Müllers Memo Drücken, Mario, drücken!

EZB-Chef Draghi: Hohe Erwartungen
Foto: Arne Dedert/ dpaGeld her! Der Ruf wird immer lauter. Mit weiteren flüssigen Mitteln soll die Europäische Zentralbank (EZB) der Wirtschaft endlich auf die Beine helfen. Nach wie vor herrscht Deflationsalarm. Währenddessen wird der Euro gegenüber anderen Währungen stark und stärker. Mario Draghi soll irgendetwas tun: Zinsen weiter drücken, Staatsanleihen kaufen, Bankschulden kaufen, Dollar und Yen kaufen, was auch immer.
Vorigen Dienstag kündigte der neue französische Regierungschef Manuel Valls an, Frankreich werde das Thema nach der Parlamentswahl auf die europäische Agenda setzen. Vor allem der Wechselkurs müsse endlich gedrückt werden. Industrieminister Arnaud Montebourg hattte schon vor Monaten davon gesprochen, man müsse "eine Schlacht eröffnen, um den Euro zu senken". Man kann das als Kampfansage verstehen: an die stabilitätsfixierten Deutschen, an die Unabhängigkeit der EZB.
Es wird das absehbar dominierende Thema der anbrechenden Woche. Donnerstag wird der EZB-Rat über sein weiteres Vorgehen beraten. Montag morgen stellt die EU-Kommission ihre neue Konjunkturprognose vor. Nachmittags tagt die Euro-Gruppe der Finanzminister, auch dort wird es unter anderem um Wechselkursfragen gehen. Mittwoch kommt Japans Premier Shinzo Abe nach Brüssel, dessen Yen binnen anderthalb Jahren 40 Prozent gegenüber dem Euro verloren hat.
Rezession vorbei, Wachstum schwach, Arbeitslosigkeit hoch
Die Lage in Europa bleibt frustrierend: Das Wachstum in der Euro-Zone ist, trotz allmählicher Stabilisierung, schwach. Wieder mal dürfte die Brüsseler Konjunkturprognose dem üblichen Dreiklang folgen: Rezession vorbei, Wachstum schwach, Arbeitslosigkeit hoch. Italien und Frankreich mühen sich mit Notreformen ab, die irgendwann neue Dynamik entfachen sollen.
Immer noch sind die offiziellen Preissteigerungsraten viel niedriger, als sie die EZB eigentlich haben möchte: Statt bei knapp 2 Prozent, liegt die Euro-Zonen-Inflationsrate bei nur 0,7 Prozent, was die immer noch hohen Schulden umso schwerer wiegen lässt. Der nach außen stärkere Euro macht den Exporteuren zusätzlich das Leben schwer.
Nun soll es, wieder mal, die EZB richten. Schon seit Monaten debattiert das Führungsgremium der Bank darüber, wie man die Geldpolitik weiter lockern könnte, obwohl doch die Leitzinsen bereits ultraniedrig sind. Der Instrumentenkasten ist prall gefüllt: Aufkauf von Staatsanleihen, von verbrieften Bankkrediten oder von ausländischen Währungen, Senkung der Zinsen auf Null, Gebühren auf Zentralbank-Einlagen verlangen, Verlängerung der Vollzuteilung von Zentralbank-Liquidität, weitere längerlaufende Liquiditätsspritzen (LTRO), Banken durch ein "Funding for Lending"-Programm zur Kreditvergabe animieren. Und so weiter und so fort.
Das mag arg technisch klingen. Doch es geht immer nur um ein Ziel: endlich die Realwirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. Kann die EZB das überhaupt?
Ultraexpansive Geldpolitik kann die Wirtschaft nachhaltig schädigen
Auch die "Quantative-Easing"-Programme in den USA oder in Großbritannien, die derzeit als vorbildlich gelten, haben bestenfalls gemischte Ergebnisse gezeitigt. Sie mögen die Rezession dort verkürzt haben, aber um den Preis politisch induzierter Blasen - zuerst auf den Anleihemärkten, dann auf den Aktienmärkten, und auch auf den Immobilienmärkten blubbert es vielerorts schon wieder. Die strukturellen Schwächen der Wirtschaft lassen sich damit ohnehin nicht ausbügeln, wie das anhaltend schwache Produktivitätswachstum zeigt. Im Gegenteil: Eine ultraexpansive Geldpolitik kann die Wirtschaft nachhaltig schädigen, weil zuviel Geld in unproduktive Spekulation fließt und zuwenig in dauerhaft wirksame Investitionen.
Zu solchen ökonomischen Risiken kommen politische, gerade im Euro-Raum. Die Schwächung des Euro-Wechselkurses mag vergleichsweise gefahrlos erscheinen. Schließlich ist eine inszenierte Abwertung der Währung vielfach erprobt und rechtlich unumstritten. Wenn die EZB am Devisenmarkt intervenierte, würde sie, anders beim Kauf von Anleihen einzelner Euro-Staaten, nicht gegen EU-Recht verstoßen: Kauft sie italienische oder spanische Bonds, ist das womöglich illegale "monetäre Staatsfinanzierung" einzelner Mitgliedstaaten. Kauft sie amerikanische Treasuries oder japanische Staatsanleihen, ist das rechtlich unproblematisch.
