsplan für den Euro Sieben Irrtümer über die Euro-Krise

Auch wenn derzeit relative Ruhe an den Märkten herrscht: Die Euro-Zone rutscht tief und tiefer in die Krise. Höchste Zeit, endlich die ausgelatschten Holzwege zu verlassen.
Mit einer Geldschwemme versucht Europa die Krise zu bewältigen - bisher erfolglos

Mit einer Geldschwemme versucht Europa die Krise zu bewältigen - bisher erfolglos

Foto: KAI PFAFFENBACH/ REUTERS

Irrtum 1: Die Krise lässt sich "lösen"

Wie oft haben die Regierungen der Euro-Staaten schon versprochen, beim nächsten Gipfel/nächsten Finanzministertreffen/nächsten G20-Treffen würden sie den entscheidenden Schritt vorwärts machen - und die Krise (endgültig) lösen. Eine Illusion, wie wir inzwischen wissen.

Die Dauerkrise des Euro-Raumes wird erst dann vorüber sein, wenn die gigantische Verschuldung auf ein erträgliches Niveau gesenkt ist. Und die staatlichen und die privaten Schulden sind in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) so hoch wie noch nie: In fast allen Euro-Mitgliedsländern beträgt die Quote der Gesamtverschuldung zum BIP mehr als 200 Prozent.

Die Euro-Zone steckt in einer Abwärtsspirale: Hohe Schulden bremsen das Wachstum, eine schrumpfende Wirtschaft aber kann sich nicht aus den Schulden befreien, sondern türmt immer mehr Verbindlichkeiten auf. In dieser Situation befinden sich aktuell viele Euro-Volkswirtschaften: Von Spanien über Italien bis Frankreich geht die Wirtschaftsleistung zurück, steigen die Schulden.

Die Krise nährt die Krise. Europas Lage wird immer prekärer.

Dennoch gibt es einen Ausweg. Daniel Stelter von der Boston Consulting Group (BCG) zeigt in Berechnungen fürs aktuelle manager magazin, dass ein Ausstieg aus der Schuldenproblematik, ein echtes "Deleveraging", möglich ist - dass dies aber eine anspruchsvolle Generationenaufgabe ist.

Stelter schlägt eine 60-60-60-Regel vor: Damit die Schulden auf ein wachstumsneutrales Niveau sinken, dürfen die Verbindlichkeit des Staates, der privaten Haushalte und des Unternehmenssektors jeweils nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen, zusammen also 180 Prozent. Deutschland allein betrachtet ist davon nicht weit entfernt, die Euro-Zone als Ganzes aber schon.

Irrtum 2: Lieber ein Ende des Euros mit Schrecken als eine Krise ohne Ende

Eine beliebte These lautet: "Wenn der Euro nur aufgelöst würde, dann könnten wenigstens wir Deutschen uns vor den Verbindlichkeiten der anderen abschirmen." Klingt auf den ersten Blick überzeugend, ist aber falsch. Die Schuldenproblematik würde dadurch nicht "gelöst", sondern sogar dramatisch verschärft.

Deutschland ist so eng mit den Euro-Partnern verflochten, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen - oder die Aufspaltung der Euro-Zone in Nord und Süd - die deutschen Schulden auf einen Schlag dramatisch erhöhen würde. Die Garantien für die Euro-Rettungsschirme würden fällig; die Forderungen der Bundesbank gegenüber den Defizitländern ("Target 2-Salden") würden ausfallen, mehr als eine halbe Billion Euro.

Dazu kämen Ausfälle privater deutscher Forderungen gegenüber den übrigen Euro-Volkswirtschaften: Kredite deutscher Banken an italienische Unternehmen beispielsweise, die dann - weil die neue Süd-Währung schwächer wäre als das Nord-Geld - nicht mehr bedient werden könnten.

Die Auflösung der Euro-Zone würde die Wirtschaft überall in Europa in eine tiefe Krise stürzen. Deutschland wäre davon direkt betroffen.

Irrtum 3: Die hohen Staatsschulden sind das drängendste Problem Europas

Wahr daran ist: Wären die Staaten mit niedrigeren Schuldenständen in die Krise gestartet, ließe sich die Krise leichter lösen. Aber die Staatsschulden sind - mit wenigen Ausnahmen - nicht die Ursache der Krise. Vielmehr sind die privaten Schulden seit den 90er Jahren dramatisch angestiegen. Vor allem in den 2000er Jahren, dem Jahrzehnt des ultraleichten Geldes, haben private Haushalte und Unternehmen sich immer höher verschuldet.

Betroffen sind vor allem jene Länder, die Immobilien- und Baubooms erlebten: Irland, Spanien, Portugal, auch Frankreich.

Die prominenteste Ausnahme übrigens ist Griechenland, mit großen Abstrichen auch Italien und Belgien. In diesen Ländern ist die private Verschuldung moderat, aber die öffentliche Verschuldung sehr hoch.

Aber solange ein Staat nicht, wie Griechenland, überschuldet ist, lassen sich öffentliche Verbindlichkeiten systematisch und geordnet abbauen. Private Schulden hingegen sind viel schwieriger zu senken.

Aber auch dafür gibt es Lösungen, wie wir in unserem Report "Der goldene Schnitt" im aktuellen Heft zeigen.

Irrtum 4: Harte europäische Schuldenregeln werden die nächste Krise verhindern

Auf diesem Urteil fußt die bisherige Euro-Rettungsstrategie. Entsprechend wurde das Regelwerk zur Eindämmung der Staatsverschuldung ("Stabilitätspakt", "Fiskalpakt") in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft.

Eine langfristig zweifellos richtige Strategie, genützt hat sie kurzfristig aber wenig. Wie auch, wenn die Schuldenstände in der Gegenwart immer weiter steigen, weil die Wirtschaft schrumpft (siehe Irrtum 1).

Beruhigt hat sich die Lage seit der Jahreswende 2011/12 erst durch die Politik der EZB unter ihrem neuen Präsidenten Mario Draghi. Die Notenbank pumpt jetzt nahezu unbegrenzt flüssige Mittel in die Märkte ("LTRO"-Programm). Dadurch deckt sie die Probleme zu - eine Lösung ist die Liquiditätsflut nicht.

Anders gewendet: Die EZB hat Europa durch die Geldschwemme lediglich Zeit gekauft. Womöglich zu einem hohen Preis in der Zukunft.

Irrtum 5: Inflation wäre eine elegante "Lösung" der Krise

Wahr ist erstens: Hohe Inflationsraten - im zweistelligen Bereich - würden die Verschuldung schnell und drastisch senken. Wahr ist zweitens: In der Geschichte wurden hohe öffentliche und private Schulden häufig durch Hyperinflation abgebaut. Dann folgte ein Neustart des Finanzsystems.

Elegant ist dieser Ausweg aber keineswegs: Inflation bedeutet nichts anderes als eine drastische Umverteilung von den Soliden (den Sparern, deren Vermögen vernichtet werden) zu den Unsoliden (den Schuldnern, deren Verbindlichkeiten geschrumpft werden).

Mit westlichen Fairnessvorstellungen hat das nichts zu tun. Die Folgen sind Verteilungskämpfe, schwindende Glaubwürdigkeit der staatlichen und privaten Institutionen, soziale Spannungen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Staatskrisen.

Inflationen können die bürgerliche Ordnung an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Eben deshalb hat manager magazin zusammen mit dem BCG-Team einen echten, einen seriösen Ausweg gesucht - und gefunden -, der ohne Schuldenschnitte und Hyperinflation auskommt.

Irrtum 6: In Deutschland müssten die Löhne viel schneller steigen

Ein Haltung, die vor allem in den anderen Euro-Staaten, vor allem in Frankreich und Italien, gern vertreten wird. Deutschland solle erstens für eine starke Binnennachfrage sorgen, um den Rest Europas aus der Krise zu ziehen. Und zweitens systematisch seine Wettbewerbsfähigkeit schwächen, damit die anderen Euro-Volkswirtschaften eine Chance haben.

Das ist insofern richtig, als innerhalb der europäischen Währungsunion, wie sie nun mal konzipiert ist, "reale Auf- und Abwertungen" der einzig verbliebene Anpassungsmechanismus sind: Nur wenn die Lohnstückkosten in boomenden Ländern mit engen Arbeitsmärkten, wie Deutschland, schneller steigen und anderswo langsamer, lassen sich auf Dauer die Ungleichgewichte innerhalb des Euro-Lands in den Griff bekommen.

Problematisch daran ist, dass Deutschland bei stark steigenden Löhnen auch gegenüber dem Rest der Welt an Wettbewerbsfähigkeit verlöre - gegenüber China, den USA oder Japan. Gegenüber Märkten also, die gerade für die global orientierte deutsche Wirtschaft wichtig sind.

Die "reale Aufwertung" Deutschlands innerhalb der Währungsunion ist deshalb ein Balanceakt: Einerseits müssen die Lohnsteigerungen so stark ausfallen, dass die übrigen Länder eine Chance haben, relativ an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Andererseits dürfen sie nicht so stark ausfallen, dass die deutsche Exportwirtschaft aus dem Weltmarkt gepreist wird.

Wenn Deutschland durch Lohnsteigerungen oberhalb der Produktivitätsentwicklung in eine schwere strukturelle Krise rutschen würde, wer sollte dann die schwächelnden Euro-Staaten stützen?

Irrtum 7: Die Vereinigten Staaten von Europa wird es nie geben

An die "Vereinigten Staaten von Europa" glauben weder die meisten Ökonomen noch viele Politiker. So sieht das übrigens auch das Bundesverfassungsgericht, das immer wieder klargestellt hat: Demokratie könne es nur in nationalem Rahmen geben. So gesehen, kommt es einem antidemokratischen Putsch nahe, wenn vitale staatliche Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert werden.

Es ist nur so: Ohne ausgebaute Euro-Transferunion, ohne umfangreiche Instrumente zur kollektiven Krisenintervention und Schuldentilgung wird die Euro-Zone auf Dauer nicht überleben. Dazu bedarf es aber eines politischen Rahmens: einem mit weitreichenden Rechten ausgestatteten EU- oder Euro-Land-Parlament, einem direkt gewählten Euro-Präsidenten. Andernfalls würde tatsächlich das Demokratieprinzip ausgehebelt.

Wir haben uns im vorigen Jahr eingehend damit befasst. Derzeit sind die Europäer von so viel Gemeinsamkeit noch weit entfernt, wie der aktuelle Posten-Poker um den Euro-Gruppen-Vorsitz und andere wichtige Positionen zeigt.

Eine echte Lösung der Schuldenkrise kann sich deshalb nicht auf bloße Finanzakrobatik beschränken. Europa, mindestens aber die Euro-Völker, müssen enger zusammenwachsen. Und zwar möglichst planvoll. Sonst braut sich ein Desaster zusammen.

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