Mögliches Ringen um vorgeschriebene Wechselkursziele
Doch die Wechselkurspolitik ist der Hebel, mit dem die Regierungen der Euro-Staaten die Unabhängigkeit der EZB aushebeln können. Artikel 219 des EU-Vertrags gesteht den Finanzministern zu, "allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik" zu formulieren. Wie diese Orientierungen konkret aussehen, darin sind die Minister frei zu entscheiden. Denkbar, dass sie der EZB konkrete Wechselkursziele vorschreiben. Etwa 1,20 Dollar oder 120 Yen pro Euro - das wäre immerhin eine Abwertung um ein Siebtel gegenüber derzeitigen Kursen. Die EZB müsste sich dann überlegen, wie sie das hinbekommen kann: Dollar und Yen kaufen? Euro-Zinsen senken? Es wäre ein massiver Eingriff in die Unabhängigkeit der EZB.
Bislang haben die Euro-Regierungen von den "allgemeinen Orientierungen" keinen Gebrauch gemacht. Aber frühere Äußerungen des französischen Ministers Montebourg lassen darauf schließen, dass es in Paris ziemlich konkrete Vorstellungen gibt, wie künftig mit Hilfe der Wechselkurspolitik das Verhältnis zwischen Euro-Gruppe und EZB neugeordnet werden soll: durch eine formelle und permanente Einflussnahme auf die Währungspolitik seitens der Minister.
Bevor es soweit kommt, braucht es allerdings eine Zweidrittel-Mehrheit in der Euro-Gruppe. Eine hohe Hürde. Bei der politischen Konstellation, wie sie sich in der Krise im EZB-Rat herausgebildet hat, könnte Frankreich zwar eine Mehrheit der Stimmen zusammenbekommen (mit Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Zypern, Slowenien, Irland). Doch eine Nordostkoalition (Deutschland, Benelux, Finnland, Österreich, Slowakei, Estland, Lettland) könnte das Vorhaben blockieren.
Das Ringen um Europas Zukunft geht weiter.
Die Wirtschaftstermine der Woche
Montag
BRÜSSEL - Vorschau - Die EU-Kommission stellt ihre Frühjahrs-Wirtschaftsprognose vor.
BRÜSSEL - Lagebesprechung - Die Euro-Finanzminister beraten über Konjunktur, Wechselkurse und die Reformen in einzelnen Mitgliedsländern.
BERLIN - Geld für Geldhändler - Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Bankgewerbe.
FRANKFURT - Schönwetter - Fortsetzung der Tarifverhandlungen für das Bauhauptgewerbe.
PARIS - Bulletin - Während die Übernahmeschlacht in der Pharmabranche ihren Lauf nimmt, bittet Sanofi-Aventis zur Hauptversammlung.
Dienstag
BRÜSSEL - Und jetzt alle - Nach der Euro-Gruppe tagen nun sämtliche 28 EU-Finanzminister.
PARIS - Der Weg des Westens - Der Club der reichen Länder, die OECD, stellt ihren Wirtschaftsausblick vor.
Viele, viele Zahlen - Deutsche Konzernschwergewichte berichten vom ersten Quartal, unter anderen Fresenius Medical Care und Fresenius, BMW, Axel Springer, Lufthansa, Evonik, Qiagen, GEA Group, Continental, Adidas, Linde, Porsche (Halbjahres-Zahlen).
Mittwoch
BRÜSSEL - Krisendiplomatie - Gipfeltreffen EU-Japan (mit Premier Shinzo Abe, EU-Kommissionspräsident Barroso, Ratspräsident Van Rompuy) im Zeichen steigender Spannungen (Japan-China, Westen-Russland).
PARIS - Poker-Vorlage - Der französische Technologiekonzern Alstom präsentiert Zahlen, mitten im Übernahmegezocke zwischen General Electric, Siemens und dem französischen Staat.
Noch mehr Zahlen - Weitere Konzernschwergewichte berichten vom ersten Quartal, unter anderen Commerzbank, Siemens, Hannover Rück, HeidelbergCement, Henkel, Hochtief. Die Allianz lädt zur Hauptversammlung.
Donnerstag
BRÜSSEL - Kursbestimmung - Der Rat der EZB berät und entscheidet.
FRANKFURT - Vor dem Stresstest - Die Commerzbank wird von ihren Aktionären besucht.
LONDON - Pfundig - Geldpolitische Sitzung der Bank von England.
BERLIN - Euro-Duell - Die Spitzenkandidaten zur Europawahl, Martin Schulz (Sozialdemokraten) und Jean Claude Juncker (Volkspartei) streiten im deutschsprachigen TV.
BRÜSSEL - Handelsfragen - Treffen der EU-Außenminister in Zeiten der Sanktionsdrohungen gegen Russland.
PEKING - Temperaturvermessung - Die Statisiker vermelden neue Zahlen zum Außenhandel - inzwischen ein Indikator für die Weltkonjunktur.
Zahlen, Zahlen, Zahlen - Noch mehr Konzerne berichten vom ersten Quartal, unter anderen Deutsche Telekom, Beiersdorf, Münchner Rück, Lanxess, Metro, Bertelsmann, Bilfinger. Adidas hat zur Hauptversammlung eingeladen.
Freitag
STRALSUND - Viel zu bereden - Kurz vor der Europa-Wahl zeigt Angela Merkel dem französischen Präsidenten Francois Hollande ihren vorpommerschen Wahlkreis.
BERLIN - Am Rande des Westens - Der bulgarische Präsident Plewneliew besucht Deutschland und spricht über die Ukraine-Krise.
WIESBADEN - Weiter auf Rekordkurs? Deutschlands Statistiker haben neue Zahlen zum Außenhandel.
Samstag
SAARBRÜCKEN - Reformen? Welche Reformen? Die ADAC-Hauptversammlung berät, was sich beim Autoclub alles ändern soll, kann, muss.
Sonntag
BERLIN - Seit' an Seit' - Eröffnungsfeier des DGB-Bundeskongresses, Abschiedsfeier für den langjährigen DGB-Chef Michael Sommer.